Alltag zwischen Aktendeckeln – weniger Bürokratie gefordert

Die renommierte Bertelsmann-Stiftung legte Anfang 2008 eine Studie vor, mit der die Bürokratiebelastung der Bürgerinnen und Bürger transparent gemacht wurde. Mit einem in der Wirtschaft eingesetzten Verfahren, dem so genannten Standardkostenmodell, wurden die Bürokratie-Zeit-Kosten von Eltern behinderter Kinder und Angehöriger pflegebedürftiger Menschen gemessen.

Den rund 162.000 Eltern behinderter Kinder im Alter von 0 – 18 Jahren entstehen nach den Ergebnissen der Studie Bürokratieaufwendung von rund 6,4 Millionen Stunden jährlich. Das entspricht pro Familie einer Zeit von 39,5 Std. also einer ganzen Arbeitswoche im Jahr!

Hinter dieser Zahl steht der alltägliche Kampf der Eltern behinderter Kinder um die richtige Pflegestufe, die Integrationshelferin für den Besuch der Regelschule, die Verordnung der dringend notwendigen Therapien oder für geeignete Hilfsmittel etc. - um nur einige wenige Dinge zu nennen. Ein Kampf, der nicht nur Zeit und Geld kostet, sondern vor allem die Kraft der Eltern bindet, die eigentlich dringend gebraucht wird, um der ganzen Familie trotz der Behinderung ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen.

Ob bei zuständigen Behörden, bei Kranken- und Pflegekassen – immer wieder treffen Eltern dabei auf nicht entsprechend geschultes Personal.

Die Eltern müssen sich vorher sachkundig machen, sonst stehen sie auf verlorenem Posten. Aber was ist mit Eltern, die das nicht können? Auch informierten Eltern fehlt es oft an Kraft, Ausdauer und Zeit sich durchzufragen, um im nächsten Schritt ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen.

Viele „betagte“ Eltern haben oft nach jahrzehntelanger Pflege des eigenen Kindes keine Energie mehr dafür – und das Gefühl, als Bittsteller gesehen zu werden, hält sie zusätzlich von der Antragstellung ab.

Was ist mit den Eltern mit Migrationshintergrund, mit sprachlichen Barrieren, die ohne Hilfe unüberwindbar sind?

Wohl gemerkt: Es geht hier nicht um juristische Spitzfindigkeiten, sondern um gesetzlich formulierte Ansprüche, die geltend gemacht werden dürfen.


Folgende Hürden, die uns jede Woche in der Elternberatung der Lebenshilfe München begegnen, machen den Eltern das Leben schwer und lassen sie verzweifeln:

  • vorenthaltene Informationen der Behörde
  • wechselnde Zuständigkeiten bei der Sachbearbeitung
  • über Monate ausbleibende oder fehlerhafte Bescheide
  • das Nichtzuständigerklären von Leistungsträgern
  • der ungerechtfertigte Verweis auf andere Leistungsträger
  • falsche oder fehlerhafte Rechtsanwendung
  • unverständliche und unvollständige Bescheide
  • die Anforderung immer neuer Nachweise und Bescheinigungen
  • die Anforderung gleicher Nachweise bei unveränderten Sachverhalten
  • unzumutbare und unverständliche Bearbeitungszeiten


Dies führt immer wieder zu besonders belasteten Situationen bei Menschen, die enorm viel leisten, um für sich, ihre Familie und das behinderte Kind bzw. den behinderten Angehörigen eine angemessene Lebensqualität  zu schaffen.

 

 

Was kann getan werden?

Wenn wir hier nicht Absicht und Spartaktik unterstellen wollen – eine Taktik, die übrigens durch ausbleibenden Widerspruch der Antragssteller oft Erfolg hat –, sollten wir verlangen, dass seitens der Behörden

 

  • die Sachbearbeiter besser ausgebildet werden
  • die Bescheide in verständlicher Sprache abgefasst werden,
  • die Anträge in kurzer Zeit beantwortet werden,
  • den Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen in guter Grundhaltung begegnet wird,
  • Beratungsstellen über finanzielle Ressourcen verfügen können, die dem stetig ansteigenden Beratungsbedarf gerecht werden.

 

Für uns Eltern bedeutet dies,

 

  • dass wir uns dieses oft willkürliche Verhalten nicht gefallen lassen dürfen,
  • dass wir uns Rat und Hilfe holen und nicht kapitulieren dürfen!

 

Ich wünsche mir für uns Eltern, dass der  Behördenwirrwarr uns nicht mürbe macht und hoffe, dass die Elternberatung der Lebenshilfe München noch vielen betroffenen Eltern auf ihrem Weg beratend und fördernd zur Seite stehen darf.


M. Meyer-Brauns, Elternberatung der Lebenshilfe München und Mutter eines behinderten Sohnes