Kleine Lilli ganz groß

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Unser Mut zur OP im Kindesalter wurde belohnt

 

Wir leben in Trier. Wir, das sind unsere Kinder Leon (14), Lilli (12) und Maja (2), mein Mann Björn und ich. Wir beide arbeiten im selben Betrieb, so dass wir Job, Kids und Alltag bestmöglich organisiert und „unter einen Hut“ bekommen.

 

Bei unserer Tochter Lilli wurde als Baby mit drei Monaten die Diagnose Epilepsie gestellt. Im Anschluss an die umfangreichen Untersuchungen (u. a. Ultraschall durch die Fontanelle, Schädel-MRT, Blut, Genetik, EEG) wurde sie medikamentös eingestellt.

 

Vom Säuglingsalter bis zum 8. Lebensjahr war Lilli nie anfallsfrei, jedoch traten Anfälle eher selten auf. Meistens musste dann die Medikation auf Körpergröße bzw. Gewicht angepasst oder ganz umgestellt werden.

 

Ab ihrem 8. Geburtstag intensivierte sich das Anfallsgeschehen deutlich. Auren und Anfälle steigerten sich auf mehrere pro Woche – trotz Einnahme zweier Antikonvulsiva. Auch ein drittes Medikament aus der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine sorgte nur für eine temporäre Verbesserung, führte jedoch nicht zur Anfallsfreiheit.

 

Die Möglichkeit einer Operation wurde erstmalig in Folge eines auffälligen EEGs nach einem Anfall im Dezember 2018 besprochen. Das EEG zeigte eine Verlangsamung der linken, hinteren Hirnregion. Zur weiteren Klärung und Bildgebung vereinbarte unsere Neurologin im Klinikum Mutterhaus in Trier einen Termin mit der Klinik für Epileptologie in Bonn zur Durchführung eines hochauflösenden Schädel-MRT. Nach Abschluss der Untersuchungen diagnostizierten die Ärzte eine Hippocampussklerose sowie eine Grau-Weiß-Differenzierungsstörung des Temporalpols links und besprachen das weitere prächirurgische Vorgehen mit uns.

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Aufklärung ist das A und O bei der Entscheidung zu einer OP

Die Aufklärung im Vorfeld einer OP halte ich persönlich für eine der wichtigsten Kriterien. Sie ist die Summe aus Vertrauen, Professionalität und Menschlichkeit. Sie passiert auch nicht während eines Arztgespräches kurz vor dem Eingriff, sondern ist ein stetig begleitender, sehr komplexer Prozess und somit die Basis aller Dinge.

 

Angst spielte bei Lilli und uns als Familie natürlich eine primäre Rolle. Diese konnte einzig und allein durch klare und detaillierte Information abgebaut werden. Nur wenn man selbst ein gutes Gefühl und Sicherheit hat, kann man diese auch seinem Kind vermitteln. Ohne die drei oben genannten Komponenten wäre dies undenkbar für uns gewesen. Lilli wurde in alle Gespräche miteingebunden.

 

Im Grunde durchliefen wir vier Phasen, die wie Stufen aufeinander aufbauten:

  1. Erstverdacht
  2. Voruntersuchungen
  3. Operation
  4. Nachsorge

 

Über jede Untersuchung und jedes Ergebnis wurden wir inhaltlich aufgeklärt, d. h. welchen Sinn sie haben und folglich, welchen weiteren Werdegang sie zulassen.

 

1. Erstverdacht

In Folge eines auffälligen EEG und der Medikamentenresistenz klärte uns unsere Neurologin ausführlich über die Möglichkeiten der Epilepsie-Chirurgie auf. Der Gedanke, das eigene Kind am Gehirn operieren zu lassen, ist anfangs natürlich ab-/erschreckend. Da wir jedoch großes Vertrauen zu unserer Ärztin haben und sie die größten Bedenken beseitigen konnte, sahen wir schnell, welch große Chance dies für Lilli sein könnte.

