Vagusnervstimulation - jetzt auch in Herdecke möglich

Erstmals wurde am Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke die Implantation eines Vagusnervstimulators zur Epilepsiebehandlung durchgeführt –Die Neurologen setzen auf eine Verbesserung bei Anfallsleiden und auf Stimmungsaufhellung bei Depression.

Foto Kuthe„Man muss sich das so vorstellen, dass bei einer Vagusnervstimulation (VNS) ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher ein kleiner, ca. 45 mm runder Stimulator mit einer Dicke von 8 mm unterhalb des Schlüsselbeins implantiert wird“, so Dr. Martin Kuthe, Neurologe am Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke. Dabei wird ein Kabel unter der Haut bis zum Hals verlegt, wo seitlich der Schilddrüse der Nervus vagus verläuft. Die Kontakte am Ende des Kabels werden um diesen herum gewickelt, damit dann über eine kleine elektrische Reizung der Nerv angesprochen werden kann. Die Programmierung des Stimulators erfolgt über ein externes Gerät mittels Magnetimpulsen. Der Eingriff ist relativ risikoarm, die Nebenwirkungen dieser Therapie sehr gering. „Wir wissen, dass seit etwa 15 Jahren die Vagusnervstimulation (VNS) erfolgreich bei Patienten mit medikamentös schwer behandelbarer Epilepsie eingesetzt wird“, erläutert der Spezialist für die Behandlung von Anfallsleiden und führt aus, dass diese Behandlungsform zunehmend in den USA und Europa zum Einsatz kommt, auch wenn der genaue Wirkungsmechanismus wissenschaftlich noch nicht vollständig erschlossen ist. Der Patient kommt in den ersten Wochen nach dem Eingriff in regelmäßigen Abständen zur Vorstellung in die Ambulanz. „Wir prüfen die optimale Stromstärke und stellen gegebenenfalls nach“, erklärt der Neurologe.


Die Implantation von Vagusnerv-Stimulatoren zur Behandlung pharmakoresistenter Epilepsien ist im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke erst seit kurzer Zeit möglich. Da in der Epilepsieambulanz zunehmend mehr Patienten in anderen Zentren einen Vagusnerv-Stimulator erhalten hatten und zu deren Einstellung oft weite Wege (meist nach Bonn) zurücklegen mussten, war der erste Schritt für das Gemeinschaftskrankenhaus, von der Fa. Cyberonics ein Gerät zur Einstellung und Überprüfung der Parameter zu erbitten. „Nach ausführlichen Vorgesprächen erhielten wir ein solches Gerät, wobei die Vertreter der Firma intensiv nach einem weiteren Interesse unsererseits fragten, eventuell auch Implantations-Zentrum zu werden. Wir konnten erfahren, dass inzwischen die Kosten der Durchführung von Implantationen finanziell im Fallpauschalen-System weitgehend gedeckt werden, so dass kein wesentliches wirtschaftliches Risiko mehr hierin besteht. So beauftragten wir unsere Geschäftsführung, in den Budgetverhandlungen mit den Kassen eine Bewilligung über ein so genanntes Fallmengengerüst zu verhandeln, was im Herbst dann geschah“, berichtet Dr. Martin Kuthte. Foto KralGlücklicherweise kam mit PD Dr. T. Kral als neuem Leitenden Arzt der Abteilung Neurochirurgie ein erfahrener Operateur ins Gemeinschaftskrankenhaus, der zuvor in Bonn schon über 100 solcher Implantationen vorgenommen hatte.
Die Ergebnisse, welche auch wissenschaftlich ausgewertet wurden, zeigen, dass zwar mit der VNS nur wenige Patienten ganz anfallsfrei werden, etwa 40% hingegen eine deutliche Verbesserung der Anfallssituation erfahren und bei etwa 30% eine leichte Besserung der Anfallssituation erreicht wird, so der Neurochirurg. „Wir kennen aber noch einen anderen wichtigen Effekt: Patienten berichten, unabhängig von der Anfallssituation, dass ihre Anfälle nach der Vagusnervstimulation weniger stark seien und dass ihre Stimmung besser sei.“ Der Eingriff stellt demnach eine sinnvolle Behandlungsalternative für Patienten mit medikamentös schwer behandelbarer Epilepsie dar, für die ein anderes epilepsiechirurgisches Verfahren nicht in Frage kommt.
„Der erste Patient, bei dem wir Ende Oktober eine VNS-Implantation vornahmen, war Alberto (Name geändert), 31 Jahre alt, dessen Familie aus Italien stammt“, berichtet Dr. Martin Kuthe. „Ich hatte Alberto im November 1997 als Patient kennengelernt, nachdem die Kollegen vom Epilepsiezentrum in Bethel, wo er zuvor untersucht und behandelt worden war, ihn zur weiteren ambulanten Betreuung zu uns geschickt hatten. Alberto litt seit seinem 3. Lebensmonat unter rechtsseitigen fokalen tonischen Anfällen, die auf einen frühkindlichen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung rechts zurückgeführt wurden. Der Infarkt hatte sekundär zu einer halbseitigen Hirnschrumpfung und einer Zystenbildung geführt, die 1987 operativ gefenstert wurde. 1990 wurde eine als epileptogen eingestufte verkalkte Narbe der harten Hirnhaut operativ entfernt; leider konnten beide operativen Eingriffe die Anfallssituation nicht verbessern. Über lange Zeit fand eine  Behandlung über die Neuropädiatrie der Uni Münster statt.“


