Wir leben mit einem „Angel“

„Angel“ Maja beim Routine-EEG
© Angelman e.V.

Unser „Angel“ Maja ist 14 Jahre.
Wir – das sind Majas Papa und Mama mit dem jüngeren Bruder Hannes – leben und wohnen in Grabow/Mecklenburg-Vorpommern. Maja besucht eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“.

 

Am Anfang hieß es „entwicklungsverzögert“

„Gesund und munter“, mit diesem Satz nach der Geburt aus dem Krankenhaus entlassen, starteten wir in eine neue Zeit voller Träume für die Zukunft mit unserer Tochter. Beim Prager Eltern-Kind-Programm (PEKIP), welches ich mit Maja besuchte, wurde klar, sie schien anders zu sein als andere Babys in ihrem Alter mit fünf Monaten. Der stetige Blickkontakt fehlte. Und beim Spielbogen, unter dem Maja lag, versuchte sie nur wahllos mit den kleinen Händen das Spielzeug in Bewegung zu bekommen. Hier sah man erstmals die Unterschiede zu den Kindern in ihrem Alter, die deutlich aktiver waren.

 

Eine kleine Spätzünderin eben, so dachten wir – zumindest zu dieser Zeit.

 

Aber auch einige PEKIP-Stunden und -Wochen später änderte sich nichts an dieser Situation. Andere Babys hielten den Blickkontakt, drehten sich, nur meine Tochter schien daran kein so großes Interesse zu haben.

 

Wir vereinbarten einen Termin bei unserem damaligen Kinderarzt, er sollte uns weiterhelfen, Tipps geben. „Entwicklungsverzögert“ hieß es damals. Maja würde Physiotherapie guttun, um beweglicher zu werden.

 

Die Physiotherapie-Einheiten brachten sie motorisch ebenfalls nicht auf den Stand, auf dem sie sein sollte. Weitere Kontrolltermine standen beim Kinderarzt an. Eine Vierfingerfurche, wie es sie auch bei Trisomie 21 gibt, wurde in der Handfläche festgestellt. Zur weiteren Abklärung wurde die Humangenetik hinzugezogen.

 

Die Gendiagnostik ließ unsere Träume zerplatzen

Das Institut für Humangenetik in Lübeck sollte Klarheit schaffen. Wir stellten uns also zur Abklärung sechs Monate nach der Geburt mit Maja dort vor. Ein ganz normaler Vorstellungstermin – dachten wir. Aber es kam anders. Nach ausführlichen Bewegungstests, vielen Fragen, Vermessungen und Begutachtungen hörten wir von dem Verdacht auf eine körperliche und geistige Behinderung, vielleicht habe Maja das Angelman-Syndrom. Aussagen, die wir nicht mehr vergessen werden, standen im Raum und ein Verdacht, mit dem wir so nicht gerechnet hatten.

 

Wir sollten nicht googeln, sondern auf die Blutuntersuchung warten, die Klarheit schaffen würde. Lange acht Wochen über Weihnachten und Silvester warteten wir auf die Auswertung der Laborergebnisse – voller Angst, Ungewissheit und Unverständnis. Am 12. Januar 2009 erreichte uns der Anruf aus der Humangenetik. Die Resultate seien da, telefonisch könne man uns diese nicht mitteilen, wir sollten kommen. An diesem Tag erhielten wir die Diagnose Angelman-Syndrom. Es wurde ein Tag der Trauer und der Wut – mit vielen Fragen. All unsere Zukunftsträume für Maja lösten sich von einer Sekunde auf die andere auf.

 

Majas Epilepsie – ein Auf und Ab

Verbunden mit dem Syndrom sind epileptische Anfälle – im Fall unserer Tochter mit sehr wechselhafter Entwicklung. Mit zwei Jahren bekam sie ihren ersten komplex-fokalen Anfall. Vier Monate später fand der zweite statt, weitere zwei Monate der dritte sowie insgesamt bis dahin vier große generalisierte Anfälle.

 

Zu Beginn wurde Ethosuximid eindosiert mit erfreulicher Stabilisierung der Anfallssituation. Im Alter von 4,5 Jahren kam es dann jedoch zu weiteren komplex-fokalen Anfällen. Im EEG war eine schwere Allgemeinstörung der Hintergrundaktivität bei fehlenden Schlafstadien zu sehen. Trotz der Einführung und Erhöhung des Medikaments gab es immer wieder Anfälle in der nächsten Zeit.

 

Mit fünf Jahren hatte Maja einen nonkonvulsiven Status, der im Krankenaus endete – vorausgegangen war ein generalisierter tonisch-klonischer Anfall. Dieser kontinuierliche bioelektrische Status konnte nur mit der zusätzlichen Gabe von Valproinsäure und Clobazam unterbrochen werden.

