"Unterstützung für Menschen mit Behinderung nur noch, wenn genug Geld da ist? Sanierung der Staatsfinanzen auf Kosten der Behinderten? "

Ein Zwischenruf zum Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich (KEG) Gesetzesantrag des Freistaates Bayern vom 17.09.2004 (Bundesrat, Drucksache 712/04).

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat der Freistaat Bayern am 5. November den Entwurf eines so genannten Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich ((KEG) in den Bundesrat eingebracht. Ziel ist, bundesweit jährlich bei der Jugendhilfe 250 Millionen Euro und in der Sozialhilfe 300 Millionen Euro einzusparen.

Die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte Begrenzung der staatlichen Fürsorgeleistungen als unterstes Netz der sozialen Sicherung ist aus meiner Sicht nicht hinnehmbar. Denn die im bayerischen Entwurf des Kostenentlastungsgesetz enthaltenen massiven Leistungseinschränkungen widersprechen dem im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialstaatsprinzip.

Nach Angaben der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens (CSU) soll es in diesem Gesetzentwurf darum gehen, die Gestaltungskraft der Kommunen gerade im sozialen Bereich zu erhalten. Deshalb solle bei einigen kostenträchtigen Leistungen eine weitere Kostenbelastung der Kommunen vermieden oder wenigstens deutlich eingedämmt werden. Zu den Vorschlägen, die laut Ministerin Stewens keineswegs den "Ausstieg aus dem sozialen Bayern" bedeuteten, im Einzelnen:

Ein wesentlicher, wenn nicht der wichtigste, Inhalt des Gesetzesentwurfes ist die generelle Einführung einer so genannten Finanzkraftklausel bei der Frage, ob eine gewünschte Sozialleistung erbracht bzw. wie diese ausgestaltet wird. Nach dem Entwurf des KEG sollen hierzu die folgenden Sätze 3, 4 und 5 in § 33 SGB I ergänzt werden:

"Die dadurch entstehenden Kosten müssen vertretbar sein und dürfen die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Trägers nicht überfordern. Die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Trägers ist bei den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten hinsichtlich der Ausgestaltung der Leistungen ...... stets zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei Vereinbarungen, die nach den besonderen Teilen dieses Gesetzbuches getroffen werden."

Nach der aktuellen Rechtsprechung spielt bei der Prüfung der Angemessenheit der Sozialleistung die finanzielle Leistungsfähigkeit des Kostenträgers bisher keine entscheidende Rolle. Dies dürfte sich grundlegend ändern, sollte das KEG tatsächlich in Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Denn nach dem Gesetzentwurf sollen soziale Leistungen in allen Bereichen - Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Kinder- und Jugendhilfe, Sozialhilfe etc. - von der finanziellen Leistungsfähigkeit der öffentlichen Träger abhängig gemacht werden. Das Gleiche soll auch bei den Pflegesatzvereinbarungen gelten.

Bei sämtlichen Vorschriften, die Wunsch- und Wahlrechte enthalten, wäre damit stets die Finanzkraft der öffentlichen Träger, also auch der Kommunen, als Abwägungsgesichtspunkt bei der Entscheidung hinsichtlich der Ausgestaltung der Leistungen zu berücksichtigen.

Bisher konnte z. B. eine pflegebedürftige Person wählen, ob sie die Hilfe in einer Wohngruppe, in der eigenen Wohnung oder zu Hause in der Familie wünschte. Bei der Prüfung, ob es sich dabei um einen berechtigten Wunsch handelt, dem entsprochen werden muss, dürfte der Kostenträger dann auch seine konkrete Kassenlage mit berücksichtigen.

Nach dem Willen der bayerischen Staatsregierung sollen durch die im Gesetzentwurf enthaltene Finanzkraftklausel elementare Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung wie Wohnen, Pflege und Betreuung von der Finanzkraft der öffentlichen Haushalte abhängig gemacht werden. Die Folge, befürchte ich, werden qualitätsgefährdende Kürzungen sein, die vor allem pflegebedürftige und behinderte Menschen treffen.

Zur Stärkung der prekären finanziellen Situation der Kommunen enthält der Gesetzentwurf neben der Finanzkraftklausel zahlreiche weitere Regelungen, die zu Leistungseinschränkungen führen können.

