Aggressive Patienten:

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"Danke, dass Sie mich beschimpfen!"

In der Pandemie brauchen Ärzte ein extradickes Fell. Schimpftiraden, Vorwürfe und Drohungen: Womit mich manche Patienten aktuell so richtig wütend machen.

 

Ich sitze an einem Artikel über den Umgang mit Aggressionen in der Hausarztpraxis. Bei der Recherche zu Zahlen und Fakten stoße ich auf eine Seite, die offenbar wertvolle Tipps für den Umgang mit unentspannten Patienten geben möchte.

 

Ich muss mir beinahe verwundert die Augen reiben, als ich sie lese: „Bitte und Danke sind Zauberworte“, lautet einer der Ratschläge. Aha. Dann in etwa so: „Danke, dass Sie mich beschimpfen!“ oder alternativ „Bitte, drohen Sie mir nochmal.“

 

Ein weiterer Tipp lautet: „Sorgen Sie für eine angenehme Atmosphäre und vermeiden Sie Wartezeiten.“

 

Deeskalation: Unser neues Spezialgebiet

Das wäre großartig. Dann bräuchte ich aber acht Arme und vier Köpfe. Mit solchen körperlichen Updates (Schwesterfraudoktor 2.0) ginge das vielleicht. Solange ich aber jedem Patienten die Zeit geben möchte, die man für ein gutes Arztgespräch benötigt, lassen sich Wartezeiten manchmal nicht vermeiden.

 

Gerade in unseren Pandemiezeiten sind akute Besuche und überfüllte Infektsprechstunden an der Tagesordnung, dazu kommen die Anfragen zu Impfterminen, Beratungen hierzu und die Impftage an sich, an denen keine reguläre Basisversorgung aufrecht erhalten werden kann.

 

Der nächste Ratschlag lautet: „Seien Sie freundlich am Telefon.“

 

Schimpftiraden aus dem Telefonhörer

No shit, Sherlock. Alle, wirklich alle Mitarbeitenden von Arztpraxen, die ich kenne, berichten von MFA, die täglich angeblafft werden und dennoch ihr sonniges Gemüt behalten, jedenfalls an der Strippe und im Umgang mit den Patienten. Sie sind diejenigen, die uns Ärzten den Rücken freihalten und genau wissen, wie sie am Telefon mit Anrufenden reden müssen. Es wird deeskaliert, erklärt, sich Zeit genommen. Mit „Bitte“ und „Danke“. Um mit dem nächsten Anruf wieder einen Rüffel zu bekommen, weil man nicht schneller ans Telefon ging.

 

Es ist manchmal nicht mehr lustig, was Menschen im Gesundheitswesen ein-stecken müssen, egal ob in den Kliniken, dem Rettungswesen oder in den Arztpraxen. Und wer hat’s verbockt? Die Politik war’s.

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Hass gegen Arztpraxen – leider normal

Jedenfalls ist sie meines Erachtens an der deutlichen Zunahme von verbaler und medialer Aggression schuld, zum Beispiel in sozialen Netzwerken sowie in und gegen Arztpraxen. Es werden Erwartungen geweckt, die nicht mal eben so zu erfüllen sind („Alle Menschen ab 18 Jahren werden von ihren Hausärzten geboostert!“) und auch nicht mit den Arztpraxen abgestimmt werden.

 

In einigen Phasen der Pandemie bekamen die „Niedergelassenen“ meist genau wie die Patienten sehr kurzfristig die Informationen, ob Impfstoffe plötzlich kontingentiert werden. Oder dass wir einfach mal alle in Deutschland impfen sollen, denn schließlich „wollten Ärzte das so“. Politische Stimmen meckerten sogar, wir sollten samstags mal lieber impfen, statt auf dem Golfplatz zu stehen.

 

Wie kann man den Menschen beibringen, dass wir alles getan haben und tun, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wenn selbst die politische Obrigkeit ein solch schlechtes Licht auf uns wirft? Oder eine Erwartungshaltung weckt, die organisatorisch und personell nicht erfüllt werden kann?

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Ein Patient, der mich auf die Palme bringt

„Ihr habt mich überhaupt nicht mehr angerufen!“, blaffte mich beispielsweise ein Patient unvermittelt an, als ich ihm eine Influenza-Impfung verabreichte. Noch mit der Nadel in seinem Deltoideus überlegte ich, was er gemeint haben könnte, ob ich einen Rückruf vergessen hatte oder was wir falsch gemacht haben.

