Der Kampf ums Überwachungsgerät

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Hilfsmittel können bei Bedarf vom Arzt verordnet werden. Dass dies nicht so einfach ist, wie es sich anhört, bekommen wir immer wieder von Betroffenen berichtet. Hier ein Erfahrungsbericht von Familie Olfert, die sich ein Überwachungssystem für die nächtlichen Anfälle ihrer Tochter erstritten hat.

 

Unsere Tochter Aurora ist 7 Jahre alt. Ihr erster Anfall im Alter von 3 Monaten war zwar für mich sichtbar, aber nicht richtig zuzuordnen. Die Ärzte hörten mir hier auch nicht genau zu – sowohl unser Kinderarzt als auch ein weiterer stuften es als normales Babyverhalten ein.

 

Erst als sie mit 7 Monaten jeden Tag ca. 5-7 deutliche Anfälle hatte und auf mich nicht mehr reagierte, nahm uns die Kinderklinik in Köln als Notfall stationär auf. Nach zahlreichen Untersuchungen wurde die Diagnose BNS (Blitz-Nick-Salaam = West-Syndrom) gestellt mit der Prognose, dass Aurora ein geistig behindertes Kind sein würde.

 

Nach der Verabreichung von Ospolot, Vitamin  B und einer Kortison-Stoßtherapie erwachte Aurora zwei Tage später aus ihrem »Dornröschenschlaf«. Sie konnte ihre Umgebung wieder wahrnehmen und darauf reagieren. Eine konkrete Ursache für ihre Erkrankung wurde bis heute nicht gefunden. Der Professor der neurologischen Station im Kinderkrankenhaus sagte mir nach dem 6-wöchigen Krankenhausaufenthalt bei unserer Entlassung auf meine Frage, ob wir nun eine andere Prognose hätten als zu Beginn: »Frau Olfert, wir wissen nicht, was bei Ihrer Tochter die Anfälle verursacht. Wir haben nichts gefunden, aber etwas ist in ihrem Kopf, was die Anfälle auslöst. Wir wissen nicht, ob und wie sich ihre Tochter entwickeln wird.«

 

Nach 1,5 Jahren kamen die Anfälle sichtbar zurück. Diesmal gab es die Diagnose »fokale Epilepsie«, die uns bis heute erhalten geblieben ist, aber sich noch etwas erweitert hat: »strukturelle, ggf. strukturell-genetische medikamentenrefraktäre Epilepsie mit fokal- beginnenden Anfällen zum Teil mit Bewusstseinsstörung seit dem 3. Lebensmonat« – so der Stand im August 2023.


Eine »Collage« von Anfällen

Aurora zeigt verschiedene Anfallstypen, die zugeordnet werden können:

  • Sensorisch: Sie sieht Dinge im Anfall, erzählt mir öfters mal, wenn sie sich erinnern kann, von einem schwarzen Loch, in das sie Angst hat reinzufallen.
  • Auditiv: Sie hört Geräusche, schaut im Anfall verängstigt durch das Zimmer.
  • Vertiginös (Gleichgewichtssinn): Sie versucht im Anfall aufzustehen, schwankt, fällt, ist desorientiert und hat das Gefühl des Schwankens, des Fallens oder des Karussellfahrens, ohne dass sie sich im Anfall bewegt.
  • Psychomotorisch: räuspern, schmatzen, schlucken, sprachliche Abläufe (wirres Reden, Schreien, Stottern), Gefühlsäußerungen (Angst oder Lachen)
  • Tonisch-klonische Anfälle, die aus dem Schlaf heraus auftreten – insbesondere nach dem Einschlafen oder vor dem Erwachen

Plus weitere Anfälle, die heute noch nicht klassifizierbar sind, wie mir ein Neurologe bei unserem stationären Aufenthalte in Bezug auf eine chirurgische Abklärung in Bethel mitteilte.

 

Bevor sich tagsüber ein Anfall anbahnt, hat sie oft eine Aura – meistens gut für mich zu beobachten, wenn er aus einem wachen Zustand kommt.

 

Es gibt weiterhin keinen klinischen Hinweis auf eine Entwicklungsstörung, doch aufgrund der nächtlichen Anfälle und des damit verbundenen SUDEP-Risikos wurde uns ein Überwachungsgerät verordnet.


Erst vor dem Sozialgericht konnten wir unseren Anspruch durchsetzen

Aurora schläft auf dem Bauch. Als die Anfälle mit 3 Jahren intensiver und länger wurden, verkrampfte sich ihr Körper so stark, dass sie sich nicht mehr eigenständig aus einer Position herausbewegen konnte. Ich hatte Angst, einen Anfall nicht mitzubekommen und dass sie dabei im Kissen ersticken könnte. Ich besprach dies mit unserer Neuropädiaterin im SPZ in Köln und sie stellte uns sogleich eine Verordnung für ein Überwachungsgerät aus – in unserem Fall für NightWatch.

 

Unsere Krankenkasse lehnte den Antrag jedoch ab und empfahl uns stattdessen ein anderes Gerät, das für die Erkennung von Auroras verschiedenen Anfallstypen jedoch weniger geeignet war.

 

Ich entschied mich dafür, das Gerät zunächst selbst zu bezahlen, damit es uns gleich zur Verfügung stand. Ich legte mehrmals Widerspruch gegen die Entscheidung der Krankenkasse ein. Wir gingen bis vors Sozialgericht, um unseren Anspruch durchzusetzen. Insgesamt dauerte es 1,5 Jahre, bis das Gericht uns recht gab.

