Antiepileptische Therapie bei Kindern und Jugendlichen – 4. Teil

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Idiopathisch fokale Epilepsien

Zu der Gruppe der idiopathisch fokalen Epilepsien – den sogenannten benignen Epilepsien – gehören die Epilepsie mit zentrotemporalen Sharp Waves (BECTS oder Rolando), das Pseudo-Lennox-Syndrom, das Landau-Kleffner-Syndrom, das CSWS-Syndrom (Continuous Spikes and Waves during slow Sleep) und die Epilepsie mit okzipitalen Sharp Waves (Panayiotopolous und Gastaut), das seltene Epilepsiesyndrom mit Mittellinien-Spikes sowie das Watanabe-Syndrom). Gerade bei den benignen Partialepilepsien des Kindesalters mit spontaner Remission in der Pubertät mit und ohne Therapie ist eine sehr sorgfältige Indikationsstellung zur Therapie zu treffen! „Benigne“ bezieht sich nur auf das selbstlimitierende EEG-Merkmal und die selbstlimitierenden epileptischen An- fälle (98 %).

Die Übergänge zwischen den einzelnen Formen sind gerade unter Einbeziehung des EEGs fließend, zwingend sind bei allen Formen regelmäßige Schlaf-EEGs, um bioelektrische Staten im Schlaf nicht zu übersehen. Für diese Gruppe der Epilepsien ist Sultiam Mittel der 1. Wahl. Die Wahl der Dosis erfolgt individuell bis zum Auftreten von Nebenwirkungen. Nach einigen Monaten der Behandlung kann ein Toleranzeffekt bei 35-45 % der Behandelten eintreten (Nachlassen der Wirksamkeit, Wiederauftreten epilepsietypischer Potentiale im EEG).

Alternativ können Levetiracetam, Valproat und Carbamazepin/Oxcarbazepin eingesetzt werden, wobei unter Carbamazepin, wahrscheinlich auch unter Oxcarbazepin in Einzelfällen eine Verschlechterung bis hin zum bioelektrischen Status beobachtet wurde, wiederholte EEG-Ableitungen bei dieser Wahl der Therapie sind sinnvoll. In einer prospektiven Studie bei Kindern mit BECTS (Rolando-Epilepsie) unter Oxcarbazepin konnte diese Nebenwirkung allerdings nicht beobachtet werden. Gerade bei der Therapie der benignen Partialepilepsie können alle Antikonvulsiva effektiv sein.

Die gleichen Therapieempfehlungen bestehen auch für die anderen Varianten der benignen Partialepilepsie im Kindesalter (Panayiotopoulos, Watanabe, Gastaut, gutartige familiäre Anfälle mit Choreoathetose (Bewegungsstörungen), infantile fokale Anfälle mit Mittellinien-Spikes). Die mentale Entwicklung der Kinder mit benigner Partialepilepsie ist nicht gefährdet, wie auch durch eigene Daten gesichert werden konnte.

 

 

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Landau-Kleffner- und CSWS-Syndrom

Beim Landau-Kleffner-Syndrom und auch beim CSWS-Syndrom ist ebenfalls Sultiam Mittel der ersten Wahl, bei Versagen in Kombination mit Clobazam, Levetiracetam wurde mehrfach erfolgreich eingesetzt. Vigabatrin kann in seltenen Fällen nützlich sein unter Beachtung des Risikos einer Gesichtsfeldeinschränkung (40 %). Einzelerfahrung gibt es bei dieser besonders schwer verlaufenden Form der benignen Partialepilepsie auch mit Lacosamid, einem bislang für Kinder unter 16 Jahren nicht zugelassenen neueren Antiepileptikum.


Kognitive und mentale Defizite sind in dieser Gruppe der Epilepsien nicht selten, möglicherweise – bislang noch nicht bewiesen –  besteht ein Zusammenhang zwischen Ausprägungsgrad der EEG-Veränderungen und dem Ausmaß der Defizite. Aus diesem Grunde hat das EEG hier einen besonderen Stellenwert zur Beurteilung des Behandlungserfolges. Allerdings bleibt fraglich, ob langfristig wirklich die Entwicklung mentaler und kognitiver Defizite durch Antiepileptika verhindert werden kann.

Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas kommen gerade bei massiven EEG-Befunden auch Steroide oder auch ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) zum Einsatz. Studien liegen leider nicht vor, jedes Behandlungszentrum verfolgt sein eigenes Therapiekonzept. Wir selbst bevorzugen eine ACTH-Behandlung; alternativ bietet sich die Cortison-Stoßtherapie an. Die Nebenwirkungsrate dieser Behandlung ist deutlich geringer, nach eigenen Erfahrungen aber auch weniger wirksam.

In Einzelfallbeschreibungen bzw. in kleinen Patientengruppen wird über den günstigen Effekt einer Therapie mit Immunglobulinen, ketogener Diät oder einer speziellen epilepsiechirurgischen Behandlung berichtet. Eine regelmäßige neuropsychologische Untersuchung dieser Kinder ist zwingend notwendig, insbesondere für Kinder mit einem CSWS-Syndrom. Sollten die mentalen Defizite unter der Therapie zunehmen, vor allem unter einer ACTH- oder Steroid-Therapie, muss diese eingreifende Behandlung beendet werden.

Lennox-Gastaut-Syndrom

Durch seine Therapieresistenz zählt das Lennox-Gastaut-Syndrom zu den therapeutischen Herausforderungen. Mit dem zuvor erwähnten Gastaut-Syndrom (be-nigne Epilepsie mit okzipitalen Sharp Waves) hat es trotz der ähnlichen Na-mensgebung weder bzgl. der Ätiologie noch der Prognose etwas zu tun. Das klinische Bild ist geprägt durch eine bunte Anfallssemiologie mit Grand mal-Anfällen, typisch und atypischen Absencen und tonischen Anfällen, die besonders therapieschwierig sind.

Mittel der Wahl ist Valproat in Monotherapie. Allerdings wird dadurch nur in wenigen Fällen Anfallsfreiheit erzielt, so dass auf andere Behandlungsstrategien gesetzt werden muss. Zur Basistherapie mit Valproat wird Lamotrigin, Topiramat oder Felbamat kombiniert. Rufinamid in Mono- oder auch Kombinationstherapie zeigt beim Lennox-Gastaut-Syndrom gute Effekte bis hin zur seltenen Anfallsfreiheit. Die Effektivität von Felbamat wurde in einer randomisierten Studie belegt. Limitierende Nebenwirkung kann eine Knochenmarksdepression unter Felbamat sein, regelmäßige Blutbildkontrollen im Abstand von 3 Wochen sind verpflichtend. Wie bei anderen therapieresistenten Epilepsiesyndromen müssen oder können die sonst zur Verfügung stehenden Medikamente „ausprobiert“ werden: Ethosuximid, Me-suximid, Levetiracetam, Phenobarbital, Primidon. Auch die ketogene Diät und die Implantation eines Vagusnervstimulators stellen eine Behandlungsmöglichkeit dar. Eine 2/3-Callosotomie (Operationsmethode) kann hilfreich sein gegen Sturzanfälle (Drop Attacks).

Gerade bei so therapieschwierigen bis -resistenten Epilepsiesyndromen muss immer wieder bedacht werden, dass „weniger oft mehr“ ist, d. h. nicht wirksame Medikamente müssen abgesetzt werden, um zumindest deren Nebenwirkungen einzusparen. Stark sedierende Antikonvulsiva können gerade Drop Attacks aktivieren. Es gilt mit wenigen Medikamenten – Mono- oder Kombinationsbehandlung aus zwei Medikamenten – einen für alle Beteiligten erträglichen und gangbaren Weg zu finden.

 

 

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Idiopathisch generalisierte Anfälle und Epilepsie-Syndrome

Zu den idiopathisch generalisierten Epilepsien gehören die frühkindliche, die pyknoleptische und die juvenile Absence-Epilepsie, die Grand mal-Epilepsie und die juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom).

