Verunsicherung und Mehrbelastung bei Epilepsie-Patienten durch Arzneimittel-Rabattverträge und Medikamenten-Austausch

- Ergebnisse einer Therapiebegleitstudie mit über 1.300 Epilepsie-Patienten

Die Suche nach Einsparmöglichkeiten ist typisch für die aktuelle Lage des deutschen Gesundheitswesens. Leidtragende zahlreicher Gesetzesänderungen oder neuer Verträge sind letztendlich oft die Patienten bzw. Versicherten. Um z. B. die Arzneimittel-Ausgaben zu senken, gibt es seit Juli 2002 die so genannte Aut idem-Regelung. Sie verpflichtet den Apotheker dazu, an Stelle des vom Arzt verordneten Medikamentes ein preisgünstigeres vergleichbares Arzneimittel an den Patienten abzugeben, wenn der Arzt dies durch das Setzen des Aut idem-Kreuzes auf dem Rezept nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat.

2007 folgte die erste gesetzliche Regelung zur Vereinbarung der Rabattverträge. Diese sind Abkommen, die zwischen den Arzneimittelherstellern und den gesetzlichen Krankenkassen abgeschlossen werden und die exklusive Belieferung der Versicherten mit bestimmten Arzneimitteln des Herstellers regeln. Im April 2008 schließlich wurden die Gesetze noch deutlich ausgeweitet. Die Abgabe eines Rabattarzneimittels durch den Apotheker muss immer dann erfolgen, wenn der gleiche Wirkstoff in gleicher Wirkstärke, Packungsgröße und Darreichungsform vorliegt und für denselben Erkrankungsbereich zugelassen ist.

Von dem verpflichtenden Medikamenten-Austausch kann vom Apotheker nur abgesehen werden, wenn es sich um Fälle der Akutversorgung handelt, er Notdienst hat, der Arzt das Aut idem-Kreuz auf dem Rezept gesetzt hat, oder wenn der Apotheker so genannte „Pharmazeutische Bedenken“ äußert. Um „Pharmazeutische Bedenken“ kann es sich handeln, wenn der Apotheker der Meinung ist, dass durch den Präparateaustausch trotz zusätzlicher Beratung des Patienten der Therapieerfolg oder die Arzneimittelsicherheit im konkreten Einzelfall gefährdet sind. Der Apotheker muss also in bestimmten Situationen abwägen, ob er das ursprünglich verordnete Medikament gegen ein Rabatt-begünstigtes Arzneimittel austauscht oder nicht. Die gesetzlichen Regelungen hierzu sind allerdings unzureichend und dies führt zu einer großen Verunsicherung bei den Patienten und allen anderen Beteiligten.

Es gibt bestimmte Erkrankungen, bei denen ein Medikamenten-Austausch aufgrund der neuen Regelungen zur Abgabe von Arzneimitteln in Apotheken problematisch ist. Dies trifft vor allem auf Patienten mit einer medikamentösen Langzeittherapie, wie zum Beispiel Epilepsie-Patienten, zu. Epilepsien zählen zu der Gruppe von Erkrankungen, bei denen zumindest bei bereits gut eingestellten Patienten ein Medikamenten-Austausch zu schweren Komplikationen (Wiederauftreten von Anfällen, unerwünschten Nebenwirkungen etc.), führen kann. Führende Epilepsie-Experten raten von einem unkontrollierten Medikamenten-Austausch bei Epilepsie-Patienten ab und empfehlen den Ärzten, bei Verordnungen mit Epilepsie-Medikamenten das Aut idem-Kreuz zu setzen1).

Im Herbst 2009 ließ nun die Firma Desitin Arzneimittel GmbH, Hamburg, durch das „Deutsche Apothekenportal“ in Apotheken eine Therapiebegleitstudie bei Epilepsie-Patienten und Apothekern durchführen. Im Vordergrund der Studie standen die Compliance des Patienten (= Kooperation des Patienten im Rahmen der Therapie) sowie die Erfahrungen, die seitens der Betroffenen hinsichtlich eines Arzneimittel-Austausches vorlagen. Insgesamt beteiligten sich 1.308 Epilepsie-Patienten, und 121 Apotheker an der Untersuchung. Einige ausgewählte Ergebnisse dieser Befragung in der Epilepsie sind im Folgenden dargestellt.
Ergebnisse

Studienergebnisse der Patientenbefragung in den Apotheken


Von 1.116 Patienten hatten nur 20% ihr jeweiliges Epilepsiepräparat zum ersten Mal erhalten und 85% von 875 Befragten nahmen das Medikament bereits seit mindestens einem Jahr ein. Dabei kam die Mehrzahl aller Patienten mit der Medikamenteneinnahme gut zurecht, vertrug das Arzneimittel gut und fühlte sich meist gut eingestellt. Auch wenn die Einnahme nicht bei allen
Betroffenen zu einer dauerhaften Anfallsfreiheit führte, so hatte sich ihre Angst vor neuen Anfällen durch die Langzeittherapie mit dem gewohnten Antiepileptikum doch deutlich verringert.

Bei der Frage, wie wichtig es ihnen sei, dass in der Apotheke kein Austausch des verordneten bewährten Medikamentes gegen ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel erfolgt, gaben 88% von 1.115 Befragten an, dass es ihnen „sehr wichtig“ oder „wichtig“ sei. Große Verunsicherung äußerte sich in den starken Bedenken bei 83% von 1.108 Patienten hinsichtlich eines eventuellen Medikamentenaustausches. Dabei war die Angst vor einem Wiederauftreten von Anfällen, vor Nebenwirkungen und vor Unverträglichkeitsreaktionen am größten.

