Rabattverträge

oder: „Wie vernichte ich mutwillig ein funktionierendes System?

Es war einmal …

... ein Gesundheitssystem in Deutschland, da ging der Patient zum Arzt. Dort wurde er untersucht, der Arzt stellte eine Diagnose und verordnete ein geeignetes Medikament. Dann ging der Patient in seine Apotheke und bekam dieses Medikament. Schließlich ging der Patient nach Hause und nahm dieses Medikament, damit es ihm wieder besser geht.

Dann kamen Politiker an die Macht, die Freude daran haben, Gesetze zu erlassen, die alles anders, aber selten etwas besser machen. Nun geht der Patient zum Arzt, wird dort untersucht und bekommt vielleicht auch Medikamente verordnet. Wenn der Patient nun in die Apotheke geht, erhält er häufig nicht mehr das Medikament, das der Arzt verordnet hat, sondern der Apotheker muss herausfinden, mit welcher Firma die Krankenkasse des Patienten einen Vertrag geschlossen hat, um dann dem Patienten so genannte „Rabattvertragsmedikamente“ zu geben.

Mit der Folge, dass viele Patienten so verunsichert sind, dass sie ihre Medikamente erst gar nicht mehr einnehmen. Und dann wird es so richtig teuer, denn dann sind beispielsweise teuere Krankenhausaufenthalte die Folge.

Und die Moral von der Geschicht’? Vertraue diesen Politikern nicht!

Sarkasmus beiseite: Was ist geschehen?

Mit den heutigen Krankenkassenbeiträgen ist das Gesundheitssystem nicht mehr finanzierbar. Eine steigende Lebenserwartung der Bürgerinnen und Bürger, immer ausgefeiltere und damit auch oft teurere Behandlungsmöglichkeiten, aber auch kapitale Fehler der Politik (so z.B. die Tatsache, dass in Deutschland der Staat durch die volle Mehrwertsteuer auf Arzneimittel mehr an Medikamenten verdient als alle Apotheken zusammen!) machen es erforderlich, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen.

Mit der letzten Gesundheitsreform wurden nicht nur die Zwangsrabatte, die die Apotheken an die Krankenkassen zu zahlen haben, um 15 % erhöht, sondern die Krankenkassen wurden aufgefordert, mit der Pharmaindustrie Verträge über Zusatzrabatte abzuschließen.

Die Ergebnisse dieser Verhandlungen sind verheerend:

  • Einige der Vertragsfirmen sind ausländische Firmen, das heißt, in der deutschen Pharmaindustrie entfallen zahlreiche Arbeitsplätze, was natürlich wiederum das deutsche Sozialsystem schädigt. Für den Patienten bedeutet das, dass mittelfristig die Sozialversicherungsbeiträge weiter steigen werden.
  • Bei mehr als 300 Krankenkassen mit ihren jeweiligen Vertragsherstellern entsteht eine Datenflut, die selbst von den modernen EDV-Systemen in den Apotheken nur schwer zu bewältigen sind. Für den Patienten bedeutet dies Wartezeiten in den Apotheken, an denen die Apotheken zwar nicht schuld sind, aber der Patient ist dennoch verärgert.
  • Einige der Vertragsfirmen hatten bisher einen Marktanteil von weniger als 2 Prozent und können die nun verstärkte Nachfrage nicht ansatzweise abdecken. Für den Patienten bedeutet das, dass er unter Umständen ständig wechselnde Präparate bekommt, je nachdem, welche „Vertragsfirma“ gerade zufällig lieferbar ist. Manche Präparate sind heute seltener lieferbar als es damals Bananen in der DDR waren.
  • Unfassbar, aber wahr: Der Gesetzestext ist wieder einmal derart schlampig verfasst, dass es auch noch unterschiedliche Interpretationen gibt. So können mit pharmazeutischem Sachverstand allenfalls gleiche Arzneiformen gegeneinander ausgetauscht werden, also die Tabletten der Firma A gegen die Tabletten der Firma B, sofern diese Tabletten identisch sind. Manche Krankenkassenfunktionäre behaupten allerdings, dass die Arzneiform völlig egal sei, was zu der grotesken Situation führt, dass der Patient plötzlich Kapseln statt Tabletten bekommt oder gar Tabletten teilen soll, die überhaupt nicht teilbar sind!
  • Genauso grotesk ist auch, dass es Krankenkassen gibt, die nicht nur für Wirkstoffe, sondern auch noch für jede einzelne Stärke Rabattverträge ausgehandelt haben. Das bedeutet für den Patienten, dass er unter Umständen bei der 50 mg-Tablette Firma A bekommen muss, bei der 100mg-Tablette Firma B.

