Epilepsien besser verstehen

Teil 3

Anfallsformen

Bei klassischen Epilepsien kommen die Anfälle meist ohne Vorwarnung, treten plötzlich auf und führen hierdurch zu einer Verunsicherung des Betroffenen und seiner Angehörigen. Konstant sind die Symptome des Anfalls. Jeder Patient hat eine Form von Anfall, der in der Regel nur in der Heftigkeit der Ausprägung variiert. Die Symptome des Anfalls werden durch die Hirnschädigung, die der Epilepsie zu Grunde liegt, bestimmt.

 

Fokale Anfälle

Die häufigste Form von Anfällen stellen die fokalen Anfälle dar.
Diese Anfälle zeigen Ausfallsymptome bzw. Überschußreaktionen der betroffenen Hirnregionen.

 

Einfach fokale Anfälle

Ist z.B. ein Teil des Gehirns betroffen, das die Steuerung der Muskeln übernommen hat (motorische Rinde), kommt es zu unkontrollierten Bewegungen, meist Zuckungen, die häufig rhythmisch sind. Wir sprechen von fokal-motorischen Anfällen.
Ist der Teil des Gehirns betroffen, der die Sinneseindrücke verarbeitet, kommt es zu sensorischen Anfällen. Der Patient verspürt z.B. ein Kribbeln im Finger, für das es keine Ursache gibt.
Bei anderen Anfällen können Gefühle wie Übelkeit, aber auch Traurigkeit oder Heiterkeit ausgelöst werden.
Bei einfachfokalen Anfällen ist das Bewusstsein erhalten, d.h. der Betroffene kann den Anfall wahrnehmen und beschreiben. Er kann auch auf den Anfall und Veränderungen in der Umwelt reagieren.
Elementar-fokale Anfälle ohne motorische Beteiligung werden, besonders wenn es danach zu einem generalisierten Anfall kommt, als Auren bezeichnet. Streng genommen sind Auren jedoch keine Vorboten eines Anfalls, wie der Name „Aura“ sagt, sondern der Beginn eines Anfalls, der sich in Folge ausbreiten kann.

 

Komplex-fokale Anfälle

Diese Anfälle wurden früher als psychomotorisch bezeichnet, da sie neben motorischen Äußerungen, d.h. Bewegungen, auch eine Änderung der Psyche, d.h. des Verhaltens, bewirken.
Da es häufig zu einer Verwechslung mit Psychogenen Anfällen kam, wird heute der Begriff der komlex-fokalen Anfälle bevorzugt.
Bei komplex-fokalen Anfällen ist das Bewusstsein eingeschränkt. Meistens wird ein Teil der Umwelt noch wahrgenommen, ggf. auch auf diese reagiert. Die Reaktion auf die Umwelt ist jedoch verändert. Die Erinnerung an den Anfall selbst kann ebenfalls eingeschränkt sein oder ganz fehlen.
Häufiger „Sitz“ komplex-fokaler Anfälle ist der Schläfenlappen, der für die Verarbeitung der unterschiedlichen Sinneseindrücke zuständig ist.
Schläfenlappenanfälle können z.B. das Gefühl erzeugen die Situation bereits zu kennen, obwohl man an diesem Ort noch nie war (Deja vu) oder aber im Gegenteil bekannte Orte und Personen als völlig fremd erscheinen lassen (Jamais vu). Viele Erleuchtungen von Heiligen werden aus medizinischer Sicht auf Schläfenlappenanfälle zurückgeführt.
Der Schläfenlappen wurde in der Hirnforschung als Sitz der Frömmigkeit angesehen. In der Literatur werden Menschen mit einer Epilepsie häufig prophetische Gaben zugeschrieben.
Im Verlauf einiger komplex-fokaler Anfälle kann es zu Handlungsabläufen kommen, die einer psychischen Erkrankung ähneln. So gibt es Betroffene, die sich in der Öffentlichkeit entkleiden und auch bei Eingreifen Dritter hieran nicht hindern lassen. Andere machen einen stumpfen Eindruck, reagieren nicht auf Ansprache und befolgen Aufforderungen nur stark verzögert. Dieser Zustand wird als Dämmerzustand bezeichnet und kann über Tage und Wochen anhalten, wenn er nicht richtig beachtet und behandelt wird.

 

Dr. Barbara Schuler, Köln

Fortsetzung folgt