Arbeiten mit Epilepsie

Ein runder Tisch mit allen Verantwortlichen trägt in vielen Fällen zum Erhalt des Arbeitsplatzes bei
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(K)ein Problem?!

 

Arbeiten mit Epilepsie? Geht das? Ist die Arbeitswelt nicht viel zu risikoreich? Und fehlen epilepsiekranke Mitarbeiter nicht häufig am Arbeitsplatz oder sind gar weniger leistungsfähig? Das neue Bundesprojekt TEA unterstützt Arbeitnehmer bei allen Fragen und Problemen rund um die Themen Epilepsie und Arbeit – und zwar kostenfrei.

 

Diesen einen Tag wird Frau K. (46) nie vergessen. Ein ganz normaler Arbeitstag im Kindergarten sollte es für die Erzieherin werden – so wie in den vergangenen 15 Jahren auch. Es ist Nachmittag, als sie am Rande des Spielplatzes steht, um ihre Gruppe zu beaufsichtigen. Die 3-6-Jährigen spielen ganz friedlich im Sandkasten miteinander als Frau K. plötzlich in sich zusammensackt und krampfend am Boden liegt – das Letzte, woran sie sich erinnert, ist das Rufen eines Kindes. Danach klafft eine große Lücke. Als Frau K. wieder zu sich kommt, befindet sie sich im Krankenwagen – ihre Kollegen haben den Notarzt gerufen. Die Diagnose Epilepsie steht schnell fest. Die Behandlung mit Medikamenten beginnt.

 

Seit dem ersten Anfall stürzt Frau K. ungefähr alle 3 Monate, sie krampft und ist nicht mehr ansprechbar. Nach 2 Minuten ist alles vorbei – die Erzieherin ist wieder bei Bewusstsein, ihr Körper erholt sich langsam. Nur die Erschöpfung ist groß und die Kopf- und Muskelschmerzen machen ihr zu schaffen. Doch nach 15 Minuten Pause ist ihr kaum noch etwas von dem Anfall anzumerken und Frau K. kann in der Regel weiterarbeiten. Die Verunsicherung bei ihrem Arbeitgeber ist jedoch groß. Was passiert, wenn Frau K. sich bei einem Sturz verletzt? Darf sie sich überhaupt um Kinder kümmern, wenn sie bei einem Anfall kurz ohne Bewusstsein ist? Und wie sollen die Kinder mit den Anfällen umgehen?

Egal welcher Beruf, das Bundesprojekt TEA (Teilhabe, Epilepsie, Arbeit) hilft weiter
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Ähnlich wie Frau K. geht es vielen epilepsiekranken Arbeitnehmern. In Deutschland haben ca. 550.000 Menschen eine Epilepsie – 5 % bekommen einmal in ihrem Leben einen Gelegenheitsanfall. Dennoch gibt es in der Gesellschaft noch immer viele Vorurteile rund um die Erkrankung. Mangelndes Wissen und Vorbehalte sorgen auch bei Arbeitgebern für viel Unsicherheit im Umgang mit epilepsiekranken Mitarbeitern. Die Angst vor den haftungsrechtlichen Risiken und die Sorge um den Mitarbeiter führen oft dazu, dass Epilepsiekranke seltener eingestellt werden als vergleichbar qualifizierte Mitbewerber.

 

Dabei ist die Epilepsie viel seltener als angenommen ein Risiko – und viele Befürchtungen und Ängste lassen sich mit Aufklärung leicht entkräften. Das Bundesprojekt TEA (= Teilhabe, Epilepsie, Arbeit) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Arbeitsplätze bundesweit zu sichern und die soziale Integration am Arbeitsplatz zu fördern. Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und alle weitere Experten im Arbeitsumfeld können sich mit ihren Fragen und Anliegen an das Projektteam wenden – und zwar kostenfrei!