 

„Wieso muss ich mich selbst um einen neuen Termin für die Booster-Impfung kümmern?“, führte er seine Schimpftirade aus.

 

Ich war erst einmal verdutzt ob der plötzlichen verbalen Attacke und seines Anspruchs. Es lag mir auf der Zunge, ihm zu sagen: „Wir sind nicht Ihre Dienstboten. Außerdem können wir nicht auffangen, was die Politik vergeigt hat.“ „Weil ihr mich ja nicht angerufen habt!“ Doch wohlwissend, dass dies keinen guten Effekt auf unsere Kommunikation gehabt hätte, versuchte ich zu deeskalieren: „Es ist viel los aktuell, wir können leider nicht alle Patienten anrufen, um Termine zu vereinbaren. Haben Sie denn inzwischen einen Termin bekommen?“

 

Er nickte. „Bei der Stadt habe ich einen. Weil ihr mich ja nicht angerufen habt!“ Ich ignorierte den erneuten Vorwurf und lobte: „Das ist doch prima. Super, dass Sie sich darum gekümmert haben!“ „Ja. Weil ihr ja nichts gemacht habt.“ Er grummelte immer noch. Schließlich wurde es mir zu bunt und ich antwortete: „Sie sehen, was hier los ist. Wir können auch nicht zaubern.“

 

Alltag bringt mich an meine Grenzen

Das war sicherlich auch nicht die perfekte Kommunikationsstrategie, doch irgendwann komme selbst ich an meine Grenzen.

 

Wie weit darf Unhöflichkeit gehen? Das Beispiel zeigt eine alltägliche Situation, die nicht gefährlich oder brenzlig war. Es ist eine, die man immer wieder erlebt und inzwischen routiniert zu den anderen Unfreundlichkeiten in den gedanklichen Aktenordner packt.

„Brauche Rezept und Termin, Rückruf unter 012345678“, ist eine klassische E-Mail, die weder Grußformel noch Anrede enthält. „Erreiche Euch ums Verrecken nicht.“ Auch nett.

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Morddrohung vom Patienten: Wie bitte?!

Und auch Drohungen kommen im Praxisalltag vor. „Irgendwann erschieß ich Euch alle!“, drohte jemand mal. Die Person war wegen einer Kleinigkeit ausgeflippt. Also wurde deeskaliert. Mal wieder, dabei hätte man bei dieser Drohung auch die Polizei informieren können.

 

Um auf die Ratschläge vom Beginn meines Textes zurückzukommen: Routinierte Deeskalation ist tägliches Geschäft in Arztpraxen. So langsam halte ich das aber für nicht mehr angebracht. Ärzte in Praxen sind keine Dienstleister, die auf Knopfdruck springen müssen. Sondern aktuell die Sicherheitsnadeln der medizinischen Versorgung in Deutschland, die hart auf Kante genäht ist. Es braucht keinen roten Teppich, kein Danke, keinen Beifall und keinen Lavendel. Aber ein wenig Verständnis und Freundlichkeit wäre angebracht – das geben doch fast alle Mitarbeitenden in medizinischen Bereichen in diesen Zeiten schließlich auch.

 

Was ich noch loswerden will

Da ich aber eigentlich auch ein sonniges Gemüt habe, möchte ich den Artikel nicht so negativ enden lassen. Sondern allen Patienten, die aktuell Verständnis und Freundlichkeit für uns Praxen übrig haben, an dieser Stelle ein großes Dankeschön sagen.

 

Irgendwie schaffen wir es, hoffentlich gemeinsam, durch diese Zeit.

 

Schwesterfraudoktor

alias Dr. Ulrike Koock

Dr. Ulrike Koock greift in ihrem Blog auf www.schwesterfraudoktor.de aktuelle Themen aus ihrem Alltag als Landärztin auf – siehe obiger Beitrag. Außerdem erschien im Jahr 2021 ihr Buch „Frau Doktor, wo ich Sie gerade treffe...: Warum ich mit Leib und Seele Landärztin bin“, in dem sie einen unverstellten Einblick in einen turbulenten Alltag voller großer Entscheidungen, mittlerer Katastrophen-Notfälle und kleiner Wunder gibt.