Themenabend in Tübingen

Referenten und Moderator des Tübinger Themenabends: Dipl.-Psych. Irene Steiner-Wilke, Dr. med. Susanne Ruf, Ärztin, Dr. med. Markus Wolff, Oberarzt (alle Universitätsklinik für Kinder- u. Jugendmedizin, Tübingen) sowie Dr. Karl Theodor Kleinknecht, Pfarrer an der Stiftskirche Tübingen (v.l.)

Am 15.07.14 fand im Gemeindehaus Lamm in Tübingen wieder der alljährliche Vortragsabend unter dem Thema „Kinder und Epilepsie“ statt - wie immer organisiert von der Selbsthilfegruppe FAKT (Familien anfallskranker Kinder Tübingen) und dem Förderverein der Kinder-Epilepsie-Ambulanz Tübingen e.V. Moderiert wurde der Abend von Herrn Dr. Kleinknecht, Pfarrer an der Stiftskirche Tübingen, der seit vielen Jahren persönliche Kontakte zum Förderverein hat. Alle drei Referenten sind an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen tätig.
Die Vortragsreihe eröffnete Frau Dr. med. Susanne Ruf zum Thema „Neue Medikamente“: So erfuhr man, dass das Brom als erstes Medikament gegen Epilepsie im Jahr 1857 zugelassen wurde und auch heute noch, wenn auch selten, eingesetzt wird. Anhand von Schaubildern erklärte sie, wie die Medikamente im Gehirn an den Zellmembranen und -verbindungen wirken.

Von der Entwicklung bis zur Zulassung eines Medikaments dauert es ca. 14 Jahre. Die Medikamente werden in klinischen Studien zunächst an Erwachsenen getestet und zugelassen, bevor sie auch bei Kindern eingesetzt werden. Leider ist es bis heute noch nicht möglich, die Ursachen einer Epilepsie zu behandeln, sondern nur die Anfälle als Symptom der Grunderkrankung, indem man versucht, die Aktivität der Gehirnzellen zu dämpfen. Man weiß zwar aus Erfahrung, welches Medikament bei welcher Epilepsieform am besten wirkt. Wünschenswert wäre es aber, wenn man die individuellen Nebenwirkungen und die zu erwartende Wirkung am Patienten schon vor der Medikamentengabe anhand einer Blutuntersuchung feststellen könnte. Der Weg geht dorthin, aber leider ist die Forschung noch nicht so weit.

Dies machte auch der zweite Referent des Abends, Dr. med. Markus Wolff, deutlich. Er berichtete über neue genetische Erkenntnisse: Nur 1-2 % aller Epilepsien sind ausschließlich genetisch bedingt. Ca. 30 % sind Mischformen aus Genetik und äußeren Einflüssen. Der größere Teil der Epilepsien ist nach heutigem Wissensstand nicht genetisch verursacht. Es ist heute möglich, die Chromosomen so weit zu entschlüsseln, dass auch kleinste Defekte der DNA, die Auswirkungen z. B. auf die Funktion von Ionenkanälen in der Zellmembran haben können, entdeckt werden. Was die Computertechnik allerdings in kürzester Zeit entschlüsseln kann, muss der Mensch in vielfach längerer Zeit mühsam auswerten und beurteilen.

Für einen kleinen Teil der genetisch bedingten Epilepsien ist es heute schon möglich, ganz gezielt wirkende Medikamente einzusetzen und somit auch zu wissen, welche Medikamente kontraindiziert sind. Ein genetischer Test kann immer mehr Eltern angeboten werden. Dieser soll helfen, die Diagnose zu sichern, die Ursachen zu klären, eine gezielte Therapie einzuleiten und eine Prognose zum Krankheitsverlauf stellen zu können. Das Einverständnis hierzu muss aber gut überlegt sein, da die Resultate der genetischen Untersuchung Schuldgefühle zur Folge haben können, umgekehrt diese aber auch nehmen könnten.

Zum Thema „Ängste im Umgang mit Epilepsie“ erläuterte Frau Dipl.-Psych. Irene Steiner-Wilke, was Angst ist und wie man damit umgehen kann: Angst ist etwas Natürliches und dient dem Selbstschutz des Menschen. Familien, die ein epilepsiekrankes Kind haben, entwickeln oft viel mehr Ängste als Eltern gesunder Kinder, die zum Teil auch berechtigt sind. Die Gefahren im Alltag sind größer, es resultiert oft eine Überbehütung. Die Angst vor der Zukunft ist größer, da niemand weiß, wie sich die Krankheit weiter entwickelt. Oft ziehen sich Freunde und Bekannte zurück, da auch sie unsicher im Umgang mit der Krankheit sind. Die Familien vereinsamen. Die Betroffenen selbst haben Angst, da ein Anfall in der Regel den Verlust der Selbstkontrolle bedeutet. Frau Steiner-Wilke gab aber auch Tipps, wie man solchen Ängsten begegnen kann. Vor allem durch den Erwerb von Wissen ist dies möglich. Wissen kann man sich unter anderem aneignen durch Schulungen für Menschen mit Epilepsie, die u. a. auch an der Kinderklinik in Tübingen durchgeführt werden (FAMOSES) oder auch durch Austausch in Selbsthilfegruppen.

Information und ein offener Umgang mit der Krankheit sind wichtig in Bezug auf Kindergarten, Schule, Lehrer, Erzieher und das soziale Umfeld. Nicht zuletzt gibt es für Betroffene die Möglichkeit, Verhaltenstherapien zu erlernen. Die Kosten für diese Therapien werden meist von den Krankenkassen übernommen. Wichtig ist auch, sich trotz aller Probleme immer wieder auch die schönen Seiten des täglichen Lebens bewusst zu machen.

Im Anschluss an eine kleine Pause, bei der man sich dank einer Spende der Bäckerei Padeffke stärken konnte, war für die zahlreichen Besucher noch Gelegenheit, Fragen an die Referenten zu stellen und zu diskutieren.

Vreni Dominguez,

Selbsthilfegruppe F.A.K.T.

 

Kontakt:

Selbsthilfegruppe F.A.K.T.
Familien Anfallskranker Kinder Tübingen
Gabriele Niederwieser
Saint-Claude-Straße 16
72108 Rottenburg
Tel.: 07472 42384
fakt-elterntreff(at)t-online.de
www.fakt-elterntreff.de


Bild – Quelle: SHG F.A.K.T.