Kinder mit einer Epilepsie … besser verstehen

Gemeinschaftsinitiative Epilepsie

Foto: Interessiertes PuplikumUnter Beteiligung zahlreicher Selbsthilfeeinrichtungen, Fachverbänden aus dem Gesundheitswesen, Kliniken, Krankenkassen und Pharmafirmen lud die Gemeinschaftsinitiative Epilepsie am 25.Oktober 2004 unter Schirmherrschaft der Staatsministerin Christa Stewens in den Alten Rathaussaal nach München ein.

Und die interessierte Öffentlichkeit nahm das Angebot gerne wahr - an den Informationsständen vor dem Rathaussaal wurde rege diskutiert, der große Saal selbst war von Beginn bis Ende der dreistündigen Veranstaltung sehr gut besucht.

Interessiertes Publikum
Foto: Quelle:BLÄK, München



GrafikAls erster Hauptreferent sprach Prof. Dr. med. Florian Heinen vom Dr. von Haunerschen Kinderspital München zum Thema "Sehen - Verstehen, oder warum sind die Eltern die wichtigsten Personen im Erkennen der Epilepsie?" Dr. Heinen hob die vertrauensvolle Arzt-Eltern-Beziehung als zentrale Voraussetzung für eine gelingende Therapie heraus. Nur im verbindlichen und wechselseitigen Dialog mit den Eltern könne die Anfallssymptomatik umfassend erfasst und adäquate Wege der Behandlung gefunden werden. Jede Epilepsietherapie stehe zunächst auf Bewährung und müsse dann überprüft und verändert werden, damit das Therapieziel "Möglichst wenige Anfälle / Anfallsfreiheit bei möglichst geringen Nebenwirkungen" erreicht werde.

Grafik von Dr. Florian Heinen, Dr. von Haunersches Kinderspital, München
Foto: Quelle:BLÄK, München


Vom Kinderzentrum Vogtareuth kamen mit Oberarzt Dr. med. Gerhard Kluger, Psychologe Andreas Kirsch und Sonderschullehrer Wolfgang Glienke drei Fachreferenten zu Wort, die unter dem Klinikdach interdisziplinär tätig sind. Dr. Kluger zeigte Anfallsaufzeichnungen von Kindern im Klinikalltag. Anhand einiger Ausschnitte aus dem Schulungsprogramm FaMoses, das speziell für epilepsiekranke Kinder und deren Eltern entwickelt wurde, verdeutlichte Herr Dr. Kluger die Bedeutung des aktiven Umgangs mit der Erkrankung. Ziel sei es, das alle Familienmitglieder Experten in Sachen Epilepsie werden.

Psychologe Andreas Kirsch zeigte besondere Situationen auf, denen epilepsiekranke Kinder im Schulalltag und in der Familie begegnen. Oft wachse ihnen eine Sonderrolle zu, die jedoch durch Gespräche mit dem Kind, den Eltern und beteiligten Lehrern verändert werden könne. Kirsch warnte davor, das Kind überzuversorgen. Das sei zwar gut gemeint, schränke das Kind und seine Umwelt aber oft unnötig stark ein.

Sonderschullehrer Wolfgang Glienke berichtet von seiner Erfahrung, dass epileptische Anfälle den Schulalltag kaum berühren. Obgleich er als Lehrer im Epilepsiezentrum Vogtareuth regelmäßig und in großer Zahl epilepsiekranke Kinder beschule, kam es im letzten Schuljahr zu keinem einzigen epileptischen Anfall im Unterricht. Das Ertrinkungsrisiko im Schwimmunterricht könne man mit Schwimmwesten wirksam unterbinden. Und eine Sonderrolle des epilepsiekranken Schülers kann verhindert werden, wenn zum Beispiel Gelegenheiten entstehen, wo alle Schüler eine Schwimmweste tragen. Glienke: "Was glauben Sie was das für eine Gaudi ist, wenn alle Kinder Wasserball mit Schwimmwesten spielen?"

Die jüngst veröffentlichte CD-Rom "Epilepsien - eine pädagogische Herausforderung für jede Schule?!" stellte Schulleiterin Frau Renate Windisch vom Landesverband Epilepsie Bayern e.V. vor: Die CD-Rom sei eine wichtige Informationsquelle für alle, die mit dem Thema befasst seien. Windisch erläuterte einige Aspekte aus den sehr zahlreichen pädagogischen, medizinischen und rechtlichen Fragestellungen, die die CD-Rom aufrollt. Die Pädagogin betonte wiederholt, wie wichtig der Dialog zwischen dem betroffenen Kind, seinen Eltern, den Lehrern und Ärzten sei. Im offenen Gespräch können die meisten Probleme gut erörtert und gelöst werden.

