Elternverantwortung bei einem geistig behinderten Kind

Bei unserem Wochenendseminar vom 5. bis 7. Oktober 2001 auf der Fraueninsel am Chiemsee wurden einige Workshops abgehalten. Über einen möchte ich berichten:

Workshop von Helga Rühling Bethel/Bielefeld

"Elternverantwortung bei einem geistig behinderten Kind"
Frau Rühling arbeitet seit 20 Jahren in einer Erziehungsberatungsstelle in Bethel für Kinder, Jugendliche und Eltern. Der Schwerpunkt der Beratung liegt bei Entwicklungsstörungen zusätzlich mit Epilepsie.
Sie sieht sich im Auftrag der betroffenen Familien tätig.
Sie unterstützt die Eltern ebenso wie die Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung.
Sie bildet Müttergruppen, die letztendlich in eine Selbsthilfegruppe geführt werden.
Unser Workshop wurde als Gesprächsgruppe geführt.
Das Hauptproblem von uns Eltern wurde gleich zu Anfang definiert:

"Wir müssen lebenslange Verantwortung übernehmen."

Dies ist eine Belastung, die häufig an die Grenzen der Möglichkeiten der betroffenen Eltern stößt.
Zum einen sind wir uns in der Regel sicher, dass wir nicht loslassen können, weil wir nicht zulassen können, dass eine andere Betreuung unserer Kinder auch gutsein kann.
Gerade bei komplizierten Epilepsien trauen sich die Betreuer die Begleitung oft nicht zu und bestehen auf einer ständigen Präsenz der Mutter. Dies bedeutet zumindestens eine Rufbereitschaft.
Gerade hierzu berichteten einige Mütter aus der eigenen Erfahrung.
Ein anderes Problem, sowohl innerhalb der Familie als auch im Kindergarten, Schule später Werkstatt/Förderstätte oder Wohnheim ist die wahrgenommene Wesensveränderung unter Einnahme der antiepileptischen Medikamente.
Eine Mutter berichtete, dass sie jetzt erst unter fast völligem Absetzen der Medikamente ein liebenswertes, fröhliches Kind kennengelernt hat. Sie hat richtiggehend Angst, wieder die doch notwendigen Antiepileptika zu geben, da sich sowohl das Wesen als auch das Verhalten ihres Kindes dramatisch verschlechtern wird. Dies erschwert den Alltag ungemein.
Ein weiterer Gesichtspunkt war die große Angst vor der Zukunft: Was passiert, wenn wir einmal krank sind, alt sind, nicht mehr leben?
Dieser Gedanke blockiert und lähmt uns.
Als Strategie berichteten einige Teilnehmer, dass sie zwar versuchen Netze für die Zukunft aufzubauen, aber nicht im Einzelnen darüber nachdenken was passiert, wenn...... Sie versuchen das Leben mit ihrem Kind und der Familie in kürzeren Zeiträumen zu organisieren und immer das nächstliegende Ziel bestmöglich zu bewältigen.
Um der großen Belastung standhalten zu können, waren wir uns alle einig, dass wir ganz bewusst darauf hinarbeiten, uns Freiräume zu schaffen, uns mindestens einmal am Tag etwas Gutes zu gönnen und uns mit Hilfe von Außen wenigstens stundenweise mit etwas völlig anderem beschäftigen können und so z. B. auch innerhalb der Partnerschaft die Möglichkeit haben, nur etwas für uns zu tun.
Dies wurde von fast allen Müttern bereits mit Erfolg praktiziert.
Frau Rühling berichtete, dass es während der Zeit ihrer Tätigkeit sehr viele ermutigende Entwicklungen gegeben hätte.

So zum Beispiel:


  • Es sind eine Menge neuer Hilfen geschaffen worden.
  • Die wissenschaftliche Entwicklung hat uns neue Möglichkeiten eröffnet.
  • Die Forschung beschäftigt sich detailliert mit dem Thema:

Wie bewältigen Familien solche schwierigen Situationen, wie können Grundlagen geschaffen werden, solchen Familien von Anfang an zu helfen und sie auf ihrem Weg zu unterstützen?
Es wurde bei den Studien festgestellt, dass die Mütter nach anfänglichen Schwierigkeiten, die sie lernten zu überwinden, ein hohes Selbstwertgefühl ausgebildet haben.
"Sie sind stolz darauf, diese schwierige Situation so gut meistern zu können".
In der Regel entwickelt sich dadurch eine äußerst positive Beziehung zu dem Kind.
Wenn unter den Eltern/Partnern ein intensiver Austausch in der gemeinsamen Sorge um das Wohlergehen des Kindes stattfindet.
Wenn der Alltag sehr gegenwartsbezogen wird, das heißt man lernt sich auf das Machbare zu beschränken, man bekommt ein gutes Gefühl für Prioritäten.
Sehr häufig wird die schwierige, belastende Situation im Nachhinein und mit Größerwerden der Kinder als Lebensbereicherung empfunden.


Ein wichtiger Gesichtspunkt ist, dass der Krankenstand der betreuenden Mütter sehr hoch ist. Das Problem dabei ist, dass die Krankheit häufig erst bemerkt wird, wenn der Zustand schon als sehr ernst bezeichnet werden muss. Deshalb sollten wir Mütter uns immer wieder darauf besinnen, dass wir auf uns achten müssen.

Als Ziele in unserem Alltagsleben gelten zusammenfassend folgende Punkte:

  • Eigene Kräfte und das Können anderer realistischer wahrnehmen und die Grenzen erkennen lernen.
  • Trotzdem eine optimistische Sichtweise entwickeln
  • Nach innen und außen sich von überhöhten Ansprüchen verabschieden.
  • Hilfe mobilisieren und annehmen
  • Kinderfreie Zeiten allein oder mit dem Partner ermöglichen.
  • Außenkontakte bewusst verstärken
  • Die eigene Gesundheit ernstnehmen und sie pflegen.
  • Wenn es möglich ist, eine qualifizierte und befriedigende Berufstätigkeit ausüben.


Bärbel Popp, e.b.e