Epilepsie-Ambulanzen

Betreuung von Epilepsiekranken in Krankenhausambulanzen und verwandten Einrichtungen

Medizinische und soziale Therapie verhalten sich so zueinander, dass Heilung zwar nur durch eine medikamentös erzielte Anfallsfreiheit ermöglicht, oft aber erst durch eine Veränderung der sozialen Situation endgültig verwirklicht wird.
D. Janz Epilepsieambulanz als Institution 1962

Rechtlicher Rahmen der ambulanten Betreuung durch Krankenhäuser und verwandter Einrichtungen
Es gibt heute unterschiedliche Möglichkeiten der ambulanten Betreuung durch im Krankenhaus beschäftigte Ärzte und andere Berufsgruppen wie Sozialarbeiter oder Psychologen. An Universitäten kann die ambulante Behandlung in den Polikliniksprechstunden, oder in einer Spezialsprechstunde für Anfallskranke erfolgen. An nicht universitären Krankenhäusern können die leitenden Ärzte zur ambulanten Behandlung einzelner Krankheiten z. B. Epilepsie durch die kassenärztliche Vereinigung ermächtigt werden. Seit 2004 gibt es medizinische Versorgungszentren (MZV) zur ambulanten Behandlung, in denen Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen arbeiten. Ein gutes Drittel der  etwa 1000 MZVs wird von  Krankenhäusern betrieben.  Seit 2007 sind geeignete Krankenhäuser auf Antrag u.a. zur ambulanten Behandlung  von Krankheiten mit besonderen Krankheitsverläufen, zu denen auch die Epilepsien zählen, berechtigt (§116b, SGB V).

Die Stellung der Fachgesellschaften zu den ambulanten Betreuungsmöglichkeiten an Krankenhäusern und verwandten Einrichtungen
Für eine Epilepsiebehandlung, die sich an den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den besonderen psychosozialen Bedürfnissen von Epilepsiekranken orientiert, fühlen sich Fachgesellschaften, insbesondere die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), bzw. Institutionen wie die Stiftung Michael verantwortlich. Diese sehen seit langem die Möglichkeit, in Problemsituationen durch ambulante Behandlung an Krankenhäusern die erforderliche Kombination fachkundiger medizinischer Behandlung mit psychosozialer Beratung zu verbinden, da es in Krankenhäusern die entsprechenden Berufsgruppen (Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen) gibt (siehe Epilepsiebericht 98). DGfE und Stiftung Michael haben deshalb Standards für Anfallsambulanzen (personelle, apparative und räumliche Voraussetzungen) entwickelt, nach denen sich diese von der DGfE zertifizieren lassen können. Derzeit gibt es 90 anerkannte Ambulanzen für Kinder und Jugendliche und 43 anerkannte Ambulanzen für Jugendliche und Erwachsene, die alle im Rahmen einer Universitätspoliklinik oder der Ermächtigung eines leitenden Krankenhausarztes arbeiten.

Das Interesse der Fachgesellschaften ist inhaltlicher Art; sie wollen dazu beitragen, dass Menschen mit Epilepsie eine optimale Versorgung erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt war für sie auch die Entstehung von Schwerpunktpraxen in den 90er Jahren von Interesse. Durch die Spezialisierung auf die Behandlung einer Patientengruppe und die Vernetzung mit psychosozialen Beratungsangeboten sind die Möglichkeiten einer Schwerpunktpraxis in vieler Hinsicht denjenigen einer Anfallsambulanz an einem Krankenhaus ähnlich. Die DGfE hat im Jahr 2000 deshalb eine Definition von Schwerpunktpraxen für Epilepsie beschlossen, nach der sich Praxen zertifizieren lassen können. Derzeit gibt es 32 Schwerpunktpraxen für Kinder und Jugendliche, 25 Schwerpunktpraxen für Jugendliche und Erwachsene und eine Praxis für beide Bereiche, die durch die DGfE anerkannt sind.
Für  medizinische Versorgungszentren und für nach § 116b zur Behandlung von Epilepsiekranken berechtigte Krankenhausambulanzen gibt es bisher keine von der DGfE festgelegten Standards. Wenn MVZs eine Anerkennung durch die Epilepsieliga wünschen, müssten wohl vergleichbare Maßstäbe zu denen für Schwerpunktpraxen angelegt werden. Für Krankenhausambulanzen nach §116b würden voraussichtlich die gleichen Maßstäbe wie für die bereits bestehenden „Ermächtigungsambulanzen“ (s.o.) gelten.

