Mein Weg mit Epilepsie
In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen.
Hier die Geschichte von Steffi, 42 Jahre, Speditionskauffrau, aktuell arbeitslos.
Diagnose:
- Anfallsform: kryptogen/idiopatisch (schlafgebunden) plus Synkopen (Bewusstlosigkeit tagsüber) ohne Vorankündigung
- Häufigkeit der Anfälle: nächtliche Anfälle ca. 4–7-mal pro Jahr (2005-2016), Synkopen ca. 3-mal pro Jahr (ab 2014)
- Erster Anfall im Alter von 23 Jahren im Jahr 2005: ausgelöst vermutlich durch einen nächtlichen Sturz auf den Kopf; Bewusstlosigkeit, kein Zungenbiss. Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt bei meinen Eltern zu Gast und meine Mutter reagierte gleich richtig und rief den Krankenwagen. Ich war nicht ansprechbar, mit verdrehten Augen.
Behandlung
Nach dem oben erwähnten Sturz wurde ich ins Krankenhaus gebracht, beim Transport dorthin war ich wieder voll ansprechbar. Danach wurde ein EEG gemacht und ich zum Neurologen geschickt. Ein CT war unauffällig und ich sollte beobachten, ob es zu neuen Anfällen kommt. Zu diesem Zeitpunkt bekam ich noch keine Tabletten. Ich wollte erstmal abwarten, wie es weitergeht. Ich erhielt ein Fahrverbot für 3 Monate.
Seit 2007 bin ich bei meinem Neurologen hier am Ort in Behandlung. Nach Absprache mit ihm begann ich mit der Medikamententherapie. Zuerst Valproat, später stieg ich auf Levetiracetam um. Ab 2014 testete ich dann Kombinationen mit Zonisamid bzw. Lamotrigin.
Zu den Medikamenten möchte ich noch Folgendes sagen: Manche Kombinationen habe ich sehr schlecht vertragen. Bei der Einnahme von Lamotrigin war ich z. B. ständig müde und konnte nicht konzentriert arbeiten. Bei Zonisamid fühlte ich mich wie »im Rausch«, ich konnte nicht schlafen und kam nicht zur Ruhe. Dies ist für die Arbeit sehr unpraktisch, wo man mich darauf ansprach, ob ich auf Droge sei.
In Verbindung mit einer Reha in der Neurologischen Klinik in Bad Neustadt an der Saale im Jahr 2016 kam ein neues Medikament ins Spiel: Levetiracetam und Lacosamid in Kombination. Die Dosis wurde langsam gesteigert und mit dem Neurologen und der Kopfklinik in Erlangen überwacht. Seitdem bin ich anfallsfrei.
Da meine Anfälle nur nachts auftraten, konnte ich nach einem Tag Krankschreibung wieder im Büro in Vollzeit arbeiten. Dies verstanden viele Kollegen nicht. Aber länger wollte ich unnötig nicht ausfallen.
Leider hatte ich ab 2014 Synkopen (plötzliche Ohnmachtsanfälle tagsüber) – ohne auch nur einer Sekunde Vorankündigung. Es geschah immer aus dem Stand heraus und plötzlich saß ich am Boden. Zum Glück verletzte ich mich dabei nie. Aber es passierte auch 2 x im Treppenhaus (vor einer Türe). Aufgrund dieser Synkopen bekam ich ein Fahrverbot, was mich sehr hart getroffen hat.
Die Ohnmachtsanfälle habe ich seit Herbst 2019 nicht mehr, seitdem darf ich auch wieder Autofahren. Dies war bzw. ist ein sehr positiver Schritt in meinem Leben. Es ist einfach wunderschön selbst zu bestimmen, wann und wo man hinfährt (ohne Zugausfälle oder Verspätungen!). Auch bei der Arbeitssuche ist Mobilität ein wichtiger Faktor.
Hatten Sie schon vor Ihrer Erkrankung von Epilepsie gehört bzw. haben Sie bereits Erfahrungen damit verbunden?