 

2. Voruntersuchungen

Zur weiteren Diagnostik wurden wir in die Uniklinik Bonn (Epileptologie) überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt stand unser Entschluss bereits fest: Sollte die Operation möglich sein, würden wir dieser zustimmen. Diese Entscheidung bereits vorab zu treffen, war uns sehr wichtig. Lilli sollte keinen unnötigen Untersuchungen und dem ganzen Prozedere ausgesetzt werden, damit wir uns dann am Ende gegen eine mögliche OP entschieden. Das erschien uns weder fair noch sinnvoll.

 

Um unsere Ängste abzubauen und um Lilli (und uns) auf die bevorstehende Zeit vorzubereiten, suchten wir parallel zu den Untersuchungen gemeinsam regelmäßig die Kinderpsychologin der „Villa Kunterbunt“ auf, dem Nachsorgezentrum für chronisch-, krebs- und schwerstkranker Kinder des Klinikums Mutterhaus (siehe Infos am Ende des Beitrags).

 

Die ersten ambulanten Termine in Bonn mit EEG-, MRT- und Blutkontrollen starteten. Zu den Voruntersuchungen gehörte ebenfalls ein stationärer Aufenthalt dort. Über einen Zeitraum von fünf Tagen wurde Lilli zwecks Anfallsaufzeichnung mit einem Video-EEG überwacht. Des Weiteren unterzog sie sich einer neuropsychologischen Testung. Nachdem das Expertenteam (Neurologen, Neurochirurgen, Neuropsychologe) alle Ergebnisse diskutiert hatte, erhielten wir telefonisch die OP-Zusage. Nochmals besprach man Einzelheiten zur Diagnose und Operation, mögliche Risiken und die Erfolgs-chancen des Eingriffs mit uns.

Glocke am Uniklinikum in Bonn, die jedes Kind bei der Entlassung läuten darf.
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3. Operation

Vor der Operation stellte sich eine der Neurochirurginnen bei Lilli und mir vor. Sie beschrieb die Vorgehensweise des Eingriffs und mögliche Risiken. Dasselbe galt für die Anästhesie. Das Unterschreiben aller Unterlagen war ein komisches Gefühl, jedoch glaubte ich voller Überzeugung an den Erfolg und dass alles gut wird. Nach vielen endlosen Stunden Operation kam der erlösende Anruf, alles sei komplikationslos verlaufen, und ich konnte sofort zu Lilli. Während der täglichen Visite wurde ihr Gesundheitszustand und ihre Genesung ausführlich erläutert. Vor der Entlassung aus dem Krankenhaus klärten die Ärzte uns selbstverständlich über die Medikation, Versorgung der Narbe, Sicherheitsvorkehrungen und die therapeutische Nachsorge auf.

 

4. Nachsorge

Nach dem Eingriff lag natürlich noch ein gutes Stück Weg vor uns. Zuhause schlief ich für drei Monate mit Lilli zusammen in einem Raum. Ich hatte noch große Sorge vor Stürzen in der Nacht oder davor, eventuell auftretende Anfälle nicht zu bemerken. Es fühlte sich nach der OP an wie in der Zeit nach der Erstdiagnose im Säuglingsalter, ein völlig neues Kennenlernen und Umgang mit der Krankheit.

 

Die Nachsorge konnten wir ambulant durchführen (Dauer ca. vier Monate). Die Therapien (Ergo, Physio und Besuche bei der Psychologin) fanden im Nachsorgezentrum „Villa Kunterbunt“ statt. Unsere behandelnde Neurologin war somit in die therapeutische Behandlung mit eingebunden. Die Ärzte und Mitarbeiter der „Villa“ besprechen in Teams die bestmögliche Behandlung ihrer Schützlinge, so dass eine ganzheitliche Heilbehandlung möglich ist. Auch die Eltern und Geschwister finden hier Rat und Hilfe. Durch die Mitbetreuung der „Villa Kunterbunt“ konnten wir schnell Ängste bzw. Unsicherheiten abbauen und einen normalen Alltag finden.