Vor und Nachteile der Betreuung in den verschiedenen ambulanten Einrichtungen.
Die Betreuung in den „Ermächtigungsambulanzen“ an Krankenhäusern und in Schwerpunktpraxen hat den Vorteil, dass der ermächtigte Arzt verpflichtet ist, persönlich die zugewiesenen Patienten zu betreuen. Eine ausreichende sozialarbeiterische Beratung ist aber oft schwierig, da diese Leistungen, abgesehen von seltenen Ausnahmen im Kinder- und Jugendbereich, weder in den Ermächtigungsambulanzen noch in den Schwerpunktpraxen vergütet werden und deshalb kostenlos erbracht werden müssen. Am günstigsten ist die Situation, wenn es in der Region eine Epilepsieberatungsstelle gibt, mit der die medizinischen Einrichtungen kooperieren. Nachteilig für die Betroffenen können auch große Entfernungen zur nächsten Anfallsambulanz oder Schwerpunktpraxis sein.

Bei einer Behandlung in einer Universitätsambulanz, einer Ambulanz nach §116b und auch bei der Behandlung an einem MVZ besteht kein direktes Vertragsverhältnis mit dem behandelnden Arzt. Der Patient hat also keinen Anspruch auf Behandlung durch einen bestimmten Arzt. D.h. es kann sein, dass er bei jedem Besuch von einem anderen Arzt behandelt wird. Dies ist ein großer Nachteil und auch unökonomisch, da kaum erwartet werden kann, dass ein Arzt/eine Ärztin sich neben schwierigen Behandlungsfragen zugleich jedes Mal neu mit schwierigen psychosozialen Problemlagen vertraut macht, die wahrscheinlich während einer Konsultation gar nicht gelöst werden können. Im Übrigen ist für MVZs und für Ambulanzen nach §116b ebenfalls keine Vergütung spezieller psychosozialer Beratungsleistungen vorgesehen. Vorteilhaft könnte eine bessere Erreichbarkeit sein, wenn wohnortnah eine Ambulanz nach §116b oder ein MVZ eröffnet wird.

Die Epilepsiebetroffenen und die Eltern epilepsiekranker Kinder müssen bei der Wahl der Behandlungseinrichtung also verschiedene Dinge gegeneinander abwägen: Handelt es sich um eine zertifizierte Einrichtung, so dass man erwarten kann, dass man dort auf dem neuesten Stand der Epilepsiebehandlung ist; handelt es sich um eine Einrichtung in der ein oder mehrere Ärzte persönlich ermächtigt sind, so dass man bei jedem Besuch den gleichen Arzt/Ärztin sieht oder um eine Ambulanz mit Ermächtigung der Einrichtung. Gegebenenfalls ist es sinnvoll, sich schon vorher zu informieren, ob an der Einrichtung, abgesehen von Erfahrungen mit schwer behandelbaren Epilepsien, auch eine Beratung zu  speziellen Problemen wie Beratung bei Schulproblemen, Beratung hinsichtlich Sport, Reisen, Führerschein, Wahl der geeigneten Berufsausbildung, Probleme bei der Arbeit, Versicherungsfragen, Schwerbehindertenausweis etc. möglich ist.
Informationen erhält man z. B. über Selbsthilfeorganisationen, direkte Anfrage bei den  Behandlungseinrichtungen, Internetseiten, die Gechäftsstelle der DGfE.

Rupprecht Thorbecke M. A.
Comprehensive Care Programm
Epilepsiezentrum Bethel