Curaçao wir kommen (wieder)!

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Unser Sohn Jan ist acht Jahre alt. Seinen letzten großen Anfall hatte er im September 2016, fokale Anfälle begleiten ihn und uns aber weiterhin ca. 3-4 x im Monat. Bisher besteht der Verdacht auf eine genetisch bedingte Epilepsie, die EEGs sind meist mit kleineren Auffälligkeiten.

 

Da wir keine endgültige Diagnose für die Ursache von Jans Behinderung haben, sondern nur viele, viele Symptome ist auch die Diagnose Epilepsie noch mit Fragen verbunden. Wir sind einmal jährlich zur Vorstellung und Kontrolle im SPZ Heidelberg mit Schlaf- oder mittlerweile Wach-EEG. Die medikamentöse Behandlung umfasst Levetiracetam und Valproat morgens und abends – angepasst wird diese zwischen den Terminen durch telefonischen Kontakt mit seiner behandelnden Neurologin.

 

Jan besucht eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt motorische Entwicklung. Er ist in der 2. Klasse im Bereich Förderschwerpunkt ganzheitliche Entwicklung. Die Epilepsie hat die Schulwahl nicht beeinflusst, da seine globale Entwicklungsretardierung nur diese Schule für uns attraktiv gemacht hat.

 

Die Lehrer wissen von Jans Epilepsie und sind geschult. Sie würden und dürfen ein Notfallmedikament geben. Im Klassenteam gibt es sogar eine Kinderkrankenschwester, da fast alle seiner Klassenkameraden mit Epilepsie zu kämpfen haben.

 

Verbesserte Anfallskontrolle, aber die Anspannung bleibt

Die Anfälle schränken Jan mittlerweile nicht mehr ein. Während der Kindergartenzeit und zu Beginn der 1. Klasse waren laute, schreckhafte Geräusche der Auslöser eines fokalen Anfalls, der sich bis zu 12 Minuten hinzog – was besonders schwierig war bei Familienfeiern oder bei Freizeitaktivitäten mit lauten/vielen Geräuschen. Zum Abklingen des Anfalls mussten wir einen ruhigen, reizlosen Raum suchen.

 

Mittlerweile lösen nur noch wenige unvorhersehbare Geräusche kurze Anfälle aus. Bei Ausflügen achten wir immer noch darauf, Handyempfang zu haben, falls es zu einem Grand mal kommen sollte. Das Notfallmedikament ist immer griffbereit. Lange Ausflüge in den Wald sind daher nicht oder nur schwer umsetzbar.

 

Nachts wird Jan mit einer Kamera und Babyphone mit höchster Intensität der Geräusche überwacht. Übernachtungen außerhalb finden nicht statt. Das benötigte Pflegebett steht zu Hause, die Großeltern übernachten im Ausnahmefall bei uns zu Hause. Wenn wir zu Therapiewochen oder in den Urlaub fahren, nehmen wir das technische Equipment immer mit.

 

Vor der Erkrankung unseres Sohnes hatten wir schon von Epilepsie gehört bzw. kannten den „Standardanfall“ (umfallen, Zuckungen, Schaum vor dem Mund), der einem z. B. in Fernsehberichten gezeigt wird. Persönliche Erfahrungen gab es bis dahin nicht. Umso größer war der Schock des ersten großen Anfalls mitten in der Nacht, der nicht mit den „typischen“ Symptomen einherging.

 

Was uns am meisten belastet

Da ein Anfall ohne Vorwarnung kommt, steht man ständig unter Anspannung – obwohl wir Glück haben und nicht so viele bzw. stark ausgeprägte Anfälle miterleben mussten/müssen.

 

Die ständige und nie weggehende Sorge vor einem Grand mal und vor einem möglichen Status empfinden wir als große Einschränkung – und dass wir präzise darauf achten, immer erreichbar und nie zu weit weg zu sein.

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Große Fortschritte dank Delfintherapie

Im Jahr 2017 sah ich einen Fernsehbericht über ein behindertes Kind bei der Delfintherapie auf Curaçao. Ich war so begeistert, dass wir uns direkt informierten und gemeinsam mit der Familie begannen, zu sparen und uns über Spendenangebote zu erkundigen.

Das erste Mal waren wir – Mama Tamara, Papa Markus, Sohn Jan und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Jonas – im Juni 2018 auf Curaçao. Im Juni 2021 flogen wir das zweite Mal dorthin – dieses Mal unterstützten uns finanziell unsere Familie und Freunde. Oma und Opa begleiteten uns sogar auf der Reise.

Während der Therapie 2018 konnten wir bei Jan so viele großartige Entwicklungsschritte beobachten. Noch auf Curaçao konnte er plötzlich aufrecht in seinem Rollstuhl sitzen. Zu Beginn nur kurz nach den Therapiezeiten, in der zweiten Wochen schaffte er es schon den ganzen Tag vor und nach der Therapie sowie während der Zeit im Hotel. Vorher wurde er mit einem Brustgurt in seiner angepassten Sitzschale gehalten.

