Was mache ich, wenn ich einen epileptischen Anfall bekomme?

Ein Erfahrungsbericht zur Anfallsverhütung in eigener Regie


Bildausschnitt aus: Gabriele Hänsch „Hark Harkssen surft bei jedem Wetter“
Quelle: www.epilepsie-selbstcoaching.de
„Wenn's im Gehirn stürmt - kann man dann noch darin surfen oder geht man unter - ob man will oder nicht?“


Vor dem Beginn meiner chronischen epileptischen Anfälle (also der „eigentlichen“ Epilepsie) hatte ich in einem Zeitraum von 24 Jahren zunächst nur drei Grand-Mal-Anfälle. Den ersten Anfall sah ich als Gelegenheitsanfall. Nach dem zweiten nahm ich vorsichtshalber Carbamazepin. Nach 3 anfallsfreien Jahren habe ich es in Abstimmung mit meinem Arzt abgesetzt. Etliche Jahre danach hatte ich einen dritten Anfall. Erneut stand ich vor der Entscheidung, eine medikamentöse Behandlung zu beginnen. Aber wie lange sollte sie dauern? Zwischen den Anfällen lagen im Schnitt mehr als 7 Jahre. Sollte ich rein vorbeugend Medikamente über einen so langen Zeitraum einnehmen? Die Nutzen-Risiko-Abwägung sprach dagegen.

Was ich damals noch nicht wusste: Eine aufwändige wissenschaftliche Langzeit-Studie über nahezu ein Jahrzehnt hinweg zeigt, dass es eine kritische Schwelle gibt für die Entwicklung einer Epilepsie (d.h. der Chronifizierung epileptischer Anfälle). Diese Schwelle wird mit dem dritten Anfall erreicht. Drei von vier Betroffenen entwickeln nach dem dritten Anfall eine Epilepsie. Und zwar egal, ob ein medizinischer Befund vorliegt oder nicht (Hauser et al. 1998).

Das war auch bei mir so. Mit dem vierten Grand-Mal-Anfall traten auf einmal auch „kleine Anfälle“ auf und zwar nach und nach mit erschreckender Häufigkeit. Plötzlich waren es durchschnittlich über 16 Anfälle am Tag, das Maximum lag bei 30 Anfällen pro Tag. Und sie generalisierten immer häufiger zum Grand-Mal und zwar trotz medikamentöser Behandlung.

Ich verletzte mich im Sturz mehrmals beträchtlich. Nicht nur im Gesicht – einmal fiel ich mit dem Hinterkopf so stark gegen einen Schrank gepresst zu Boden, dass es mir das Kinn in die Brust drückte, meine Atmung ausblieb und erst wieder einsetzte, als ich Gott sei Dank kurz darauf gefunden und in eine bessere Position gebracht wurde. Solche Gefahren und meine Angst, Ohnmacht und Verzweiflung bei den generalisierenden Anfällen brachten mich dazu, alle möglichen Einflussmöglichkeiten auszuprobieren, um die Grand-Mals hinauszuzögern.

Anfangs ging es mir lediglich darum, Zeit zu gewinnen, um Hilfe zu holen oder mich in Sicherheit zu bringen. Eine erfolgreiche selbstinitiierte Grand-Mal-Verhütung hielt ich (wie auch heute noch die meisten Menschen) überhaupt nicht für möglich. Ich kam zunächst nicht einmal auf die Idee so etwas anzustreben, denn Ärzte hatten mir gesagt, dass dies unmöglich sei. Das zeigte mir auch eine Google-Suche nach Anfälle selbst verhüten. Das Thema schien es damals (2006) nicht zu geben. Und auch heute noch geht es in einer Flut von Informationen unter, die nichts mit selbstinitiierter Anfallsverhütung zu tun haben.
Meine Beeinflussungsversuche kamen mir zunächst vor, wie ein schier hoffnungsloses „Herumprobieren“ mit den verschiedensten Aktivitäten – mich scharf konzentrieren, Summen einer einfachen Melodie, Körperbewegungen u.v.m. Und jeder Grand-Mal, der dann trotzdem eintrat, bestätigte mich in meiner pessimistischen Einschätzung. In der Erinnerung sind es fürchterliche Augenblicke kurz bevor das Bewusstsein aussetzte.

Gabriele Hänsch „Der Sog“ Quelle: www.epilepsie-selbstcoaching.de

Aber allmählich – es kam mir wie ein Wunder vor – gelang es mir, immer mehr Zeit zu gewinnen, so dass ich Hilfe holen und mich in Sicherheit bringen konnte. Meine selbst gelernte Fähigkeit, den sich entwickelnden Grand-Mal-Anfall so lange hinauszuzögern, erlebte ich bereits als gewaltigen Fortschritt! Ich habe mich seither – abgesehen von den Verletzungen im Mund durch die Bisse im Krampf – nie mehr in einem Anfall ernsthaft verletzt!
Wie hatte ich das erreicht? Meine Frau und ich hatten allmählich eine gewisse Systematik in meine „Experimente“ gebracht, indem wir konsequent psychologische Methoden anwandten, die uns aus unserer Arbeit als Diplom-Psychologen bestens vertraut sind.
Und eines Tages gelang mir überraschend das, was mir anfangs unmöglich zu sein schien. Man kann Grand-Mal-Anfälle sogar selbst verhüten! Und das sogar noch kurz bevor die Bewusstlosigkeit eintritt!
Ich möchte mit diesem persönlichen Bericht Mut machen. Auch unter erschwerten Bedingungen (lange Anfallsgeschichte, viele Anfälle, Medikamentenresistenz) ist es möglich, aus eigener Kraft ein Ergebnis zu erzielen, das sich sehen lässt:
Vollständige Grand-Mal Verhütung, Reduktion der Häufigkeit aller Anfälle um 75%, Verkürzung der Dauer aller Anfälle auf wenige Sekunden, Reduktion der Anfallssymptomatik auf ein Ausmaß, dass Außenstehende fast nie etwas davon mitbekommen. Sich selbst helfen können in der Anfallssituation – da, wo Medikamente nichts nützen.
Da es hier so unglaubliche Einflussmöglichkeiten gibt, beschlossen meine Frau und ich, mit anderen Epilepsie-Betroffenen zu arbeiten. Nach und nach entwickelten wir ein weites Spektrum an direkten und indirekten Möglichkeiten, mit denen Epilepsie-Betroffene in eigener Regie Einfluss auf ihre Anfälle nehmen können, vom sofortigen Abbruch kleiner Anfälle bis hin zur vollständigen Grand-Mal-Verhütung – auch bei Betroffenen, die berichten, niemals irgendwelche Vorzeichen wahrzunehmen. Darüber hinaus unterstützen wir Betroffene bei der Nutzung ihrer Epilepsie als Chance für persönliche Weiterentwicklung und gewünschte Änderungen in ihrem Leben.


