BBW Live – Das Ende

Foto: HaraldIm Frühjahr 2007 erhielt ich eine Anfrage vom BBW in Bethel, ob ich nicht für die Jubiläums-Schrift anlässlich des 25-jährigen Bestehens stellvertretend für viele Eltern einen Beitrag schreiben würde. Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich, den - ziemlich krummen – „Epi“-Weg zu skizzieren, den unser Sohn damals schon hinter sich hatte. Ich schrieb:

„Unser“ Weg ins BBW

Die individuelle Sicht einer Mutter
Mit vierzehn Jahren hatte Harald den ersten Grand Mal Anfall und der Begriff „Berufsbildungswerk“ war damals ein Fremdwort für mich. Heute, nach sieben aufreibenden Jahren, bin ich froh, dass es das BBW gibt. Irgendwann stoßen auch die motiviertesten Eltern an ihre Grenzen. Und irgendwann müssen auch Jugendliche mit Epilepsien „ihren“ Weg selber suchen, finden und gehen.

Die nächsten Anfälle führten uns auf das steinige Gelände der Epilepsien. Medikamente, Anfallskalender, pünktliche Tabletteneinnahme, geregelter Tagesablauf… einfach alles entwickelte sich zu Stolpersteinen auf dem Weg zum Erwachsenen.

Nach dem Hauptschulabschluss hatte Harald genug von der Schule. Aber, was er jetzt machen sollte, wusste er nicht. Lokführer, Busfahrer, Autoverkäufer, diese Kindheitsträume konnte er wegen der Anfälle nicht verwirklichen.

Zuhause bleiben und abhängen?..... Fehlanzeige bei uns!
Alternativen überlegen?…. Fehlanzeige bei Harald!
Die Folge: Nervenaufreibende Auseinandersetzungen zur Frage „Was nun?“
Das Ergebnis: Harald machte ein ökologisches Jahr und an der VHS seinen Realschulabschluss.

Es war für alle Beteiligten eine stressige Zeit. Für uns Eltern, weil wir Angst um die Zukunft unseres Sohnes hatten. Für Harald, weil er immer noch nicht wusste, was er wollte und wir ihm fürchterlich auf die Nerven gingen.

In dieser Zeit stattete Harald der Arbeitsagentur einige Besuche ab und nach einigen Tests und Untersuchungen organisierte der Reha-Berater eine dreimonatige Eignungsabklärung im BBW.

Unsere Erleichterung: Endlich können wir ein paar Sorgen abgeben!
Haralds Hoffnung: Ein Ausbildungsplatz im BBW.

Wer nervöser war, als wir nach Bielefeld fuhren, Mutter oder Sohn, ich weiß es nicht. Aufgeregt waren wir beide. Unser Abschied verlief zwar nicht tränenreich, aber laut. Im Streit trennt es sich einfach besser.

Die erste Zeit war stressig, wir Eltern sahen Harald nur am Wochenende. Er selber war in einer Medikamentenumstellung und immer noch der Ansicht, dass ihm ein Job in den Schoß fallen müsse. Allerdings fiel nur Harald und das im Anfall.

Zum Abschluss der Maßnahme war klar, dass Harald noch nicht ausbildungsfähig war, ihm fehlte die nötige Reife und Motivation, er konnte keine Ausbildung im BBW beginnen. Allerdings hatte er diesen Ausbildungsplatz schon fest in sein Leben eingeplant und kehrte entsprechend ernüchtert nach Hause zurück.

Die Empfehlung des BBW: Ein Jahr berufsvorbereitende Maßnahme (BvB).

Und noch einmal: Arbeitsamt, Reha-Berater, Warten. Die BvB konnte nicht direkt anschließend gemacht werden, Harald war zuhause und wir sahen erneut das Theater auf uns zukommen, das wir schon kannten.

Doch erstaunlicherweise brauchten wir nun viel weniger Druck auszuüben. Harald begann ein Praktikum an der „Börse“, einem Kulturzentrum in Wuppertal. Einige Monate später kam die Einladung zur BvB.

Zur Zeit ist Harald im BBW und anscheinend hat er begriffen, dass er sich selber um seine Zukunft kümmern muss. Er hat Arbeitsbereiche gefunden, die ihm Spaß machen, Metallbearbeitung und Pfortendienst. Und er überrascht uns mit Fragen wie: “Kannst Du mir mal was in Word erklären?“ – „Die Pollen fliegen wieder, wie heißen noch mal die Tabletten dagegen?“. Alles Zeichen für uns, dass er sich um sich selber kümmert.

Wir Eltern können unserem Sohn zwar Landkarte und vernünftige Ausstattung besorgen, ihm die Richtung zeigen und wegkundige Begleitung wie im BBW organisieren, aber losmarschieren muss er schon selber: „Ich bin dann mal weg!“

Susanne Fey
epilepsie bundes-elternverband e.V.
Wuppertal



Der letzte Satz (geklaut von Hape Kerkeling) „Ich bin dann mal weg!“ ist jetzt für uns bittere Wahrheit geworden. Am 28 Oktober 2007 haben wir unseren Sohn morgens tot in seinem Bett gefunden. All unsere Wünsche und Hoffnungen für Haralds Zukunft haben sich in Luft aufgelöst, geblieben sind unsere Liebe zu Harald, unsere Erinnerungen an ihn und unser Glaube, dass es ihm gut geht, wo immer er zur Zeit auch sein mag.

Die Serie „BBW live“, die Harald im letzten epiKurier begann, findet nun keine Fortsetzung mehr.