Mein Weg mit Epilepsie

In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen.


Hier die Geschichte von Agnes Schimm, 35 Jahre, beruflich tätig als Kunsttherapeutin und künstlerisch im eigenen Atelier in Neumarkt-Sankt Veit, Oberbayern.

 

Diagnose

  • Art der Anfälle:
    Generalisierte tonisch-klonische Anfälle (Grand mal), einfach fokale Anfälle und Absencen – ohne festgestellte Ursache
  • Häufigkeit der Anfälle: derzeit anfallsfrei!
    Vor der Einnahme von Medikamenten mindestens ein Grand mal im Monat, nach Erhöhung des Medikaments immer reduzierter einfach fokale Anfälle und Absencen.
  • Erster Anfall:
    Im Alter von 21 Jahren in der Arbeit während einer Teambesprechung (Grand mal). Die alarmierten Rettungskräfte waren überfordert, ich musste aufgrund von zu viel Beruhigungsmitteln intubiert – also beatmet – werden und wurde mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Ich wachte auf der Intensivstation auf. Das war erst mal ein Schock – auch für die Familie. Die Hoffnung auf einen Gelegenheitsanfall verflog auch schnell, da weitere auftraten.
  • Behandlung:
    Nach Jahren mit vielen versuchten Alternativen zu Medikamenten nehme ich nun ein Anfallssuppressivum ein (Lamotrigin morgens und abends 150 mg). Erste Arztkontakte habe ich nicht begleitend und aufklärend erlebt, sondern eher abschreckend. Es hat mehrere Neurologenwechsel gebraucht, bis ich mich darauf einlassen konnte.

    Ausreichend Schlaf ist bei mir sehr wichtig und natürlich Seelenhygiene. :-)

 Hast du schon vor deiner Erkrankung von Epilepsie gehört bzw. bereits Erfahrungen damit verbunden?

Ja, da ich früher mit Menschen mit Behinderungen gearbeitet habe, hatte ich zumindest Theoriewissen. Der erste Anfall, den ich gesehen habe, war allerdings ein psychogener Anfall in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.

 

Welche Ausbildung hast du absolviert? Konntest du deinen Berufswunsch verwirklichen?

Meine erste Ausbildung zur Erzieherin konnte ich erfolgreich beenden, obwohl kurz vor dem Ende der erste Anfall auftauchte. Anschließend arbeitete ich in verschiedensten pädagogischen Bereichen. Wobei sich Schichtarbeit deutlich ungünstig auf die Anfallshäufigkeit ausgewirkt hat. Auch Vollzeit arbeiten, ist nach wie vor körperlich nicht machbar. Hier kommt eindeutig Gesundheit vor Verdienst!

 

Die Ausbildung zur Kunsttherapeutin begann ich ein paar Jahre später. Durch Selbsterfahrung bei einer Kunsttherapeutin wurde mir bewusst – das ist es! Mich kreativ auszutoben hat mich seit der Kindheit begleitet, war schon immer eine Ressource. Dies mit einem therapeutischen Auftrag zu verbinden und andere Menschen damit zu unterstützen, ist wunderbar. Es wirkt manchmal fast wie Zauberei, was diese Ausdrucksmöglichkeit bewirken kann.

 

Derzeit arbeite ich an einer psychosomatischen Klinik. Hier habe ich auch immer wieder mit Menschen zu tun, die durch ihre Epilepsie oder die Erkrankung von Angehörigen emotional belastet sind.

 

Wie gehen deine Familie und Freunde bzw. dein Partner mit der Erkrankung um? Sprichst du offen darüber?

Ich habe ganz lange nicht von der Epilepsie gesprochen, nur die engste Familie wusste es. Mein Mann hat ab meinem ersten Anfall jeden einzelnen mitgemacht, mitgetragen und mit mir ausgehalten. Meine Eltern und wir stehen uns sehr nahe, somit sind die beiden auch emotional betroffen. Ich erlebe sie als sehr unterstützend.

