AMNOG – Teil 1:

Die neue Wahlfreiheit bei Medikamenten

Was sich anhört, wie der Name eines von Hollywood neu kreierten Filmmonsters, ist ein „Koloss“ ganz anderer Art:
Seit 01. Januar 2011 ist das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (kurz AMNOG) in Kraft getreten, dessen Ziel es ist, die rasant steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen einzudämmen. Laut Bundesministerium für Gesundheit „schafft AMNOG die schwierige Balance zwischen Innovation und Bezahlbarkeit bei Arzneimitteln“.

Die ersten Auswirkungen sind bereits in der Praxis spürbar, z. B. mit der neuen Wahlfreiheit bei Medikamenten:

Vorgeschichte Rabattverträge und Aut-idem-Regelung


Bis Dezember 2010 bekamen gesetzlich Versicherte Medikamente von Herstellern, mit denen ihre jeweilige Krankenkasse Rabattverträge abgeschlossen hatte, d. h. der Arzt verordnete kein Medikament mehr, sondern nur noch den Wirkstoff und der Apotheker suchte dann anhand des Rezeptes in seinen Listen das für den Patienten laut gültigem Rabattvertrag vorgeschriebene wirkstoffgleiche, oft günstigere Medikament heraus.

Diese Regelung sorgte bei vielen Kunden in der Apotheke nicht nur für große Verunsicherung, weil sie ihr gewohntes Medikament nicht mehr erhielten, sondern bei Epilepsie-Betroffenen erwies sich dieser Tausch auch als problematisch: Gleicher Wirkstoff bedeutete in manchen Fällen nicht gleiche Wirksamkeit und so kam es bei gut eingestellten Patienten immer wieder zu vermehrten Nebenwirkungen und im schlimmsten Fall auch wieder zu Anfällen nach jahrelanger Anfallsfreiheit.

Der Medikamententausch konnte nur unterbunden werden, indem der Arzt auf dem ausgestellten Rezept das „Aut idem“-Feld ankreuzte und einen Austausch damit definitiv ausschloss. In diesem Fall bekam der Patient das gewohnte und von ihm gut vertragene Medikament problemlos weiter.

Neue Wahlfreiheit in der Theorie mit Problemen in der praktischen Umsetzung


Seit Anfang des Jahres können sich Patienten jetzt für ein anderes Präparat entscheiden, als ihre Krankenkasse „empfiehlt“, wenn es die gleichen Wirkstoffe aufweist und im Einzelfall besser vertragen wird. Dieses Recht der Versicherten auf freie Medikamentenwahl birgt in der Praxis allerdings einige Probleme, denn der Unterschiedsbetrag zwischen dem von der Krankenkasse vorgeschriebenen Medikament und dem Wunsch-Medikament des Patienten kann nicht einfach zugezahlt werden. Diese so einfache Lösung wurde vom Gesetzgeber leider nicht vorgesehen!

Die Apotheke ist in diesem Fall verpflichtet, dem Kunden den vollen Preis zu berechnen. Anschließend können die Patienten den Quittungsbeleg der Apotheke bei ihrer Krankenkasse einreichen. Diese erstattet den Betrag abzüglich einer Pauschale, deren Höhe sie selbst festlegt. Die Pauschale enthält nicht nur den Aufpreis gegenüber dem rabattierten Medikament (das die Kasse eigentlich bezahlen würde), sondern auch eine Verwaltungsgebühr und gegebenenfalls die gesetzliche Zuzahlung.

Patienten, die die neu geschaffene Wahlfreiheit in Anspruch nehmen, könnten also auf erheblichen Kosten sitzen bleiben.

Es bleibt abzuwarten, wie sich diese neue Regelung in der Praxis auswirkt – es steht jedoch zu befürchten, dass es für viele Epilepsie-Patienten nicht einfacher geworden ist, ihr gewohntes Medikament in der Apotheke zu erhalten, sondern das eine im Prinzip vernünftige Idee – eigene Zuzahlung beim selbst gewünschten Medikament, falls kein Aut-idem-Kreuz durch den Arzt – durch komplizierte und aufwändige verwaltungstechnische Maßnahmen zunichte gemacht wird.

In den kommenden epikurier-Ausgaben werden wir über weitere Neuerungen und Auswirkungen des AMNOG berichten, das – ähnlich wie in der Filmindustrie – eine Geschichte mit endlosen Fortsetzungen werden dürfte.

Doris Wittig-Moßner