Bereits in der ersten Woche wurde Jans Blick klarer, man hatte das Gefühl, als habe es Klick gemacht. Er nahm seine Umgebung mit allen Reizen wahr, blickte uns auch direkt in die Augen und strahlte. Während der Therapie wurde geübt, eine gezielte Auswahl mit den Augen zu treffen. Die Anbahnung dazu nahmen wir mit nach Hause und therapierten weiter – mittlerweile steuert Jan mit seinen Augen einen Tobii Computer und kann von uns gestellte Fragen oder eine Essensauswahl durch Blickerfassung beantworten.

 

Nach der ersten Therapiewoche verbrachte Jan das Wochenende mit etwas Fieber, zeigte aber keine Anfälle. Er war sehr ruhig bzw. ausgeglichen und nicht mehr so schreckhaft. Während der Zeit auf Curaçao hatte er keinen einzigen Anfall. Kurz vorher waren es noch täglich mehrere fokale Anfälle.

Auch der zweite Aufenthalt war ein voller Erfolg

2021 haben wir uns sehr gefreut, das ganze Team, vor allem aber die Delfine, wiederzusehen. Jan fühlte sich sofort wieder wohl, ließ sich erneut voll und ganz auf die Therapien und die Einheiten im Wasser ein. Während unseres Aufenthalts verbesserte sich seine Auswahl durch Blickkontakt, er greift seitdem gezielt, benutzt Hände und Augen gleichermaßen zur Auswahl. Das Aufstützen auf die Hände wurde geübt und Jan machte motorisch tolle Fortschritte. Er zeigte neue Bewegungsansätze, die sich auch zu Hause bemerkbar machten und machen. Mittlerweile hilft er beim Transfer mit, kann stehen, wenn er gehalten wird, und versucht sich aufzusetzen.

Wir reduzieren das Levetiracetam seit einiger Zeit und versuchen ganz behutsam, das Medikament auszuschleichen. Bisher gelingt es gut und die fokalen Anfälle werden immer weniger.

Der Aufwand lohnt sich

Wenn ich überlege, was am schwierigsten an der Delfintherapie war, glaube ich die Tatsache, sich auf die lange Reise einzulassen und sich zu trauen. Man sollte sich bewusst sein, dass es einiges zu organisieren gibt. Es ist vor allem wichtig, genügend Medikamente zur Verfügung zu haben und aufgrund des Betäubungsmittelgesetzes die passenden ärztlichen Bescheinigungen auf Deutsch und Englisch zur Verfügung zu haben. Unsere Medikamente wurden am Flughafen kontrolliert und davon Proben genommen – was aber wohl nicht immer der Fall ist.

Was unsere Familie anbelangt, ist die Reisevorbereitung ein etwas größerer Aufwand. Wir müssen den Rollstuhl anmelden für den Rollstuhltransfer innerhalb der Flughäfen. Fürs Boarding und auf Curaçao muss natürlich ein Rollstuhltransport gebucht werden. Unterstützung bekommt man aber vom Verein delfine therapieren menschen e.V.

Für 2023 haben wir schon die nächste Therapie geplant und können es kaum erwarten :-)

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Therapie und Familienurlaub in einem

Um sich für eine Delfintherapie zu entscheiden, sollte man sich überlegen, ob man selbst und ob das eigene Kind mit einem langen Flug bzw. der langen Reise klarkommt. Aus unserer Erfahrung und den Gesprächen mit anderen Therapiefamilien kann ich ganz klar sagen: „Ja, man schafft das!“. Es ist viel entspannter, als man es sich vorstellt.

Aber ist man offen für eine tiergestützte Therapie? Kann man sich darauf einlassen, sein Kind währenddessen abzugeben und den Trainern voll und ganz zu vertrauen? Die Kinder sind mit den Trainern allein in den Therapieräumen und im Wasser. Weiß man vorher, dass man dies nicht tolerieren kann, sollte man Kontakt aufnehmen und sich beraten lassen. Ich habe eine Familie getroffen, die dort gelernt hat loszulassen – alle Beteiligten waren sehr glücklich, sich getraut zu haben.

Ich empfehle jedem, es zu versuchen. Wir sind beide Male ohne Erwartungen an die Therapie rangegangen und haben es als Familienurlaub mit Therapie angesehen. So konnten wir nicht enttäuscht werden, freuten uns aber umso mehr über jeden neuen Fortschritt. Unsere positivste Erfahrung mit der Delfintherapie? Die schnellen Fortschritte, die Jan dort erzielt hat! Außerdem hat die Therapie mitsamt dem ganzen Umfeld auf Curaçao und dem dazugehörigen Urlaub unserer Familie sehr gutgetan. Wir haben beide Male wieder Kraft geschöpft für schwierigere Zeiten.

Tamara Frey