 

Durch die Projektförderung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie der Inneren Mission München ist es möglich, bundesweit Arbeitsplatzbegehungen durchzuführen und vor Ort individuell zu beraten. Mit der epilepsiespezifischen Expertise zu den Themen Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und -recht und psychosozialer Beratung kann unterstützend mitgewirkt werden. „Wenn sich alle beteiligten Experten im Betrieb an einen runden Tisch setzen und gemeinsam die Situation individuell anschauen, lassen sich meist Lösungen finden, mit denen alle zufrieden sind – Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“, so Peter Brodisch, Leiter des Projekts TEA.

 

Was selbst für Arbeitgeber und auch für Betriebsärzte, die mit Epilepsie bereits Erfahrung haben, die Einschätzung oft besonders schwer macht: Die Erscheinungsformen der chronischen Erkrankung sind vielfältig. Zumeist ist bei einem Anfall das Bewusstsein unterbrochen, es kann dabei zum Sturz oder zu unkontrollierbaren Handlungen kommen. Das Bewusstsein kann jedoch auch erhalten sein, ein Sturz bleibt aus, nur die unkontrollierten Handlungen werden ausgeführt – auch das kann ein Anfall sein und Risiken mit sich bringen.

Für jeden Arbeitsplatz erfolgt eine genaue, speziell auf den Einzelfall abgestimmte Risikoeinschätzung
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Da es im Berufsleben etwa 40.000 unterschiedliche Tätigkeiten gibt und die Epilepsie-Erkrankung zahlreiche Varianten und Formen aufweist, bedarf es immer einer individuellen Betrachtung des Arbeitsplatzes. Welche potenziellen Gefährdungen gibt es? Wie kann mit diesen so umgegangen werden, damit der Arbeitnehmer seine Stelle behalten kann? „In der Praxis erlebe ich immer wieder, dass Unternehmen das Risiko für Gefahren meist viel zu hoch einschätzen“, erklärt Brodisch und fügt hinzu: „Oft sind es kleine Veränderungen, die den Erhalt des Arbeitsplatzes sichern. Und hier wirken wir gerne unterstützend mit.“

 

So kontaktierte auch die Erzieherin Frau K. TEA und bat um Unterstützung im Gespräch mit ihrem Arbeitgeber. Ihr Wunsch war es vor allem, dass sowohl ihr Chef als auch ihre Kollegen über die Epilepsieerkrankung informiert werden und damit viele Sorgen und Vorurteile kleiner werden – beispielsweise, dass sie durchaus leistungsfähig sei und auch keine kognitiven Einschränkungen habe. Zudem konnte TEA den Arbeitgeber darüber informieren, dass Frau K. weiterhin mit den Kindern arbeiten darf. Die einzigen Einschränkungen: Sie darf nicht die einzige Erzieherin in ihrer Gruppe sein. Am runden Tisch wird noch beschlossen, dass auch die Kleinen eine kindergerechte Aufklärung über Epilepsie bekommen und Frau K. in ihrem Büro eine Isomatte mit Kissen liegen hat, wo sie sich nach einem Anfall erholen kann.

 

Frau K.s Arbeitsplatz zu erhalten war dank ihres kooperativen, engagierten Arbeitgebers und eines geringen Gefährdungsrisikos ihres Arbeitsplatzes schnell und positiv zu lösen, genauso unterstützt TEA aber auch in schwierigen und kniffeligen Situationen – und natürlich quer durch alle Beruf, wie z. B. Erzieher, Polizisten, Dachdecker, Hausmeister, Friseure, Köche, Kfz-Mechaniker, Lehrer oder Bürokräfte. Jeder epilepsiekranke Arbeitnehmer, der Probleme oder Fragen an seinem Arbeitsplatz hat, kann sich jederzeit kostenfrei an das Projektteam wenden.

 

Dr. Simone C. Nicklas,

Bundesprojekt TEA, München

 

Kontakt:

 

Projektbüro TEA

Oberanger 43

80331 München

Tel.: 089 540497700

epilepsie-arbeit(at)im-muenchen.de

www.epilepsie-arbeit.de