Nachruf

Foto: Helga RühlingHelga Rühling ist tot. Sie starb am Morgen des 1. Advents nach langer Krebserkrankung. Bis zuletzt war sie als Psychologin und stellvertretende Leiterin in der Beratungsstelle Bethel tätig. Sie war häufig auf den Jahrestagungen und Aktivitäten der Selbsthilfe und dadurch Vielen auch außerhalb Bielefelds bekannt.
In der Familienanzeige heißt es: Sie hätte gern erlebt, was aus ihren Kindern wird, wie Klienten der Beratungsstelle sich entwickeln werden, ob unsere Welt endlich friedlicher und sozialer wird.

Helga war Mitglied im e.b.e. Die Situation von Familien und speziell die spezifischen Belastungen von Müttern mit „schwierigen“ Kindern  waren ihr ein besonderes Anliegen. So entstand in der Erziehungsberatungsstelle Bethel (mit den Schwerpunkten Epilepsie, Entwicklungsauffälligkeiten und Behinderungen) eine Müttergruppenarbeit, die nicht zuletzt durch Veröffentlichungen und wissenschaftliche Begleituntersuchungen zum Maßstab und Wegbereiter für andere wurde.

Die Müttergruppen die Helga zusammen mit der Pädagogin Angelika Nehlsen entwickelte und seit sehr vielen Jahren durchführte, entstanden in dem Spannungsfeld zwischen dem „Mythos der guten Mutter“ und der realen Erfahrung mit überlasteten und erschöpften Müttern. Begonnen als psychotherapeutisch geführte Gruppen (also bewusst mehr als ein Gesprächskreis oder lockerer Treff) wurden die Gruppen gefördert nach etwa einjähriger Begleitung, in eigener Regie als Selbsthilfegruppen weiter zu arbeiten. So konnten sich die Mütter im Anschluss an die Gruppentherapie gegenseitig unterstützen und ihre neu erlernten Bewältigungsstrategien weiter verfestigen.
Bemerkenswert an dem Konzept ist, dass gerade Mütter in Gruppenarbeit eingebunden werden konnten, die zusätzliche Belastungen am allerwenigsten gebrauchen konnten. Die Herausforderung für die Mütter, sich einen vormittäglichen Zeitraum pro Woche für die Gruppenarbeit zu erkämpfen, war oft ein erster Schritt in Richtung weiterer Veränderungen für einen selbst und die Familien. Welche Schritte dazukamen und wie diese im Gruppenprozess unterstützt wurden, ist im Beitrag von Angelika und Helga (Handbuch der Erziehungsberatung) beschrieben.

In den letzten Jahren engagierte sich Helga auch in „Sprechstunden für Schüler und Schülerinnen“, die in den Schulen während der Randstunden angeboten wurden. Dies senkte die Schwelle für Schülerinnen und Schuler sich bei oft noch unklaren Problemen unabhängig von Eltern oder Lehrern, Rat zu holen. Dieses Beratungsangebot wurde sehr gut angenommen und auch von den Lehrern sehr geschätzt.

Aus der langen Liste von Helgas Veröffentlichungen, möchte ich besonders auf drei folgenden hinweisen. Das Rowohlt-Bändchen ist aus der Reihe „mit Kindern leben“ eine Hilfe für Eltern, Lehrer und Erzieher und setzt sich auch mit der Frage der Medikamente bei unruhigen Kindern auseinander. Die beiden Beiträge in den Erziehungsberatungsbüchern (Handbuch und Jahresbericht) sind Fachbeiträge, die jedoch so praxisbezogen und anschaulich geschrieben sind, dass sie auch von interessierten Laien gut verstanden werden.

Helga Rühling (2003): ADS-Hilfen für unruhige Kinder. Reinbek: Rowohlt Verlag.

Helga Rühling (2006): Müttergruppen in der Erziehungsberatung. In: Andreas Hundsalz, Klaus Menge, Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (Hrsg.): Jahrbuch für Erziehungsberatung, Band 6, Weinheim und München: Juventa Verlag, S. 163-176.

Angelika Nehlsen und Helga Rühling (2000) Müttergruppen in einer Erziehungsberatungsstelle. In: Wilhelm Körner und Georg Hörmann: Handbuch der Erziehungsberatung, Band 2, Göttingen: Hogrefe. S. 267-300.

Es ist Helga gelungen, für die Müttergruppenarbeit Nachfolgerinnen in der Beratungsstelle zu finden. Dass die Arbeit weitergeht, war ihr ein Anliegen und eine Erleichterung in ihrer letzten Krankheitswoche.

Ich habe mit Helgas Tod eine sehr wichtige Freundin verloren. Wir haben uns regelmäßig getroffen, leidenschaftlich fachliche Probleme der Epilepsiearbeit erörtert, und viele Angebote gemeinsam geplant und ausgewertet. Wir hatten gemeinsame politische Ziele und haben oft gemeinsam demonstriert und diskutiert. Wir haben uns über die Erziehung unserer eigenen Kinder ausgetauscht, Kinderbücher und –kleider gegenseitig verliehen und unsere und der Kinder Geburtstage gemeinsam gefeiert. Ich war Gast bei ihren wunderbaren Chorkonzerten, zuletzt bei der Oper „Jephta“ von Georg Friedrich Händel, die erst vor wenigen Wochen aufgeführt wurde. Wir hatten noch so viel vor.

Helga hinterlässt eine große Lücke. Wir gedenken ihrer in großer Dankbarkeit.

Margret Pfäfflin
Epilepsie-Zentrum Bethel