 

Mittlerweile gehe ich deutlich offener mit meiner Erkrankung um. Auch Aufklärung finde ich wichtig. Die Thematik allgemein ist für Außenstehende schwer greifbar. Ich habe erlebt, dass sich viele nicht weiter fragen trauen. Sie erschrecken vor der Bezeichnung Epilepsie und sind unsicher. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, dies direkt anzusprechen und von mir selbst zu erzählen. Freunde wissen Bescheid, ein Teil der Arbeitskollegen auch. Aber ich denke, außer wenn aus Sicherheitsgründen nötig, muss das trotzdem nicht jeder wissen.

 

Ich habe angefangen, mich aktiv in der Selbsthilfegruppe einzubringen, beispielsweise bei Veranstaltungen mit Betroffenen und Angehörigen. Mit meinem Pulli »Warrior by Day & Witch by Night« zeige ich mich als Mensch mit Epilepsie, da ich gemeinsamen Austausch für Betroffene und Außenstehende als sehr wichtig erlebe.

 

Gibt es Einschränkungen, die dich mehr belasten als die Anfälle selbst?

Die emotionale Belastung! Die Angst vor dem nächsten Anfall, die Hilflosigkeit, der Kontrollverlust, das fehlende Gefühl von Sicherheit im eigenen Körper. Sich körperlich und psychisch von den Anfällen zu erholen, hat bei großen Anfällen manchmal mehrere Tage gedauert. Dann natürlich Einschränkungen z. B. nicht Auto fahren zu dürfen – ich wohne auf dem Land, ohne Auto geht hier nix. Also – die Abhängigkeit von anderen. Nicht so am sozialen Leben teilnehmen zu können wie vorher, empfand ich auch als sehr einengend.

Bildquelle: privat

Verbindest du mit deiner Erkrankung auch etwas Positives?

Jahrelang nicht ... Ich habe die Epilepsie abgelehnt, wollte sie einfach nur loswerden. Mit der Zeit habe ich mich stark damit auseinandergesetzt. Ich verarbeite viel in meinen Gestaltungen. Ich nehme an einer Selbsthilfegruppe teil. Das war für mich ein großer Schritt und ich bin für diese Menschen und immer weiterwachsende Kontakte und Verbindungen sehr dankbar.

Die Epilepsie ist bestimmt ein Mit-Auslöser, dass ich eine therapeutische Ausbildung gemacht habe. Auf jeden Fall habe ich dadurch erlebt, wie wertvoll therapeutische Begleitung sein kann. Die eigenen Erfahrungen bereichern mein Therapeuten-Ich und machen mich stärker.

 

Gibt es etwas, was du anderen Betroffenen sagen möchtest?

Ein Miteinander mit der Epilepsie zu finden, ist deutlich gesünder, als dagegen zu arbeiten.

 

Medikamente zu nehmen, ist beispielsweise kein Aufgeben! Auch wenn es sich bei mir anfangs so angefühlt hat. Es bringt Lebensqualität zurück.

 

Finde etwas zum Ausgleich! Ich kann mich z. B. auf dem Papier »auskotzen«, die Erkrankung für mich verarbeiten. Kreativität ist bei jedem im Gehirn angelegt. Gönne deinem Gehirn und dir eine andere Möglichkeit, Spannung abzubauen! Ausdrucksmöglichkeiten gibt es viele.

 

Die psychische Gesundheit ist mindestens genauso wichtig wie die körperliche. Sie beeinflussen sich gegenseitig, sind miteinander verbunden. Hole dir Unterstützung! Zu verschiedenen Untersuchungen geht man ja auch regelmäßig. Zitat eines Patienten: »Es braucht Kundendienst für die Seele«. Es ist keine Schwäche, sich Hilfe zu suchen, sondern mutig und zeigt Selbstfürsorge.

 

Interview zusammengefasst

von Doris Wittig-Moßner