Solange es noch Hoffnung gibt („First do no harm“)
Anmerkungen zum Film
Der Film beginnt mit dem Eid des Hippokrates. Er erzählt dann die Geschichte eines Jungen mit Epi- lepsie und das, was er und seine Familie in den 9 auf den ersten epileptischen Anfall folgenden Monaten erleben und erleiden. Die Behandlung wurde mit Phenobarbital begonnen, dann mit Dilantin (Phenytoin), Tegretal , Depakine (Valproinsäure) und Mysoline (Primidon) weitergeführt. Trotzdem häuften sich die Anfälle und es traten epileptische Staten auf. Als Nebenwirkung des Tegretal kam es zu einem Stevens-Johnson- Syndrom, Mysoline führte zu Erregungszuständen. Als Ausweg wurden der Einsatz eines nicht zugelassenen Medikaments und schließlich eine operative Diagnostik mit dem Ziel einer späteren Hirnoperation angeboten. Die verzweifelte Mutter informierte sich in einer Bibliothek über Epilepsien und Therapiemöglichkeiten und erfuhr auf diesem Wege von der ketogenen Diät. Schließlich brachten die Eltern den Jungen gegen den massiv vorgetragenen Rat der behandelnden Ärztin in eine Klinik (Johns Hopkins Hospital), wo man langjährige Erfahrung mit der ketogenen Diät hat. Die Behandlung wurde ambulant durchgeführt. Bereits während der initialen Fastentage besserte sich das Befinden des Jungen. Nach wenigen Tagen wurde er anfallsfrei. Der Therapieerfolg befähigte ihn schliesslich zu mitreissenden patriotischen Bekundungen im Festzug auf dem Rücken eines Pferdes - dass er anfallsbedingt herunterfallen könnte, brauchte nicht mehr in Betracht gezogen zu werden. Das Gute triumphiert. Zum Schluss werden Patienten vorgestellt, die nach Behandlung mit ketogener Diät anfallsfrei wurden.
Der Streifen hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Die kritische Haltung der Mutter angesichts der Erfolglosigkeit der Therapie, der Zunahme der Anfälle und in Anbetracht der knappen, distanzierten und teilweise schockierenden und auch widersprüchlichen Erklärungen der Ärzte ist einfühlbar. Verständlich ist auch das Bemühen der Eltern, vor einer Operation nichts unversucht zu lassen und ihr Kind in eine Einrichtung zu bringen, in der Erfahrung mit der ketogenen Diät vorliegen.
Im übrigen werden Defizite ärztlichen Verhaltens, Mängel in der Therapieführung und im Einsatz der Medikamente verbunden mit häufig wiederholter Diagnostik vordergründig ausgebreitet. Medikamente haben Nebenwirkungen, die von den Ärzten heruntergespielt werden. In dieser Art Medizin steckt etwas vom Bösen. Der amerikanische Titel des Films lässt bereits Schlimmes ahnen. Nichtmediziner könnten auf den Gedanken kom- men, dass die geschilderten Szenarien wenigstens bei schwierigen Epilepsien die Regel sind. Man erfährt ausserdem, dass Patienten Versuchskaninchen sind, dass Ärzte die Wirkung der Medikamente nicht beurteilen können und nicht imstande sind, Infusionen anzulegen. Wenn die Eltern die ketogene Diät, eine von der behandelnden Ärztin nicht favorisierte Behandlungsmethode, ins Gespräch bringen, werden sie brüsk zurückgewiesen und mit an Erpressung grenzenden Reden an eigener Initiative gehindert. Die teilweise abwertend gefärbte Darstellung ärztlichen Handelns ist mit Sicherheit nicht geeignet, bei Patienten mit schwierigen Epilepsien bzw. bei deren Angehöri- gen das Vertrauen in ärztliches Bemühen zu stärken. Pekuniäre Probleme der Familie geben beiläufig die Möglichkeit, auf merkantiles Verhalten seitens mancher Ärzte hinzuweisen.
Werbung für die ketogene Diät kann man gewiss auch anders anlegen. Unseren Anfallspatienten wäre besser gedient, wenn sich der Film auf Sachinformation orientiert hätte.
Was kann man von der ketogenen Diät erwarten? Bei gesichert pharmakoresistenten Patienten (vor allem bei Kindern), die für eine chirurgische Behandlung nicht infrage kommen, ist die ketogene Diät eine bedenkenswerte Alternative, sofern keine Kontraindikation besteht. Es handelt sich dabei um eine anspruchsvolle Therapie, die unter der Leitung eines erfahrenen Arztes durchgeführt werden sollte, keinesfalls als Selbstbehandlung. Vom Patienten wird Mitwirkungsbereitschaft und Disziplin erwartet: auch wenn man heute die Kost variationsreicher gestalten kann als noch vor 20 Jahren mutet sie dem Betroffenen einiges zu. In günstigen Fällen erreicht man eine erhebliche Abnahme der Anfälle, Anfallsfreiheit ist die Ausnahme. Wenn nach zwei bis drei Jahren auf die ketogene Kost verzichtet wird, ist bei einem Teil der Patienten damit zu rechnen, dass sich die frühere Anfallshäufigkeit wieder einstellt - bleibende Erfolge ohne Medikamente und ohne Diät sind eher die Ausnahme als die Regel. Anders als im Film dargestellt muss sich die ketogene Diät, wenn man eine fundierte Aussage über ihre Wirkung und die zu erwartende Wirkung bei einem konkreten Patienten treffen will, den gleichen Kriterien stellen wie jede andere Therapie. Das bedeutet nicht, dass placebokontrollierte Doppelblindstudien durchgeführt werden sollen. Das wäre mit der ketogenen Diät auch kaum möglich. Mit einer genügenden Anzahl sauber dokumentierter prospektiver Verlaufsstudien kann man aber zufallsbedingte Effekte eliminieren und den Nachweis führen, unter welchen Voraussetzungen der Verzicht auf diese Behandlung ein Fehler wäre.
G. Rabending, Potthagen