Unabhängig von dieser stark ausgeprägten Verunsicherung zeigten sich gravierende Auswirkungen eines bereits stattgefundenen Medikamenten-Austausches bei den Patienten. So traten bei 36% von 1.105 Epilepsie-Patienten nach einer Umstellung auf ein anderes Epilepsiepräparat schon einmal Komplikationen auf (Abb. 1). Dabei handelte es sich zu 50% um vermehrte Anfälle, zu 32% um Übelkeit und Erbrechen, zu 31% um Kopfschmerzen, zu 30% um Schwindel, zu 25% um Müdigkeit und zu 23% um andere Probleme.

Schließlich gaben 84% von 1.042 Befragten an, dass sie bei einer Folgeverordnung wieder das gleiche Epilepsiepräparat erhalten wollten. Insgesamt 49% der Patienten berichteten außerdem davon, darauf zu achten, dass ihr Arzt das Aut idem-Kreuz gesetzt hat, und nahezu ebenso viele forderten, dass sie in der Apotheke exakt das verordnete Medikament erhalten, auch wenn der Arzt das Aut idem-Kreuz nicht gesetzt hat (Abb. 2).

Auswertung der Apothekerbefragung


Wichtig für die gute Wirksamkeit und Effektivität einer medikamentösen Epilepsietherapie ist auch die Compliance der Patienten. Diese Ansicht vertraten alle der 121 befragten Apotheker bei der Frage, wie wichtig es ihrer Meinung nach für die Compliance der Epilepsie-Patienten ist, dass sie auch bei Folgeverordnungen das gleiche Medikament erhalten und kein Austausch gegen ein wirkstoffgleiches Präparat erfolgt (Abb. 3).

Wird im Rahmen „Pharmazeutischer Bedenken“ das verordnete Arzneimittel – statt eines rabattierten – abgegeben, so muss der Apotheker dies durch das Aufbringen einer besonderen Pharmazentralnummer (PZN) und einer stichwortartigen Begründung für die Nichtabgabe des rabattierten Arzneimittels auf dem Verordnungsblatt vermerken. Alle an der Studie teilnehmenden Apotheker wurden befragt, ob sie bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen, wie Epilepsie, diese Möglichkeit nutzen und das verordnete Präparat auch ohne Aut idem-Kreuz des Arztes abgeben.77% der befragten 121 Apotheker bestätigten diese Vorgehensweise, 23% verneinten die Frage.

 

Fazit


Die Ergebnisse der Therapiebegleitstudie Epilepsie machen deutlich, dass die neuen gesundheitspolitischen Regelungen, wie die Einführung von Rabattverträgen und der damit verbundene häufige Arzneimittel-Austausch, große negative Auswirkungen auf die Patienten hat. Dabei handelt es sich überwiegend um zusätzliche gesundheitliche Probleme und soziale Belastungen. Die Befragung der Epilepsie-Patienten zeigt aber auch, dass ein plötzlicher unkontrollierter Medikamenten-Austausch zu einer ausgeprägten Verunsicherung der Betroffenen führt. Die meisten Patienten haben große Bedenken, wenn es um die Frage eines möglichen Wechsels von ihrem bekannten Medikament auf ein anderes Präparat geht. Die Angst vor erneuten Anfällen, vor Nebenwirkungen und Unverträglichkeitsreaktionen stehen dabei an erster Stelle. Dass diese Angst nicht unbegründet ist, lässt sich an den Problemen nach einer bereits erfolgten Umstellung erkennen. Wie befürchtet, ruft sie bei vielen Epilepsie-Patienten Komplikationen, wie vermehrte Anfälle, Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und anderes, hervor. So ist es auch nicht verwunderlich, dass offensichtlich fast alle Patienten bei einer Folgeverordnung wieder das gleiche Epilepsie-Präparat erhalten wollen, das ihnen vertraut ist. Immer mehr Betroffene wollen sich augenscheinlich den neuen gesundheitspolitischen Gesetzesregelungen auch nicht mehr einfach unterwerfen und einem unkontrollierten Medikamentenaustausch schutzlos ausgeliefert sein. Dies zeigt sich auf der einen Seite daran, dass sie zunehmend von sich aus bereits bei der Rezeptausstellung auf das Setzen des Aut idem-Kreuzes durch ihren Arzt achten. Auf der anderen Seite wird auch die Forderung der Patienten nach Beibehaltung der bewährten Medikation immer lauter, selbst dann, wenn das Aut idem-Kreuz fehlt.

Durch die Anwendung „Pharmazeutischer Bedenken“ hat der Apotheker die Möglichkeit, bei der Arzneimittelausgabe mitzuwirken und in einzelnen Fällen, z. B. bei Epilepsie-Patienten, von der Abgabeverpflichtung rabattierter Arzneimittel abzusehen. Doch vor allem die Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen hält immer noch viele davon ab, dies zu tun. Die Studie macht deutlich, dass es nicht ausreicht, die neuen Regelungen im Gesundheitswesen nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bzw. unter dem Aspekt der Einsparmöglichkeiten zu betrachten. Die Konsequenzen und die zusätzlichen gesundheitlichen Probleme für die Patienten müssen mehr berücksichtigt werden. Die Politik wäre gut beraten, zum Wohle der Patienten Alternativmodelle zu prüfen. (drs)
Abb. 3: Frage aus Therapiebegleitbogen ›Apotheker‹
1) Quelle: Aut idem – Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie e. V. April 2008; Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie 2008

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Quellenangabe:
Quelle: Nach Originalbeitrag: "Verunsicherung und Mehrbelastung bei Epilepsie-Patienten durch Arzneimittel-Rabattverträge und Medikamenten-Austausch “ erstveröffentlicht in der Zeitschrift „EpiNews – Magazin“ Ausgabe März 2010 (© www.Medizin-Medienverlag.de).