Ja, in meiner Familie gibt es mehrere Fälle von Epilepsie. Daher ist es für mich nichts Neues. Es ist aber doch eine ganz andere Sache, wenn man selbst betroffen ist.
Konnten Sie Ihren Berufswunsch verwirklichen oder mussten Sie Abstriche machen?
Ich hatte das große Glück, dass mein erster Anfall erst nach meiner Ausbildung auftrat. Somit konnte ich meinen Wunschberuf als Speditionskauffrau erlernen.
Hatte die Epilepsie Auswirkungen auf Ihr Berufsleben? Was sind die größten Schwierigkeiten, auf die Sie bei der Jobsuche stoßen?
Leider hat die Epilepsie mein Berufsleben praktisch zerstört! Viele Arbeitgeber erzählen mir beim Vorstellungsgespräch, dass sie damit kein Problem hätten. Wenn ich dann in der Probezeit doch krank wurde, erhielt ich oft die Kündigung (hier braucht der Arbeitgeber laut Gesetz keine Angabe von Gründen, somit kein Recht auf Schutz). Auch im Zustand der Anfallsfreiheit fällt es mir heute schwer, Neues zu erlernen oder dem enormen Druck bei einem Neustart gerecht zu werden. Hier scheitere ich oft nach langer Pause in der Arbeitslosigkeit.
Seit meinem ersten Anfall habe ich bei über 18 Firmen gearbeitet (Speditionen, Verwaltung im Öffentlichen Dienst oder bei Industriefirmen). Jeder neue Arbeitgeber verlangt einen lückenlosen Lebenslauf und versteht nicht, warum ich oft nur kurz angestellt war. Zeitarbeit kann ich nicht empfehlen. Hier muss man zu 200 % belastbar sein!
Anfallsfreiheit bedeutet eben nicht, geheilt und so fit zu sein wie zuvor. Inklusion wird leider in Deutschland nur sehr wenig »gelebt«.
Seit Anfang des Jahres habe ich schon 48 neue Bewerbungen geschrieben. Projekte zur Wiedereingliederung bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben halfen mir nicht weiter. Zum Teil waren sie sehr langweilig. Die Rentenversicherung lehnte eine Umschulung nach meinem Antrag im letzten Jahr erneut ab. Begründung: Ich würde schon irgendetwas im Büro finden, schließlich wäre ich eine erfahrene, gelernte Fachkraft! Leider komme ich so nicht weiter und als Alleinverdiener ist das sehr schwierig. Viele Büroberufe sind heute mit Schichtarbeit verbunden, daher kommen viele Stellen nicht in Frage.
Gibt es zusätzlich zu Ihrer Epilepsie Einschränkungen, die Sie mehr belasten als die Anfälle selbst?
Aktuell habe ich mehrere, weitere chronische Krankheiten, die meine Jobsuche und auch einen Alltag erschweren. Privat vertrage ich seit den Anfällen keinerlei Lärm oder Flackerlicht. Somit kann ich an Konzerten, Disco-Besuchen etc. nicht mehr teilnehmen. Dies schränkt u. a. neue Kontakte ein.
Wie gehen Sie heute mit der Erkrankung um? Verbinden Sie damit evtl. auch etwas Positives?
Ich nehme weiterhin täglich meine Medikamente und bin sehr froh, dass ich anfallsfrei bin. Es ist interessant, neue Leute mit dem gleichen Problem kennenzulernen z. B. in der Selbsthilfegruppe oder auf Seminaren. Ich bin nicht stolz darauf, aktuell von Bürgergeld zu leben, aber man kann so der Allgemeinheit zeigen, dass man auch unverschuldet hineingeraten kann.
Gibt es etwas, was Sie anderen Betroffenen sagen möchten? Was liegt Ihnen am Herzen?
Ich möchte alle Betroffenen dazu ermutigen, nicht aufzugeben! Es dauert bei manchen Patienten viele lange Jahre, bis sie vielleicht endlich die richtigen Medikamente gefunden haben. Es gibt immer wieder Rückschläge. Traut euch, Hilfe anzunehmen wie bei Selbsthilfegruppen!
Interview zusammengefasst
von Doris Wittig-Moßner