 

Und wenn man noch so gut vorbereitet ist, passieren manchmal negative Dinge oder Rückschläge. Auch wir mussten diese Erfahrungen machen z. B. das verstörte Verhalten Lillis beim Aufwachen aus stundenlanger Narkose sowie zwei postoperative Anfälle, welche intensiv-medizinisch versorgt werden mussten. Wir waren bestens aufgeklärt und präpariert, trotzdem versetzten sie uns einen Riesenschock. Unsere Nerven lagen blank und wir waren hochemotional – Momente, in denen wir dem Wahnsinn näher als der Normalität waren, in denen wir unsere Entscheidung in Frage stellten. Das Ärzte- und Pflegeteam gab uns in diesen Augenblicken großen Halt. Auch die Psychologin der „Villa Kunterbunt“ telefonierte mit uns und sprach uns Mut zu.

 

Vertrauen, Professionalität und Menschlichkeit stützten und begleiteten Lilli und uns durch diese Tage. Damals wie heute sind wir dafür unendlich dankbar und bereuen nichts! Unserer Tochter geht es so gut wie nie.

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Die positiven Auswirkungen der OP waren schnell zu bemerken

Lilli machte große Fortschritte während der Therapien. Schon beim Schulwechsel im August war von der Operation im April kaum mehr etwas zu spüren. Gut drei Monate nach dem Eingriff schwamm sie bereits 25 m, kurz darauf schon 50 m (natürlich immer noch unter Aufsicht!).

 

Dadurch, dass sie kaum noch Anfälle erleidet, hat sie neues Selbstbewusstsein und Vertrauen in sich und ihren Körper entwickelt. Sie ist viel unbeschwerter und blüht regelrecht auf.

 

Vor der OP hatte Lilli aufgrund ihrer hohen Anfallsquote depressive Stimmungslagen und zog sich zurück. Natürlich kämpfte sie auch immer wieder mit Vergesslichkeit und mangelnder Konzentration. Ihr drittes zusätzliches Medikament, ein Benzodiazepin, sorgte zusätzlich für kognitive Einschränkungen. Heute nach der OP kann sie auf die Benzos verzichten, durch die seltenen Anfälle zeigt sie kaum noch kognitive Einbußen. Sie hat ihre Freude und Lebenslust neu entdeckt. Auch wenn noch keine Anfallsfreiheit erreicht ist, hat unsere Tochter ein großes Stück Lebensqualität geschenkt bekommen.

 

Die Medikamente konnten reduziert werden

Zwei Monate nach der Operation wurde das Benzodiazepin in kleinen Schritten ausgeschlichen. Die Absetzung erfolgte zu Hause, aber in engem Kontakt zu unseren Neurologen und der Psychologin. Lilli hatte Entzugserscheinungen, was sich durch Zittern, Auren/Anfälle, nächtliche Schweißausbrüche und Phasen der Traurigkeit bzw. Weinkrämpfe zeigte. Dies beunruhigte und ängstigte uns erneut, doch aufgrund der ärztlichen und therapeutischen Begleitung wurden wir sicherer im Verständnis und Umgang damit. Während der fortlaufenden Entwöhnung verringerten sich die diesbezüglichen Symptome und verschwan-den letztlich.

 

In der weiteren Behandlung sollen nochmals Medikamente umgestellt werden, um eventuell damit eine Anfallsfreiheit zu erreichen.

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Angst ist kein guter Ratgeber

Rückblickend war das Schwierigste für uns die Angst. Angst, nicht zu wissen, wie es ausgeht. Angst, eine falsche Entscheidung für unser Kind zu treffen. Angst vor schlimmen, irreparablen Konsequenzen.

 

Einer OP wird aus ärztlicher Sicht niemals „einfach so“ zugestimmt. Ich kann nur nochmals betonen: Die ärztliche Einwilligung darin und die damit einhergehende Aufklärung sind meiner Meinung nach das Wichtigste.