Bei den idiopathisch generalisierten Epilepsien sind Ethosuximid für die Ab-sencen und Valproat bei Auftreten von Grand mal-Anfällen nach wie vor Mittel der ersten Wahl. Lamotrigin und Levetiracetam stellen eine wichtige Alternative zum Valproat dar, insbesondere bei Kindern mit einer Einnässproblematik oder erheblichen Appetitsteigerung mit Gewichtszunahme und Erkrankungen der Leber und des Gerinnungssystems sowie Mitochondriopathien. Die vom Valproat bekannte Hepatopathie (Lebererkrankung) ist heute bei guter Vordiagnostik, Berücksichtigung der Kontraindikationen für Valproat, guter Überwachung des Patienten und Aufklärung der Eltern über mögliche Frühsymptome erfreulicherweise sehr selten geworden.
Mittel der ersten Wahl für die Absence-Epilepsie ist nach wie vor Ethosuximid. Die seltene Nebenwirkung von Schlafstörungen unter Ethosuximid zwingt immer zum Absetzen. Das Risiko von Grand mal-Anfällen ist auch unter einer Monotherapie mit Ethosuximid nicht erhöht. Bei Versagen der Monotherapie führt eine Komedikation mit Valproat zur Anfallsfreiheit. Regelmäßige EEG-Verlaufskontrollen sind anfangs wichtig, um eine EEG-Sanierung zu erzielen und zu dokumentieren. Die frühkindliche Absence-Epilepsie kann therapeutisch durchaus schwierig sein, Ethosuximid in Monotherapie ist oft nicht ausreichend, so dass dann überlegt werden muss, die Behandlung mit Valproat zu beginnen.

Die Dauer der Behandlung richtet sich nach der zugrundeliegenden Variante der Absence-Epilepsie: Die frühkindliche Variante sollte mindestens 3 Jahre behandelt werden, während die pyknoleptische Variante, die typische kindliche Absence-Epilepsie, bei raschem Ansprechen auch schon nach 1-1 ½ Jahren Therapie beendet werden kann. Wir selbst führen nach Absetzen regelmäßige Kontrollen über 2 Jahre durch, bis wir die Kinder als „geheilt“ entlassen, initiale Kontrollen nach 3 und 6 Monaten, dann nach weiteren 6 Monaten und eine Abschlussuntersuchung 2 Jahre nach Therapieende. In kleineren Fallstudien wurde auch ein positiver Effekt unter Lamotrigin, Levetiracetam oder Topiramat berichtet.


Die Aufwach-Grand mal-Epilepsie spricht nach derzeitiger Studienlage noch am besten auf Valproat an, alternativ bieten sich auch hier Lamotrigin oder Levetiracetam an, gerade unter den oben genannten Nebenwirkungsaspekten. Die sich gegenseitig verstärkende Wirkung von Lamotrigin und Valproat kann in der Kombinationstherapie ausgenutzt werden. Auch bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie (JME) ist Valproat Mittel der ersten Wahl, der sogenannte „Goldstandard“, an dem sich alle anderen Medikamente messen lassen müssen. Auch hier bei Therapieresistenz in Kombination mit Lamotrigin oder Lamotrigin als Monotherapie. Lamotrigin kann allerdings die schultergürtelbetonten Myoklonien verstärken. Sehr häufig gelingt es, gerade bei der JME mit einer Monotherapie Anfallsfreiheit zu erzielen. Studien belegen einen positiven Erfolg von Levetiracetam. Die genannten Mittel der ersten Wahl zur Behandlung der idiopathisch generalisierten Epilepsien des Kindes- und Jugendalters werden in üblicher Dosis kognitiv gut vertragen.

Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenytoin und Vigabatrin sind bei den idiopathischen generalisierten Epilepsien, besonders bei der Absence-Epilepsie, unwirksam. Ihr Einsatz ist sogar kontraindiziert, da diese Substanzen häufig zu einer Verschlechterung der Anfallssituation führen.

Kontakt:

Prof. Dr. Gerhard Kurlemann
Dr. Barbara Fiedler
Universitätsklinikum Münster,
Klinik für Kinder und Jugendmedizin
Allgemeine Kinderheilkunde, Bereich Neuropädiatrie
Albert-Schweitzer Campus I, Gebäude A1
Tel.: 0251 8347762
gerhard.kurlemann(at)ukmuenster.de
www.klinikum.uni-muenster.de