Nach Albertos Aufenthalt in Bethel wurden die verschiedensten medikamentösen Kombinationen durch probiert, wobei nur wenige der verfügbaren Substanzen (aus verschiedenen Gründen) ausgelassen wurden. Da unverändert häufig immer wieder ca. 4-5 Anfälle pro Monat meist mit Stürzen und Verletzungen auftraten, wurde im März 2004 und im Februar 2007 erneute präoperative Abklärungen in Bethel angestrengt, die leider zum Ergebnis hatten, dass die einzig theoretisch sinnvolle Operation in Form einer sogenannten Hemispherektomie (funktionelle Ausschaltung einer Hirnhälfte) nicht möglich ist, da sich die Sprache nicht zweifelsfrei lokalisieren ließ. Dies hätte ein zu großes Risiko für die Erhaltung der Sprachfähigkeit durch eine Operation bedeutet. Somit blieb auch aus Sicht der behandelnden Ärzte in Bethel neben weiteren medikamentösen Versuchen nur die Option einer Vagusnerv-Stimulation.


Die Implantation des Stimulators wurde von PD Dr. Kral ohne Komplikationen im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke durchgeführt. Wundschmerz und Irritationen der Stimmbänder durch die Stimulation bereiteten keine anhaltenden Probleme, schon eine Woche nach dem Eingriff waren sie fast vergessen. Die Familie war sehr erleichtert, dass es jetzt möglich war, diesen Eingriff durchzuführen, da ja auch keine weiteren wirklich aussichtsreichen Alternativen vorhanden waren.


„Aus unserer Sicht ist für die Indikationsstellung zur Implantation eines Stimulators wirklich wichtig, dass neben der nachgewiesenen Pharmakoresistenz geprüft wurde, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff Erfolgschancen hätte, oder aber nach durchgeführter Resektion keine Anfallsfreiheit erreicht werden konnte“, betont Dr. Martin Kuthe. „Zu erwägen ist dieses Verfahren gegebenenfalls sicher auch, wenn ein Patient unter allen Umständen einen direkten Eingriff am Gehirn ablehnt.“
Dr. Martin Kuthe ist inzwischen sehr froh, das Spektrum der Möglichkeiten zur Behandlung schwieriger chronischer Epilepsien um die Vagusnerv-Stimulation erweitern zu können, da dies ein schonendes Verfahren ist, was im Einzelfall sehr viel an Lebensqualität zurückgeben kann – auch wenn das Erreichen von völliger Anfallsfreiheit damit selten gelingt.


„Allein aus dem eigenen Haus schätzen wir den Bedarf auf ca. 10 Fälle pro Jahr,“ schätzt Dr. T. Kral. Das Verfahren ist im Übrigen auch zur Behandlung therapieresistenter Depressionen zugelassen.


Wie die Vagusnervstimulation Albertos Anfallsleiden verbessert bleibt zunächst noch abzuwarten, da in seiner Behandlung erst jetzt die Stromstärken eingesetzt werden, die eine deutliche Verbesserung der Anfallssituation bewirken können.

M. Riepe, Herdecke

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