Im zweiten Teil der Veranstaltung kamen auf dem Podium unter anderen der epilepsiekranke Jugendliche Frank (Name geändert) und dessen Mutter zu Wort. Frank räumte ein, dass er früher seine Krankheit auch als Druckmittel einsetzte: "Ich drohte dann, meine Medikamente nicht mehr zu nehmen", sagte Frank. Heute erlebt er, dass er vom Arbeitsamt statt einer Ausbildung in eine Behindertenwerkstatt empfohlen werde. Dort sei er aber seiner Meinung nach unterfordert und ohne angemessene berufliche Perspektive. Hier meldete sich Frau Margret Meyer-Brauns von der Elternberatung der Lebenshilfe München spontan zu Wort und versprach, ihn bei der Erreichung seiner Ziele zu unterstützen.

Das letzte Drittel der Veranstaltung bot den Besuchern Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Dabei wurde die Kritik laut, dass die Behandelbarkeit der Epilepsien von den Ärzten zu optimistisch dargestellt wurde. Die betroffenen Eltern wendeten ein, dass die richtige medikamentöse Einstellung oft alles andere als einfach zu finden sei. Die Unsicherheiten in der Behandlung und die Beeinträchtigungen durch die Anfälle seien für epilepsiekranke Kinder und deren Familien teils enorm.

Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob man die Epilepsie im Einzelfall - zum Beispiel gegenüber der Schule - erst einmal besser verschweigen solle. So berichtete eine Mutter, dass sie die Epilepsie ihres Kindes wegen negativer Erfahrungen mit anderen pädagogischen Einrichtungen erst offenbarte, nachdem das Kind bereits einige Monate eingeschult war. Nur so konnte sie gewährleisten, dass ihr Kind eine normale Anfangssituation im neuen Klassenverband erleben durfte und nicht gleich eine Sonderrolle zugedacht bekam. Lehrer plädierten hingegen für eine Offenlegung der Erkrankung schon vor der Einschulung und warfen ein, dass Eltern riskierten, das Vertrauen zwischen Schule und Elternhaus zu verspielen, verschweigen sie die Erkrankung des Kindes.

Abgeschlossen wurde die lebendige und zeitlich großzügig bemessene Diskussion mit Wünschen, die einzelne Teilnehmer äußerten. Eine Lehrerin etwa äußerte den Wunsch, dass Ärzte regelmäßig den Kontakt zu Lehrern suchen sollten. Und der epilepsiekranke Frank wünschte sich, dass er wegen seiner Krankheit nicht mehr so gehänselt werde wie in der Vergangenheit. Wünsche, an deren Erfüllung sicher noch gearbeitet werden muss. Damit wir "Kinder mit einer Epilepsie … besser verstehen!"

Peter Brodisch
Leiter der EpilepsieBeratung München

 


Staatssekretär Jürgen W. Heike
Foto: Quelle: BLÄK, München


Schulungsmaterialien

  • Unterrichtssatz: Bei Tim wird alles anders.

    • Zur gleichnamigen Erzählung von Gerd Heinen.
    • Von G. Heinen, M. Fink, M. Mälzig:
    • Verlag epilepsie 2000 e.V.,
    • Tel. 030-3414252.

  • Flip&Flap:

    • Ein Epilepsie-Schulungsprogramm für Kinder, Jugendliche und Eltern.
    • Kontakt: S. Häger,
    • Tel. 0451-500 37 57,
    • Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.epilepsieschulung.de

  •  FaMoses:

    • Modulares Schulungsprogramm Epilepsie für Familien.
    • Veröffentlichung ca. Anfang 2005 im Bethel-Verlag, Bielefeld.


Informationsmedien

  • CD-Rom: Epilepsien - eine pädagogische Herausforderung für jede Schule?!

  • Epilepsie in der Schule.

    • Informationsmaterial für Lehrer.
    • Hrsg.: Informationszentrum Epilepsie,
    • Tel. 0521-124117


Literatur

  • Schneble, H.:

    • Epilepsie bei Kindern.
    • Wie Ihre Familie damit leben lernt.
    • Stuttgart 1999.

  • Schöler, J. (Hrsg.):

    • Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen in der Schule.
    • Ein Handbuch für Pädagoginnen, Pädagogen und Eltern.
    • Berlin 1999.

  • Schweizerische Vereinigung der Eltern epilepsiekranker Kinder SVEEK (Hrsg.):

    • Epilepsien im Schulalltag.
    • Basel 1995.


Anlaufstellen in München

  • Beratungsfachdienst Integration

    • Schulreferat München
    • 089-233-28669

  • Elternberatung der Lebenshilfe

    •  Tel. 089-69347-117 (Dienstags)

  • EpilepsieBeratung

    • Innere Mission München e.V.
    • Tel. 089-126991-432

  • Epilepsie-Bundeselternverband

    • Tel. 089-8711640

  •  Mobiler Sozialpädagogischer Dienst (MSD)

    • Tel. 089- 64258-452

  •  Staatliche Schule für Kranke

    • Tel. 089-3068-3978