Medikamente bei Kindern

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Antikonvulsiva sicher anwenden


Der Arzt hat Ihrem Kind eine Arzneimitteldosis verordnet, die nur durch Vierteln der verschriebenen Tablette erreicht werden kann. Als Sie das Rezept in der Apotheke einlösen, stellt sich heraus, dass die verschriebene Tablette gar nicht zur Viertelung geeignet ist - eine geeignete Wirkstärke ist jedoch auch nicht auf dem Markt. Es ist zwar möglich, die Tablette mit gutem Willen und unter Zuhilfenahme aller häuslichen Werkzeuge wie Küchenmesser und Hammer in zahlreiche Bruchstücke zu zerkleinern - doch selten ergeben sich daraus vier gleich große Stücke. Ihnen kommt dieses fiktive Szenario bekannt vor? Dann sollten Sie sich mit dem Thema Arzneimittelsicherheit beschäftigen.

Arzneimittelsicherheit im Fokus der Wissenschaft

Die Optimierung der Arzneimittelsicherheit ist in den vergangenen Jahren - nicht zuletzt durch das Auftreten vermeidbarer unerwünschter Ereignisse, die zur Gefährdung von Patienten geführt haben - zunehmend in den Fokus der Gesundheitsforschung gerückt. Dabei widmet sich die Arzneimittelsicherheit dem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Arzneimitteltherapien im Behandlungsalltag. Selbstverständlich sind Medikamente heute in klinischen Studien bei Markteinführung in Bezug auf pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit und Risiken gut untersucht. Allerdings ergeben sich später, im alltäglichen Gebrauch, der sich von den Studienbedingungen doch unterscheiden kann, Arzneimittel-bezogene Probleme, die durch die begrenzte Anzahl der in den Zulassungsstudien untersuchten Patienten gar nicht erkannt werden konnten. Daher darf die Beurteilung und Optimierung von Arzneimitteln nicht mit der Zulassung enden, sondern muss nach Markteinführung weiterverfolgt und durch geeignete Strategien flankiert werden. 

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Antikonvulsiva spielen eine besondere Rolle

Viele antikonvulsive Wirkstoffe weisen eine enge therapeutische Breite auf. Das heißt, der Dosierungsbereich, bei dem einerseits noch keine dosisabhängigen Nebenwirkungen auftreten, andererseits eine gute Anfallskontrolle erreicht wird, ist vergleichsweise schmal. Mit anderen Worten: Nutzen und Risiko liegen sehr eng beieinander, sind aber durch eine sorgsame Festlegung der Dosis und gegebenenfalls Kontrolle der Blutkonzentrationen in den Griff zu bekommen. Dass die antikonvulsive Arzneimitteltherapie gerade bei Kindern eine besondere Herausforderung ist, hat auch noch weitere Gründe: Wie viele Arzneimittel sind auch Antikonvulsiva teilweise nicht speziell bei Kindern klinisch untersucht und in diesen Fällen auch von den Behörden nicht für Kinder zugelassen. Sollen solche Antikonvulsiva mangels Alternativen dennoch eingesetzt werden, erfordert dies in jedem Einzelfall eine besonders sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse bei der ärztlichen Verordnung.

Verordnung des Arztes stellt die Weichen

Ein besonderes Augenmerk muss in diesem Zusammenhang auf die Verordnung von Antikonvulsiva gerichtet sein. Die Auswahl des passenden Arzneimittels und die Festlegung der richtigen Dosierung unter Berücksichtigung des patientenindividuellen Stoffwechsels sind hier eine besondere Herausforderung für den Arzt. Zusätzlich sind zu beachten: Wechselwirkungen mit weiteren verordneten Arzneimitteln oder Nahrungsmitteln sowie bestehenden anderen Begleiterkrankungen. Gegenseitige Wechselwirkungen sind bei Antikonvulsiva beispielsweise in Zusammenhang mit der hormonellen Empfängnisverhütung (Kontrazeption) bekannt. So muss bei Frauen im gebärfähigen Alter (und damit auch bei weiblichen Jugendlichen) bei der Therapieentscheidung genau abgestimmt werden, welcher Wirkstoff das Anfallsleiden optimal behandelt und welche Methode für die zuverlässige Kontrazeption damit kombiniert werden kann. Auch sollte schon bei weiblichen Jugendlichen an das mögliche Eintreten einer geplanten oder ungeplanten Schwangerschaft gedacht werden und das unterschiedliche Auswirkungen verschiedener Antikonvulsiva auf Fehlbildungen (Teratogenität) und die kindliche Intelligenz beachtet werden.

Anwendung entscheidet über den Therapieerfolg

Allerdings ist mit der ärztlichen Verordnung das Medikament noch lange nicht im Kind angekommen und kann dort wirken. Dabei birgt die falsche Anwendung von Medikamenten gerade bei Kindern ein hohes Risiko für fehlenden Therapieerfolg und das Auftreten von unerwünschten Wirkungen. Um solche Risiken zu vermeiden, müssen allerdings nicht nur Ärzte und Pflege, sondern auch Eltern und Kinder mit der richtigen Handhabung der Arzneimittel vertraut sein. Besondere Bedeutung haben in der antikonvulsiven Therapie beispielsweise konstante Wirkkonzentrationen der Antikonvulsiva im Blut. So genannte retardierte Darreichungsformen erlauben aufgrund eines speziellen Aufbaus die Freisetzung des Wirkstoffs über einen längeren Zeitraum. Dieser Freisetzungsmechanismus kann durch die Zerkleinerung des Arzneimittels zur Vorbereitung für die Sondengabe oder für die erleichterte orale Applikation beim Kind zerstört werden. Dies kann in der Folge zu schwankenden Wirkspiegeln oder Wirkverlust führen.