 

Danach blieb sie fast fünf Jahre anfallsfrei, bevor wieder Myoklonien und Absencen auftraten plus ein weiterer nonkonvulsiver Status, bei dem sie auf der Intensivstation behandelt werden musste. Seither ist sie anfallsfrei, Valproinsäure und Clobazam wurden mittlerweile abdosiert, aktuell ist nur noch Ethosuximid im Einsatz.

 

Majas epileptische Anfälle sind im Gegensatz zu denen anderer Betroffener eher selten, dafür stark – wir fürchten immer, erneut im Status zu enden und lange auf einer Intensivstation zu verbringen. Wir mussten lernen, damit zurechtzukommen. Den ersten Anfall werden wir nie vergessen, man ist verunsichert und hilflos. In den Momenten der Anfälle funktionieren wir – die Erschöpfung, Traurigkeit und die Frage, wann kommt der nächste Anfall, folgen anschließend.

Der Angelman e.V. ist uns eine große Hilfe

Am Tag der Diagnose in der Humangenetik erhielten wir einen Flyer mit Informationen über das Angelman-Syndrom, in dem auch die Kontaktdaten des Vereins zu finden waren. Wir nahmen per Telefon über die Angelman-Hotline Verbindung auf. Wenige Monate später besuchten wir unser erstes Regionaltreffen des Vereins, das mehrmals im Jahr angeboten wird. Dort hatten wir unseren ersten Kontakt zu anderen Angelman-Familien und deren Kindern. Zusätzlich tauschen wir uns über die sozialen Medien wie Facebook aus, hier gibt es extra eine Gruppe für betroffene Eltern.

 

Die größte Unterstützung hat uns wirklich der Angelman e.V. gegeben. Hier haben wir durch andere Eltern erfahren, wie es sich mit einem „Angel“ lebt, welche Besonderheiten auf uns zukommen. Weitere Beratungen zu Hilfsmitteln und Anträgen erhielten wir durch unser ansässiges SPZ (Sozial-pädiatrisches Zentrum).

 

Im Nachhinein sind wir froh, so zeitnah eine Diagnose in der Humangenetik erhalten zu haben. Und dann gab es auch schon die vielen engagierten Eltern, die dazu einen Selbsthilfeverein gegründet haben – einen Verein, in dem man Ansprechpartner hat, die jeden Tag mit dem Angelman-Syndrom leben. Für uns war es keine Frage, dem Verein beizutreten, dies war für uns selbstverständlich. Es gibt nichts Besseres, als immer auf dem Laufenden zu sein, Kontakt zu anderen Betroffenen zu haben und zu wissen, man ist nicht allein.

 

Meinen größten Respekt hatten zum damaligen Zeitpunkt schon alle, die sich neben Beruf, Familie und einem Angelman-Kind ehrenamtlich für den Verein eingesetzt haben. Sich im Ehren-amt zu engagieren, gehörte schon immer zu mir. Als dann die Position der Regionalleitung Ost neu besetzt werden sollte, stand für mich fest, dass ich diese Aufgabe gerne übernehme und den Angelman e.V. damit unterstütze.

 

Ich wünsche dem Verein weiterhin viele engagierte Eltern, die sich trotz ihrer begrenzten Zeit für den Verein und deren Mitglieder einsetzen, Projekte entwickeln und vorantreiben. Für Maja wünsche ich mir eine sichere Zukunft mit lieben Menschen um sie herum, gesund zu bleiben und weitere Meilensteine zu erreichen. Für uns wünsche ich mir weiterhin stark zu sein und zu bleiben, positiv zu denken und das Leben lebenswert zu leben.

 

Kein leichter Alltag, aber wir leben ihn gut und denken positiv

Es gibt herausfordernde Tage und Wochen. Alles muss geplant und organisiert sein, spontan sein geht nur selten und manchmal ist einfach alles nur chaotisch. Zeit für sich selbst zu finden, ist eine der größten Herausforderungen.

 

Positiv ist so einiges: Dass ich viele Menschen in Deutschland ohne das Angelman-Syndrom nicht kennengelernt hätte, dass wir guten Zuspruch bekommen, wie wir mit Maja leben. Dass wir trotz der besonderen Umstände auch glücklich sein können. Dass wir mit unserer Tochter einiges erleben dürfen – wenn auch nicht alles. Und: Dass wir in erster Reihe parken und als eine der ersten ins Flugzeug einsteigen dürfen. W

 

Zu guter Letzt

Nichts ist planbar und trotzdem planen wir. Vieles ist ungewiss und trotzdem sind wir zuversichtlich. Heute ist es eine Träne der Wut, der Traurigkeit, der Hilflosigkeit, des Verzweifelns – ein anderes Mal der Freude über die kleinen so wichtigen Meilensteine.

 

Wir sind nicht allein und trotzdem fühlt es sich manchmal so an. Warum nicht gleich positiv denken?! Wir bleiben stark, auch wenn es nicht einfach ist, für unsere „Angels“, für unsere Zukunft.

 

Andrea Pohl

Die Jahrestreffen sind das Highlight im Veranstaltungskalender aller Angelman-Familien
© Angelman e.V.