Epilepsie in der Presse

Der Oberbegriff Presse (von lateinisch pressa und französisch presse) leitet sich von der Druckerpresse aus der Zeit der analogen Drucktechnik ab. Gemeint ist die Gesamtheit aller verbreiteten Druckerzeugnisse (heute: die Printmedien).

Trotz der wachsenden Bedeutung des Internets beschäftigen sich die Deutschen weiterhin gerne mit Gedrucktem. Nach einer rezenten Allensbach-Umfrage lesen zwei Drittel der Bürger lieber auf Papier, nur 6 % lieber am Bildschirm und 22 % auf beiden Plattformen gleichermaßen gern. 42 % der Bevölkerung nutzen sowohl Zeitungen als auch Zeitschriften intensiv, 40 % zumindest eine dieser beiden Gattungen. Nur 18 % verzichten mittlerweile weitgehend auf Printmedien.

Man kann also davon ausgehen, dass die Presse durch ihre Verbreitung einen enormen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung hat, im positiven wie im negativen Sinne. Daher wird auch von der vierten Gewalt der Presse oder der Macht der Medien gesprochen.

Menschen, die an Epilepsie leiden, sehen sich auch heute noch mit zahlreichen Vorurteilen konfrontiert (Thorbecke et al., 2010). Im Allgemeinen erwartet man daher eine überwiegend negative Darstellung der Krankheit „Epilepsie“ in der Presse. Diese Erwartungshaltung könnte wie folgt aussehen:
 

  • Die Printmedien zeichnen ein negatives und klischeehaftes Bild von Epilepsie, d.h. sie verstärken durch ihre Berichterstattung gängige Vorurteile gegenüber epilepsiekranken Menschen.
  • Über Epilepsie wird in den Medien zu selten berichtet.
  • Wenn über Epilepsie berichtet wird, dann meist in dramatischer Weise (Unfälle, Todesfälle, «Horrorgeschichten»).
  • Risiken für Menschen mit Epilepsie werden in der Presse überbewertet.
  • Besondere Aspekte, wie z. B. Komorbidität, Lebensqualität und Stigma werden in den Medien nicht ausreichend thematisiert.


Im Rahmen einer durchgeführten Literaturrecherche fand sich zunächst eine Bestätigung dieser doch überwiegend negativen und pessimistischen Erwartungen. So berichten Krauss und Mitarbeiter im Jahr 2000 in der angesehen Zeitschrift Neurology unter der Überschrift „The Scarlet E“ davon, dass viele der 210 Artikel, die von 1991 bis 1996 in der englischsprachigen Presse publiziert wurden, die Epilepsie noch mit dem Teufel in Zusammenhang bringen und somit Irrglauben und Vorurteile noch verstärken (Krauss et al., 2000).

Insgesamt fanden die Autoren dieser Studie bei mehr als 30 % der Artikel schwere Fehler bei der Berichterstattung über wissenschaftliche Grundlagen, Therapiemöglichkeiten und Einschätzungen des Risikos für Unfälle und Todesfälle von an Epilepsie erkrankten Menschen. Darüber hinaus wurde in nahezu der Hälfte der Artikel das Wort „Epileptiker“ benutzt, was als Beleidung angesehen wird. Krauss und Kollegen folgerten damals, dass die Presse ein negatives und oft falsches Bild von Epilepsie wiedergibt. Sie sahen es nach ihrer Analyse als erwiesen an, dass durch diese Berichterstattung gängige Vorurteile und negative Einstellungen gegenüber Menschen mit Epilepsie erheblich verstärkt werden (Krauss et al., 2000).

Eine Analyse der deutschsprachigen Printmedien zeigt demgegenüber folgendes Bild: Benutzt man die Online-Suchmaschinen der gängigsten deutschen Zeitungen wie DER SPIEGEL, FRANKFURER ALLGEMEINE ZEITUNG, DIE ZEIT, DIE WELT, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, BILD ZEITUNG, etc., so wird über Epilepsie sicher weniger berichtet als über ebenfalls häufige Erkrankungen wie Diabetes oder Demenz. Allerdings findet sich eine Vielzahl von Artikeln, die über verschiedene Aspekte dieses Themas sachgerecht und differenziert berichten. Insgesamt lässt sich ein zunehmend offener Umgang mit dem Krankheitsbild der Epilepsien und epileptischer Anfälle feststellen.

Insbesondere die Wissenschaftsbeilagen wichtiger überregionaler Tages- und Wochenzeitungen enthalten überaus aktuelle und nützliche Informationen zum Thema Epilepsie. Dabei lassen sich folgende Schwerpunkte der Berichterstattung erkennen: Erklärung des Krankheitsbildes und der Semiologie epileptischer Anfälle oftmals im Rahmen von Experteninterviews, d. h. ein Neurologe oder Epileptologe wird von Journalisten über das Krankheitsbild der Epilepsie befragt. Hierbei werden auch für den Laien anschauliche Vergleiche bemüht: “Fallsucht“, “Gewitter im Gehirn“, „Rakete im Kopf“ oder ein generalisierter Anfall wird mit einem „gefräßigen Drachen“ verglichen. Der am häufigsten gebrauchte Terminus ist der vom „Gewitter im Gehirn“: „Epileptische Anfälle sind wie elektrische Gewitter im Gehirn. Nervenzellen entladen sich unbewusst und ungezielt. Das kann in einem kleinen Areal beginnen und sich über das ganze Gehirn ausbreiten" (z. B. Die Welt, 26.09.2012), Hier wird der Leser auch darüber aufgeklärt, dass ein epileptischer Anfall umschrieben, also fokal, beginnen und sich im weiteren Verlauf zu einem generalisierten Anfall entwickeln kann.

