Wenn Exorzisten zweimal klingeln

Sophie

Anfang des Jahres wurde ich von einer Krankheit überrumpelt, die plötzlich Besitz von meinem Körper ergriffen hatte und die mich - völlig verwirrt, völlig desorientiert und mit völlig gebrochenem Nasenbein - auf dem Fußboden meines Wohnzimmers zu mir kommen ließ.

Durch die Benachrichtigung des Notarztes wurde ich als „Ohnmacht mit unbekannter Diagnose“ ins Krankenhaus eingeliefert, wo sich nach einer unglaublich nervenzehrenden Odyssee mit einem unvorstellbaren Untersuchungsmarathon endlich eine Ursache finden ließ: Ein epileptischer Anfall.

Epileptischer Anfall? Was ist das denn?
Auch wenn man bei einem einmaligen Anfall noch nicht von Epilepsie sprechen kann, war ich gezwungen, mich mit diesem unbekannten Thema auseinanderzusetzen. Erst recht, als Anfall zwei und drei nicht allzu lang auf sich warten ließen - erfreulicherweise ohne einen weiteren Nasenbeinbruch, aber zumindest mit ein paar blauen Flecken und Prellungen.

Laut neurologischer Definition ist Epilepsie eine Funktionsstörung des Gehirns, bei der so viele Nerven gleichzeitig aktiviert werden, dass es zu einem Kurzschluss kommt - mit anschließendem Stromausfall. Was das genau bedeutet, lässt sich am besten am Beispiel des “Déjà-vu” erklären. Denn genaugenommen ist dies nichts anderes als eine solche, wenn auch sehr minimale, Funktionsstörung - eine Art Mikroanfall, bei dem sich ein Erlebnis in der Gegenwart mit einem vermeintlich identischen Erlebnis aus der Vergangenheit zu überlagern scheint. Tatsächlich ist dies, aus neurologischer Sicht, nur eine Fehlzündung von Synapsen.

Passiert das, wie ich bei meinem Anfall ohne Bewusstseinsverlust mitverfolgen konnte, mit mehreren identischen und unterschiedlichen Geschichten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig, die dann versuchen, zu einer Geschichte zu verschmelzen, spricht man von einem epileptischen Anfall.

„Es ist, als würdest du 10 Filme gleichzeitig schauen, mit 10 Leuten gleichzeitig reden, zu 10 Liedern gleichzeitig tanzen und an 10 Orten gleichzeitig sitzen, liegen und stehen. Die Handlungen laufen alle parallel und du versuchst sie alle zu verfolgen. Das ist der Moment, in dem du das Bewusstsein verlierst und anfängst deinen Körper stakkato-artig zu bewegen, weil du gar nicht weißt, wo du zuerst hinsollst und wo du zuerst anfangen willst“ - ein gefundenes Fressen für Horrorfilm-Produzenten und ambitionierte Exorzisten. Denn tatsächlich gehen diese Anfälle mit Krampfungen, Zuckungen und seltsamen Geräuschen einher.

Wer also früher als “von Geistern (oder gar dem Teufel selbst) besessen” an den Pranger gestellt wurde, hatte vermutlich “nur” einen epileptischen Anfall. Eine Erkrankung, die somit nicht nur etwas unschön, sondern tatsächlich auch unheimlich aussieht.

Das wesentlich größere und hauptsächliche Problem ist jedoch das hohe Verletzungsrisiko und je nach Anfallsdauer und Krankheitsintensität eine mögliche Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.

Das bedeutet in erster Linie ein Jubelschrei für die Pharmaindustrie, die mich zukünftig dauerhaft mit Tabletten versorgen darf, um weitere Anfälle zu unterbinden. Damit lässt sich aber, nach erfolgreicher Einstellung, ein ganz normales und sehr wahrscheinlich auch anfallsfreies Leben führen.

Das Leben muss sich also, trotz gesundheitlichem Kontrollverlust, nicht zwangsläufig ändern, es kommt lediglich drauf an, wie man mit diesen Veränderungen umgeht.

Und sollte die Epilepsie mein einziges gesundheitliches Schicksal sein, sage ich „danke dafür!“ und nehme es gerne an, ohne dass neben den Zeugen Jehovas und dem Postboten nun auch noch die Exorzisten zweimal klingeln.

Jasmin Bode alias Sophie