So soll die Festlegung der Regelsätze der Sozialhilfe einschließlich der bei der Bestimmung zu berücksichtigenden Bemessungskriterien künftig wieder ausschließlich Ländersache sein. Die Bundesländer könnten dann untereinander abweichend höhere oder niedrigere regionale Regelsätze zulassen. Die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs führt hierzu aus: "In Folge können die Länder nicht nur länderbezogene Lohn- und Preisniveaus berücksichtigen, sondern andere oder weitere Bemessungskriterien heranziehen, einzelne Kriterien stärker oder schwächer gewichten und damit selbständig Sozialpolitik betreiben. So könnte z. B. eine stärkere Berücksichtigung des Lohnabstandes zur Stärkung der Akzeptanz der Sozialhilfe in der Gesellschaft beitragen."

Allein unter Anwendung des Arguments der stärkeren Berücksichtigung des Lohnabstandes könnte jedes einzelne Bundesland eigene niedrigere Regelsätze zulassen. Von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regelsätze entsprechend der jeweiligen Zielrichtung der Sozialpolitik könnten die Folge sein.

Nach dem Gesetzentwurf sollen Pflegesätze für stationäre und ambulante Leistungen nach Ablauf des vereinbarten Zeitraumes nicht mehr auf unbegrenzte Dauer, sondern nur noch sechs Monate fortgelten. Sollte das Wirklichkeit werden, könnte dies für die Einrichtungen schwerwiegende Folgen haben.

Denn: Sollte der Abschluss einer neuen Vereinbarung nicht innerhalb eines halben Jahres gelingen, hätte die Einrichtung zwar einen Anspruch auf Ausgleich der weiterhin erbrachten Pflegeleistungen.

Der in der Pflegesatzvereinbarung ursprünglich geregelte Pflegesatz wäre jedoch nicht mehr für den Kostenträger bindend. Es könnte der anderweitig in vergleichbaren Einrichtungen gezahlte und möglicherweise niedrigere "durchschnittliche" Pflegesatz zugrunde gelegt werden. Einrichtungen, die bisher von hohen Pflegesätzen profitierten, könnten damit bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung nur noch anderweitig übliche, unter Umständen nicht kostendeckende Pflegesätze abrechnen.

Weiter soll das Kindergeld in voller Höhe als Einkommen bei Personen eingerechnet werden, die in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe untergebracht sind oder die Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung erhalten. Daneben enthält der Gesetzesentwurf Änderungen, die den Verwaltungsvollzug und die Rechtsschutzmöglichkeiten betreffen So ist eine Schärfung der Generalklauseln für die Missbrauchskontrolle beabsichtigt.

Entgegen der bisherigen Regelung soll ausdrücklich festgelegt werden, dass stichprobenhafte Nachfragen ohne Anfangsverdacht zur Kontrolle des Leistungsmissbrauchs erlaubt sind. Ein Datenabgleich zwischen den einzelnen Träger von Sozialleistungen wie Sozialamt, Rentenversicherung, Arbeitsamt etc. wird damit erleichtert.

Die Durchsetzung der Rechte und Ansprüche der Betroffenen wird die im Gesetzentwurf vorgesehene sogenannte Mutwillensgebühr in Höhe bis zu € 2.600,00 für unzulässige oder offensichtlich unbegründete Rechtsbehelfe erschwert. Ein Widerspruchsverfahren ist jedoch regelmäßig Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage.

Die Mutwillensgebühr würde den Bürger daher vor die Alternative stellen, entweder einen erheblichen Betrag zu riskieren (€ 2.600,00) oder auf die Einlegung eines Widerspruchs und damit auf die Möglichkeit der Überprüfung der behördlichen Entscheidung in einem Klageverfahren vor einem unabhängigen Gericht zu verzichten.

Insgesamt drängt sich mir der Eindruck auf, dass mit diesem Gesetzentwurf aus Bayern die kommunalen Haushalte auf Kosten von pflegebedürftigen und behinderten Menschen saniert werden sollen. Das halte ich für nicht hinnehmbar.

Am 05.11.2004 hat der von Bayern eingebrachte Gesetzesentwurf mit geringfügigen Änderungen, u. a. wurde die Missbrauchsgebühr gestrichen, den Bundesrat passiert. Der Entwurf wird jetzt der Bundesregierung zugeleitet, die ihn innerhalb von 6 Wochen dem Deutschen Bundestag weiterleiten muss. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag weiterentwickelt.

Rechtsanwalt Jürgen Greß ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er ist spezialisiert auf Verwaltungs- und Sozialrecht.

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