 

Da ich die Kosten für eine rechtliche Beratung und Vertretung nicht selbst tragen konnte, wurden wir Mitglied im VdK und bekamen dort eine juristische Vertretung, die unseren Fall übernahm und uns unterstützte.

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Die nächtliche Überwachung gibt uns allen Sicherheit

Meine Tochter kann sich darauf verlassen, dass ich gleich mitbekomme, wenn sie einen Anfall hat. Da sie dabei immer große Angst hat, ist es wichtig, dass eine Bezugsperson während des Anfalls für sie da ist, damit ihr Nervensystem sich wieder regulieren kann.

 

Ich habe die Sicherheit, dass ich bei jedem Anfall von Aurora informiert werde, der sich in der Nacht ereignet. So kann ich abends beruhigter ins Bett gehen und habe weniger Sorge, dass sie am nächsten Morgen vielleicht nicht mehr aufwachen könnte.

 

Außerdem haben wir dadurch die Möglichkeit bekommen, Aurora am Abend und in der Nacht auch mit anderen Bezugspersonen alleine zu lassen. Es ist immer schwer für ihre Betreuer, sich zu entspannen – gerade, wenn sie schläft. Unsere Kinderfrau saß vor der Anschaffung des Geräts sogar immer so lange vor dem Bett unserer Tochter, bis ich wieder zuhause war, um ja keinen möglichen Anfall zu verpassen.


Nicht aufgeben, sondern sein Recht einfordern und durchsetzen

Da wir Eltern immer gegen größere Systeme ankämpfen, ist es wichtig, dass wir uns ebenfalls größeren Systemen anschließen – wie wir es in unserem Fall durch den Beitritt zum VdK gehandhabt haben. Es ist wichtig, dass wir uns als Eltern von den administrativen Verfahren der Krankenkassen nicht entmutigen lassen, sondern auf unser Recht bestehen und es klar einfordern.

 

Wir haben alle ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe, also das »Einbezogen sein« in jede Lebenssituation, und damit unsere Lebensqualitäten zu erweitern und selbst zu gestalten – ganz im Sinne der im Jahr 2008 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).


Was mir wichtig ist!

Sehen Sie Ihr Kind bzw. sehen Sie sich mit Ihrem Kind in Ihrem Alltag. Was brauchen Sie, um gut zu leben? Was ist angesagt? Was zeigt sich? Es ist wichtig, dass Sie sich als Eltern, Wegbegleiter, Bezugsperson sicher und nicht überfordert fühlen, um für Ihr Kind mit Epilepsie die Energie und Aufmerksamkeit aufbringen zu können, die es braucht.

 

Seien Sie offen für alle medizinischen Möglichkeiten, die sich für unsere betroffenen Kinder immer wieder neu eröffnen. Aber schauen Sie auch genau hin, ob diese Methoden und Behandlungen in Ihr Leben und das Leben Ihres Kindes passen.

 

Hören Sie sich selbst zu und lassen Sie sich nicht irritieren von Menschen, die Ihr Kind und Ihr Leben nicht kennen. Ich selbst habe als Tanz- und Bewegungsvermittlerin und Leiterin für therapeutischen Tanz festgestellt, dass unser Körper klare Signale sendet, was er gerade braucht (z. B. starke oder safte Berührung, Stimulation oder Ruhe, Regulation oder Neuorganisation).

 

Und da Kinder mit ihrem Körper sehr verbunden sind und kognitive sowie physische Erfahrungen noch nicht so radikal trennen, wie wir Erwachsenen es tun, sind ihre Körper »durchlässig« und sehr empfänglich für Impulse jeglicher Art.

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Auch die Ernährung ist ein wichtiges Puzzleteil für unsere Gesundheit

Wir haben 1,5 Jahre die Modifizierte Atkins Diät (MAD) mit Aurora gemacht. Am Ende war es für uns alle auf der emotionalen und sozialen Ebene überfordernd und nicht mehr tragbar. Unsere Tochter bettelte um Kartoffeln und Reis, bei Kindergeburtstagen oder anderen, gefühlsmäßig aufgeladenen Essensituationen kam immer die Frage: »Und was darf ich essen?« Die anderen Kinder durften immer mehr und »bessere« Sachen essen als sie. So etwas setzt sich fest und überträgt sich auf alle anderen Ebenen .…

 

Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Essen und dem erlangten Wissen darüber (wie entscheidend z. B. die ungesättigten Fette für das Gehirn und das Nervensystem sind und wie antientzündliche Ernährung eine Linderung auf die epileptischen Anfälle haben kann) können wir das Essen jetzt jedoch mit allen Sinnen genießen und den Körper mit den nötigen Vitaminen, Mikronährstoffen und Fetten versorgen.

Mein persönliches Fazit

Die Situation ist so wie sie ist, aber wie wir diese gestalten, kreieren und leben ist uns überlassen.

 

Anastasia Olfert

 

Kontakt:

anastasiaolfert.com

ao.anastasia.olfert(at)gmail.com

 

Anastasia Olfert hat ein digitales Begleitprogramm kreiert für Bezugspersonen von Kindern mit Behinderung (Leitet Herunterladen der Datei einPDF). Dazu findet vom 21.-24. Oktober 2024 ein kostenfreier Online-Workshop statt.