Auch auf die psychosozialen Konsequenzen einer Epilepsieerkrankung, wie möglicher Verlust des Führerscheins und des Arbeitsplatzes sowie die immer noch vorhandene Stigmatisierung der Patienten wird in rezenten Presseberichten detailliert hingewiesen: z. B. „Angst vor dem Fall“ (Die Zeit 12.09.2007) oder „Man sieht es mir nicht an“ (Die Zeit 16.03.2014).

Bei der Darstellung aktueller Therapiemöglichkeiten beschäftigen sich die Printmedien ganz überwiegend mit (spektakulären) Operationserfolgen der Epilepsiechirurgie, die ja nur für einen kleinen Teil der Patienten in Frage kommt: z. B. „Anfallsfrei durchs Messer“ (Der Spiegel 13.08.2001). Gleichzeitig scheinen die medikamentösen Therapiemöglichkeiten, die ja immerhin bei zwei Drittel der an Epilepsie erkrankten Menschen gut helfen, etwas stiefmütterlich behandelt zu werden.

Aus wissenschaftlicher Sicht finden sich in letzter Zeit ebenfalls zahlreiche Berichte für eine sachliche und meist korrekte Berichterstattung über neuste Forschungsergebnisse, z. B. aus dem neuen Feld der Autoimmun-Epilepsien: z.B. „Angriff aufs Gehirn“ (Der Spiegel 06.08.2012).

Interessanterweise enthält die Mehrzahl dieser Presseberichte einen Hinweis auf die dem Artikel zugrunde liegende Originalveröffentlichung, was für den wissenschaftlich interessierten Leser durchaus vorteilhaft ist. Zudem zeigt dieser Bezug auf aktuelle Veröffentlichungen in der medizinischen Fachpresse, dass der Inhalt der Zeitungsartikel seriös recherchiert wurde.

Auch werden die für die Lebensqualität der Patienten so wichtigen Aspekte wie das Vorhandensein einer komorbiden Erkrankung wie Angst oder Depression in verschiedenen Artikeln ausführlich thematisiert. Risiken für Menschen mit Epilepsie werden überwiegend korrekt dargestellt. So wird am Beispiel eines 21-jährigen an Epilepsie erkrankten Praktikanten einer Londoner Bank, der tot aufgefunden wurde, erklärt, was ein sogenannter SUDEP („Sudden Unexpected Death in Epilepsy“, „plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie“) bedeutet: z. B.: „Die Angst vor dem Anfall“ ( Die Zeit 12.01.2014) oder „Bank-Praktikant starb an Folgen eines epileptischen Anfalls“ (Der Spiegel 10.10.2013).

Ein weiterer Schwerpunkt der Berichterstattung in der Presse ist die Beschäftigung mit den verschiedenen Initiativen der Selbsthilfegruppen, vornehmlich auf lokaler Ebene, oder auch mit Aufklärungsinitiativen wie dem „Tag der Epilepsie“, der in Deutschland erstmals 1996 veranstaltet wurde. Es darf als sicher gelten, dass solche Initiativen einen sehr positiven Einfluss auf die Anzahl und die Qualität von Berichten über Epilepsie haben.

Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten:

  • Die zu Beginn dieses Artikels geäußerte Sorge über eine überwiegend negative Berichterstattung der Printmedien über das Thema Epilepsie bestätigt sich nicht.
  • Grundlagen und wissenschaftliche Neuerungen werden in neueren Presseartikeln fast immer sachlich und korrekt dargestellt.
  • Die Aussagen zu Therapiemöglichkeiten sind oft weniger detailliert.
  • Die Berichterstattung über Unfälle oder Todesereignisse in Zusammenhang mit Epilepsie wirkt nur zum Teil übertrieben.
  • Komorbidität (Angst, Depression), psychosoziale Konsequenzen der Erkrankung und Stigma werden thematisiert.
  • Die Frequenz der Berichte über Epilepsie steigt stetig an.
  • Das Wort «Epileptiker» wird weiterhin häufig benutzt.


Es lässt sich schlussfolgern, dass die überwiegende Zahl der Artikel differenziert und sachgerecht zum Thema Epilepsie berichtet. Diese Einschätzung wird durchaus auch von anderen Autoren geteilt (Schmitt und Bauer, 2004). Die Epilepsie ist sicher noch immer stärker mit Vorurteilen besetzt als andere chronische Erkrankungen (Thorbecke et al., 2010). Dennoch gibt die aktuelle Analyse der Darstellung der Epilepsie in den Printmedien Anlass zur der Hoffnung, dass die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung im Umgang mit epilepsiekranken Menschen in Zukunft weiter abgebaut werden können.



Priv. Doz. Dr. med. Stefan Bayernburg,
Privatdozent für Neurologie
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

Kontakt:

Priv. Doz. Dr. med. Stefan Beyenburg
Médecin Chef du Département des Neurosciences
Centre Hospitalier de Luxembourg
4, rue Barblé
1210 Luxembourg
Luxemburg
Tel.: 00352 44 116627
Fax: 00352 44 114020
beyenburg.stefan(at)chl.lu