 

Das Team an Experten berät fachkompetent und ehrlich, baut Ängste und Befürchtungen ab, erklärt mögliche Risiken und hilft somit bei Ihrer Entscheidungsfindung. Natürlich kann Ihnen die Angst niemand ganz nehmen, das liegt in der Natur der Sache. Jedoch sollte nicht die Angst Ihre Entscheidung treffen. Niemand kann in die Zukunft blicken, doch für uns persönlich waren die OP-Risiken und die Chance auf eine deutliche Verbesserung der Epilepsie kalkulierbarer als die häufigen, lebenslangen Anfälle und damit einhergehenden Gefahren in Lillis Zukunft. Denn eines wussten wir sicher: Ohne OP wird es nicht besser. Ein schönes Zitat von Franklin D. Roosevelt besagt: „Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Überzeugung, dass etwas wichtiger ist als Angst.“

 

Eine gute Entscheidung braucht Fachwissen

Mit Tipps und Empfehlungen ist es so eine Sache, aber ganz wichtig für mich: Binden Sie, je nach Reife und Entwicklung, auch altersentsprechend Ihr Kind mit ein. Verzichten Sie bitte unbedingt (generell!) auf „Dr. Google“ und ignorieren Sie unprofessionelle, laienhafte, meist angstschürende Horrorprognosen der Kollegen oder Nachbarn beim „Kaffeeklatsch“.

 

Ratschläge sollten den Menschen vorbehalten sein, die aufgrund von Fachwissen dafür qualifiziert sind. Alles andere verwirrt und verunsichert nur zusätzlich. Natürlich sind Zweitmeinungen immer erlaubt, jedoch bitte durch entsprechendes Fachpersonal. Besprechen Sie sich mit Ihrem Partner oder einem nahen Angehörigen, aber stets unter Einbezug von Expertisen. Somit treffen Sie eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen!

 

Ein positiver Blick in die Zukunft

Die Operation bzw. besser gesagt ihr Resultat war für uns das positivste Erlebnis in Bezug auf die Epilepsie unseres Kindes. Auch wenn die vier beschriebenen „Phasen“ sicherlich die intensivste und sorgenvollste Zeit war, haben sie Lilli letztlich ein großes Stück Lebensqualität gegeben. In nahezu jedem Lebensbereich sind die positiven Auswirkungen zu erkennen. Für uns gibt es das Leben vor und nach der Operation. Natürlich ist immer noch permanente Vorsicht und Aufsicht geboten, weitere Untersuchungen und ärztliche Versorgung bleiben notwendig, jedoch sind wir zuversichtlich und blicken sehr optimistisch in die Zukunft und glauben an weitere, neue Perspektiven für Lilli und ihren Lebensweg.

 

Was ich gerne allen Eltern generell noch mit auf den Weg geben möchte: Suchen Sie stets nach Wegen (statt nach Gründen) und gehen Sie diese mit Ihrem Kind und kompetenten treuen Weggefährten gemeinsam – stets mit dem Ziel, das Beste für Ihr Kind zu erreichen!

 

Wir möchten uns bei dieser Gelegenheit bei all unseren Weggefährten von Herzen bedanken!

 

Judith Sigismund


Darf ich vorstellen: die „Villa Kunterbunt e. V.“ in Trier

Schwerstkranke, krebs- und chronisch kranke Kinder und Jugendliche mit deren Familien brauchen mehr als die Leistungen, die von Krankenkassen und Kostenträgern bezahlt und angeboten werden. Dafür steht seit über 15 Jahren die „Villa Kunterbunt“ zur Verfügung, die sich zu 90 % über Spenden finanziert.

 

Sie bietet viele optionale Leistungen wie z. B. Ergotherapie, Ernährungs-/ Diätberatung, Physiotherapie, Sozialberatung, Psychologische Beratung/ Therapie, Erlebnispädagogik, tiergeschützte Therapie, Heilpädagogik, Geschwisterprojekte. Außerdem koordiniert sie Selbsthilfegruppen und stellt eine Elternwohnung in Nähe des Mutterhauses (Klinikum) zur Verfügung.

 

Ein multiprofessionelles Team kümmert sich allumfassend um seine Schützlinge, schwerstkranke Kinder und ihre Familien werden selbstverständlich auch zu Hause betreut, bis in die eventuell letzte Phase ihres Lebens, den Tod.

 

Diese wertvolle Arbeit gilt es zu unterstützen, jeder Euro zählt und kommt an!

 

Villa Kunterbunt e. V.

Spendenkonto:

Sparkasse Trier

IBAN: DE31 5855 0130 0002 2700 07

BIC: TRISDE55

(Spendenbescheinigungen und Fördermitgliedschaften ab 50 Euro)

 

Weitere Infos:

www.villa-kunterbunt-trier.de