Arzneimittel-bezogene Probleme an Schnittstellen

Die Schnittstellenbetreuung von Patienten im Anschluss an eine stationäre Therapieeinstellung in die ambulante Weiterversorgung ist bei der Optimierung der Arzneimitteltherapiesicherheit von besonderer Bedeutung. Häufig ist ein Austausch der verordneten Antikonvulsiva in der Apotheke - beispielsweise im Rahmen der Rabattverträge - medizinisch und pharmazeutisch nicht verantwortbar und dementsprechend zu vermeiden. Beratungshinweise zur Therapiebegleitung sowie zur Verletzungs- und Sturzprävention sind für den Umgang des Patienten mit der Antikonvulsivatherapie und der Epilepsie im Alltag unerlässlich.

Compliance des Jugendlichen als Herausforderung

Auch fehlende dauerhafte Umsetzung der ärztlichen Verordnung (Hypocompliance) spielt gerade bei Heranwachsenden unter antikonvulsiver Therapie eine besondere Rolle. Wird das Medikament nicht regelmäßig und nach ärztlicher Angabe eingenommen, kann dies schwerwiegende Folgen für den Patienten haben. Diese reichen von irreversibler zerebraler Schädigung bis zu lebensgefährlichen Unfällen, beispielsweise durch Stürze oder Ertrinken bei Therapieversagen. Im Jugendalter stellen sich der natürliche Abnabelungsprozess von den Betreuungspersonen und die mit der Erkrankung verbundene Einhaltung der ärztlichen Verordnung als problematisch dar. Hierbei ist es wichtig, auf die besondere Situation der Jugendlichen einzugehen und sie in ihrer Verantwortung zu unterstützen. Für Patienten mit Lern- und geistiger Behinderung ist der Erhalt der Compliance ein ebenfalls betreuungsintensiver Weg. Auch hier sind besondere Strategien nötig, um eine sichere Behandlung zu gewährleisten.

Professor Thilo Bertsche (Mitte) und sein Team.

Leipziger Projekt liefert Lösungsstrategien

Ein interdisziplinäres Projekt der Arbeitsgruppe Klinische Pharmazie von Professor Thilo Bertsche in Zusammenarbeit mit der Universitätskinderklinik Leipzig (Professor Wieland Kiess, Professor Andreas Merkenschlager) und der Klinikapotheke (Dr. Roberto Frontini) soll die Sicherheit bei der Arzneimittelgabe an Kinder mit Epilepsie erhöhen. Interdisziplinäre Versorgungsstrukturen, wie beispielsweise auch des neu gegründeten universitären Sozialpädiatrischen Zentrums (Dr. Astrid Bertsche), sollen für eine schnittstellenübergreifende Betreuung genutzt werden. Das Projekt wird von der Lesmüller-Stiftung München und der Förderinitiative Pharmazeutische Betreuung Berlin gefördert und in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Landesapothekerkammer durchgeführt.

Im Rahmen eines klinischen Medikationsmanagements wird ein Klinischer Pharmazeut Medikationsfehler identifizieren und Maßnahmen zur Vermeidung von Anwendungsproblemen gemeinsam mit Ärzten und Sorgeberechtigten erarbeiten. Zudem soll Aufklärungsarbeit zu deren Befürchtungen und Hoffnungen geleistet werden, um negative Einflüsse auf die Therapie zu verhindern. Bereits während des stationären Aufenthaltes sollen Grundlagen für eine gute Anwendung der Arzneimittel durch Eltern und Kinder gelegt werden. Dabei sollen theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten nachhaltig verbessert und Tipps zur richtigen Anwendung gegeben werden. Neben der Prävention von Medikationsfehlern sollen auch die Häufigkeit von Wiederaufnahmen ins Krankenhaus als Folge von Fehlanwendungen oder Complianceproblemen vermindert werden.

Autoren:

Apothekerin Pia Schumacher, Apothekerin Almuth Kaune, Apothekerin Martina P. Neininger, Dr. med. Astrid Bertsche, Dr. med. Matthias K. Bernhard, Dr. med. Steffen Syrbe, Dr. rer. nat. Roberto Frontini, Prof. Dr. med. Andreas Merkenschlager, Prof. Dr. med. Wieland Kiess und Prof. Dr. rer. nat. Thilo Bertsche

Kontakt:

Prof. Dr. rer. nat. Thilo Bertsche
Klinische Pharmazie
Institut für Pharmazie
Universität Leipzig
Eilenburger Str. 15a
04317 Leipzig
Sekretariat Kerstin Görz / Sandra Paule:
Tel.: 0341 9736600
klinische.pharmazie(at)uni-leipzig.de
www.uni-leipzig.de/~pharm/klipha/