Schwangerschaft und Epilepsie

Das Risiko einer Vererbung wird meist überschätzt, sollte aber unbedingt thematisiert werden.
www.pixabay.com @Rainer_Maiores

– Historisches und Aktuelles

In seiner Abhandlung »Die Epilepsie: Ihr Wesen und ihre moderne Behandlung« geht der Berliner Arzt Dr. Friedlaender 1915 nach ausführlichen Darstellungen von Ätiologie und Behandlungsmöglichkeiten abschließend in Kapitel VII der Frage nach: »Dürfen Epileptiker heiraten?«.

 

Seine ernüchternde Antwort lautet wie folgt: »Bei der außer allem Zweifel stehenden Tatsache von der Erblichkeit der Disposition zu nervösen Erkrankungen dürfte eigentlich die gestellte Frage mit Rücksicht auf die außerordentliche Schwere des mit Epilepsie bezeichneten Leidens überhaupt nicht bejaht werden. Epileptikern müsste die Ehe unbedingt und ohne Einschränkungen verboten sein, gleichgültig, ob es sich um männliche oder weibliche Kranke handelt und ungeachtet der Form, in der sich die Krankheit äußert. ... Außerdem verbietet sich auch dem Schwerkranken eine Ehe von selbst, denn die damit verbundenen geschlechtlichen Erregungen sind sehr wohl geeignet, das Leiden zu verschlimmern, die Schwere und Zahl der Anfälle zu steigern.« Wenige Zeilen später fährt er fort: »Für die (epilepsiekranke) Frau sind ferner all die Störungen zu bedenken, die durch Schwangerschaft und Entbindung hervorgerufen werden können.«

 

Obwohl diese Zeilen »nur« rund 100 Jahre alt sind, erschrecken wir beim Lesen. Neben vielem Inhaltlichen, das heute anders beurteilt wird, erstaunt vor allem die damals übliche Entmündigung »des Kranken«. In Fortführung alter Tradition ist er allein durch sein Kranksein minderwertig. Viele Jahrhunderte bedeutete Kranksein unter der Dominanz christlichen Glaubens Schuld, Sühne oder Prüfung. Dabei gerieten »Epilepsiekranke«, bedingt durch die »erschreckenden« und wiederholt auftretenden Stigmata eines Grand mal-Anfalls mit Bewusstlosigkeit und starken motorischen Bewegungen besonders in den Fokus dieser Art Zuschreibungen.

 

In der Zeit Friedlaenders 1915 war der medizinische Fortschritt zwar schon so weit, die Ursachen für die Entstehung der Epilepsie nicht mehr in der Metaphysik, sondern in einer Fehlfunktion des Gehirns bzw. von Teilen des Gehirns zu suchen, frei von unreflektierten tradierten Unterstellungen war er aber noch nicht.

 

So finden sich die Empfehlungen zur Heirat bei Epilepsiekranken – »immer abzuraten« – im Handbuch der Psychiatrie von 1915, Kapitel »Epilepsie«, geschrieben von Prof. Dr. H. Vogt aus Wiesbaden zwischen den Abschnitten »Anstaltspflege und Soziales« und »Forensische Behandlung«. Unbewiesen unterstellt wurden damals in großer Übereinstimmung aller beteiligten Ärzte »Komorbiditäten« zu kriminellen Handlungen, unkontrolliertem Suchtverhalten und minderer Intelligenz. Diese unseligen Unterstellungen trugen dann in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Kulminationspunkt negativer Zuschreibungen und deren Konsequenzen bei, die in den Gesetzen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mündeten.

 

Die entmündigende Einstellung der (fast immer männlichen) Ärzte ihren Patienten gegenüber, häufig auch mit explizit misogyner Einstellung und dem Anspruch patriarchaler Verfügungsgewalt über Sexualität und Fortpflanzung gekoppelt, sind glücklicherweise heute einer primär aufklärenden und beratenden Tätigkeit der Ärzte mit dem Ziel maximal möglicher Eigenkompetenz auf Seiten der Patienten gewichen.

 

Zu Fragen einer möglichen Heirat wird heute kein Epilepsie-Patient mehr einen Arzt aufsuchen, zu Fragen von Sexualität, Schwangerschaft und Familienplanung ist eine intensive Beratung und Begleitung zum bestmöglichen Gelingen Normalität geworden.

 

Im Folgenden möchte ich drei wichtige Aspekte zum Thema Schwangerschaft und Epilepsie darlegen; pointiert gegliedert unter Davor, Dabei und Danach.

Davor

Spätestens mit Beginn der Periode sollte der behandelnde Kinder-Epileptologe mit der Patientin über Sexualität und Schwangerschaft sprechen. Dieser Gesprächsfaden wird nach Transition (= Übergang zum Erwachsenenmediziner) vom weiter behandelnden Epileptologen aufgegriffen. Ziel dieser Gespräche ist, der Patientin die Unterschiede einer Schwangerschaft mit und ohne Epilepsie und den damit verbundenen zusätzlichen Risiken anschaulich zu machen.