 

Es ist der absolute Wahnsinn, und es wird immer unübersichtlicher!

Nun gibt es Patienten, die unbedingt ihr gewohntes Medikament bekommen
möchten und anbieten, eventuelle Preisdifferenzen (meist im Cent-Bereich!)
selbst zu begleichen. Unglaublich, aber wahr: Das ist NICHT zulässig!!! Der Apotheker darf unter keinen Umständen ein anderes als das von der Krankenkasse vorgeschriebene Medikament abgeben! „Freundschaftliches Mogeln“ ist übrigens nicht möglich, denn das Apothekensystem ist derart transparent, dass eine derartige Vorgehensweise unweigerlich auffallen würde. Für den Apotheker heißt das dann, dass er nicht nur keinen Cent von der Krankenkasse bekommt, sondern auch noch ein Strafverfahren eingeleitet werden kann.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Arzt das Medikament auf Privatrezept verordnet und der Patient das Medikament komplett zahlt. Diese Vorgehensweise wird von den Krankenkassen unterschiedlich beurteilt und kann deshalb ebenfalls nicht pauschal empfohlen werden.

Letzte Möglichkeit wäre, dass der Arzt auf dem Kassenrezept das „Aut-idem-Kreuz“ setzt. Dadurch ist sichergestellt, dass der Patient exakt das verordnete Medikament bekommt – ohne Rücksicht auf Rabattverträge. Doch Vorsicht! Wenn der Arzt nicht detailliert nachweisen kann, dass der Patient das Präparat einer bestimmten Firma benötigt, dann holt sich die Krankenkasse das Geld vom Arzt zurück und kürzt sein Honorar. Und der erforderliche Nachweis ist in den allermeisten Fällen praktisch unmöglich – also ist das auch keine generelle Lösung!

Was nun?
In vielen Fällen – so zum Beispiel bei Antibiotika oder bei vielen Schmerzmitteln – ist es weitgehend unerheblich, von welcher Firma ein Präparat hergestellt wird, solange der vom Arzt verordnete Wirkstoff enthalten ist. Hier sind die Rabattverträge zwar bürokratisch extrem lästig, aber therapeutisch völlig unproblematisch, und der Patient braucht sich keinerlei Sorgen zu machen.

Kritisch wird es bei Präparaten mit besonderer „Bioverfügbarkeit“ oder „geringer therapeutischer Breite“ oder spezieller „Freisetzung“. Hinter diesen Fachbegriffen verbergen sich komplizierte pharmakologische oder technologische Vorgänge. Hier kann der Wechsel des Präparates ungeahnte Folgen für den Patienten haben.

Beispiele sind bestimmte Herzmedikamente, bestimmte Schilddrüsenpräparate oder bestimmte Medikamente, die in der Neurologie, z. B. bei Epilepsie, eingesetzt werden.
Hier ist es unter Umständen erforderlich, dass die Apotheke mit dem verschreibenden Arzt Rücksprache hält, und besonders wichtig ist, dass der Patient eventuelle Probleme sofort Arzt UND Apotheker mitteilt.
Aus pharmazeutisch-medizinischer Sicht ist es grober Unfug, sauber eingestellte Patienten auf andere Präparate umzustellen – vor allem, weil die „Rabattarzneimittel“ unter Umständen kaum billiger sind als die gewohnten Medikamente.
Im Zweifelsfall kann es dann Sinn machen, bei der zuständigen Krankenkasse die Erstattung eines bestimmten Präparates zu beantragen und sich die Kostenübernahme schriftlich (!) bestätigen zu lassen.

Soweit ein paar grundlegende Informationen zu dem Chaos, das durch völlig praxisfremde Gesetze und Durchführungsbestimmungen hervorgerufen wurde.
Zu den riesigen Nebenwirkungen fragen Sie gerne Ihren Arzt oder Apotheker, Beschwerden richten Sie aber bitte an die verantwortlichen Funktionäre der Krankenkassen (die Sachbearbeiter vor Ort können nichts dafür!) und an die Politiker, die diese Gesetze mehrheitlich durch den Bundestag gewunken haben.

 

Kontakt
Dr. Ralf Schabik
Wallenstein-Apotheke Altdorf e.K.
Oberer Markt 21
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