 

Zu dem Fehlbildungsrisiko von 2-4 % bei Schwangerschaft einer Frau ohne Epilepsie kommt ein zusätzliches, variables Risiko bei Epilepsie-Patientinnen hinzu, das von der Art der Epilepsie, von der Zahl der Anfälle und besonders von der Art und Dosis der eingenommenen antikonvulsiven Medikamente abhängt. Die Patientin sollte verinnerlichen, dass eine geplante Schwangerschaft diese zusätzlichen Risiken minimieren kann. Diese Risiko-Minimierung kann erreicht werden durch eine frühzeitige (am besten 1-1,5 Jahre vor Eintritt der Schwangerschaft abgeschlossene und »erprobte«) Umstellung auf Monotherapie, idealerweise mit Lamotrigin oder Levetiracetam. Valproat sollte, wenn immer möglich, vermieden werden. Polytherapien sind, wenn möglich, zu vermeiden. In den wenigen Einzelfällen, in welchen ohne Valproat keine befriedigende Anfallsbeherrschung gelingt, sollte eine Tagesdosis von 600 mg möglichst nicht überschritten werden. Die zusätzliche Einnahme von 5 mg Folsäure vor Eintritt der Schwangerschaft und mindestens im ersten Trimenon (= Drittel) hilft zusätzlich, Risiken von Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekte zu verkleinern.

 

Das Risiko einer Vererbung wird meist überschätzt, sollte aber unbedingt thematisiert werden. Es beträgt für Kinder epilepsiekranker Eltern 3-5 %, bei genetischen (früher idiopathisch-generalisiert genannt) Epilepsien 5-9 %.

www.freepik.com @syda_productions

Dabei

Die Hormon-Veränderungen während der Schwangerschaft bleiben nicht ohne Auswirkungen auf den Spiegel der Antikonvulsiva im Blut. Die Medikamente, die regelmäßig in ihren Blutspiegeln »abfallen«, sind Lamotrigin, Levetiracetam und Oxcarbazepin. Regelmäßige Spiegelkontrollen und Dosis-Anpassungen sind vor allem im ersten Trimenon wichtig.

 

Alle schwangeren Epilepsie-Patientinnen sollten in das EURAP-Register eingeschlossen werden; in fünf Bögen werden anonymisiert von Beginn der Schwangerschaft bis ein Jahr nach Geburt Informationen über Verlauf der Schwangerschaft, Epilepsie sowie Art und Höhe der eingenommenen antikonvulsiven Medikamente weitergeleitet und tragen so zu einer bestmöglichen Beratung künftiger Schwangerer mit Epilepsie bei (weitere Infos: www.eurap.de).

 

Frühzeitig sollten sich die Patientinnen eine Klinik zur Entbindung suchen, die sowohl
gynäkologisch als auch neurologisch und neonatologisch (= für Neugeborene) ausgestattet ist, um eine natürliche Entbindung in sicherer Umgebung zu ermöglichen.

Danach

 

Kinder von Müttern, die keine enzyminduzierenden Antikonvulsiva einnehmen, sollten wie alle Säuglinge Vitamin K oral erhalten, bei Einnahme von enzyminduzierenden Antikonvulsiva ist die parenterale Gabe zu empfehlen.

 

Als eine Art »Daumenregel« gilt, erhöhte Dosen antikonvulsiver Medikation innerhalb von vier bis sechs Wochen nach Geburt wieder auf die »alte« Dosis (vor Schwangerschaft) zu reduzieren. Diese Reduktion erfolgt in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt; Aktivitätsniveau und nächtliches Verhalten der neuen Erdenbürger sind so unterschiedlich, dass es in Einzelfällen sinnvoll sein kann, eine etwas höhere Dosis antikonvulsiver Medikamente noch über einige Wochen fortzuführen.

 

Die Vorteile des Stillens überwiegen in aller Regel die geringen Mengen der durch Muttermilch aufgenommenen Antikonvulsiva bei weitem, so dass eine mindestens dreimonatige Stillzeit unbedingt angestrebt werden sollte.

 

Nur bei offensichtlicher Beeinflussung des Säuglings durch die Medikamente (vor allem Sedierung und Trinkschwäche) sollte eine Spiegelbestimmung beim Säugling erfolgen. Durch Übernahme nächtlicher Pflichten durch den Partner (so vorhanden) mittels abgepumpter Milch sollte versucht werden, der Mutter nächtliche Erholung zu gewähren.

 

Florian Losch

 

Kontakt:

Dr. Florian Losch
Klinik für Neurologie
Zentrum für Epilepsie
Vivantes Humboldt-Klinikum
Am Nordgraben 2
13509 Berlin
florian.losch@vivantes.de

www.vivantes.de/humboldt-klinikum/neurologie-epilepsie