Dazu eine eigene Erfahrung:


Denken Sie an einen Menschen, der Ihnen sehr wichtig ist, den Sie vielleicht lieben. Oder Sie erinnern sich daran, als Sie frisch in jemanden verliebt waren.
Sie sind unterwegs und begegnen genau diesem Menschen völlig unerwartet irgendwo inmitten anderer Menschen. Was passiert dann? Mir geht es da so: Ich freue mich und dieser Mensch hebt sich in seiner Einzigartigkeit blitzartig aus der „grauen Masse“ ab. Er leuchtet buchstäblich auf. Es entsteht eine Intensität des Kontakts, die sich enorm von derjenigen unterscheidet, wenn z. B. ein Unbekannter mich nach dem Weg fragt.

Kontakte im Alltag sind oft geprägt von Be- und Verurteilung, Ablehnung, Konkurrieren, Furcht. Oft haben sie etwas graues, banales, freudlos-automatisches, geschäftsmäßiges. Meine Frau und ich haben viel mit Menschen gearbeitet und dabei erfahren, dass all dies oft auch in engen Beziehungen eine als selbstverständlich akzeptierte Alltagsrealität ist. Und sie wird derart zur Gewohnheit, dass schon etwas sehr Ungewöhnliches geschehen muss, um aus dieser alltäglichen „Banalitätstrance“ aufzutauchen und wieder Intensität im Kontakt zu erleben. Oft sind es Krisen und Schicksalsschläge, die solches bewirken.

Auch ich habe so etwas erlebt und zwar sowohl in den Auren vor den Grand-Mals, als auch beim Erwachen aus dem Terminalschlaf.
Während der Auren geschah etwas ähnliches, wie bei der oben beschriebenen unerwarteten Begegnung. Menschen, die auf mich zukamen oder mit mir sprachen, schienen regelrecht aufzuleuchten, die Farben bekamen eine Leuchtkraft fast wie Spektralfarben, der Abglanz schien auch den Raum um sie herum zu füllen, so dass es mir fast wie ein Hof oder eine Blase vorkam, in der sie auf mich zukamen. Gleichzeitig nahm ich manche Merkmale dieser Menschen überdeutlich wahr.

Der Kontakt wurde so intensiv, wie ich es kaum beschreiben kann – jedenfalls jenseits jeglicher Alltäglichkeit!

Gabriele Hänsch „Die dunkle Wolke“ Quelle: www.epilepsie-selbstcoaching.de

Beim Erwachen aus dem Terminalschlaf hatte ich fast immer das Glück, dass jemand bei mir war und einfühlsam und geduldig meine endlosen Fragen danach beantwortete, was denn geschehen ist. Ich empfinde auch heute noch tiefe Dankbarkeit darüber.

Die Erinnerungen an all dies sind in mir noch so lebendig, dass ich sie jederzeit wachrufen kann. Meine Beziehungen haben sich dadurch verändert. Und sie haben mich und meine Frau in unserer gemeinsamen Arbeit bestärkt, in der es u. a. um eine intelligente und gleichzeitig für sich selbst und den Anderen einfühlsame Kommunikation bei Paaren geht. Wir stützen diese Arbeit z. B. auf die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach M.B. Rosenberg.

Die Anfälle haben mich auch in meinem (von vielen Wissenschaftlern kaum mehr in Frage gestellten) Denken bestärkt, dass alles, was wir als Wirklichkeit (Wahrheit) erleben, ausnahmslos lediglich eine von uns beobachtete Wirklichkeit ist, die wir aus den unzähligen Eindrücken unserer 5 Sinne und unserem Denken, Fühlen und Handeln in jedem Moment unseres Lebens pausenlos aufs Neue erzeugen. Diese Erkenntnis ist keineswegs nur für Wissenschaftler von Bedeutung. Für die Anfallsverhütung ist sie eine ausgezeichnete Basis. Und wenn man sie im praktischen Leben umsetzt, hat sie eine enorme positive Wirkkraft, z. B. wenn es darum geht, dass Menschen mit den unterschiedlichsten Denkweisen, Meinungen, Überzeugungen, Urteilen, Gefühlen und kulturellen Hintergründen miteinander zurechtkommen anstatt sich zu bekriegen. Wer seine (zwangsläufig subjektive) beobachtete Wirklichkeit zur absoluten (für andere oder gar alle Menschen geltenden) Wirklichkeit erklärt, setzt sich über die Wirklichkeiten Anderer hinweg. Er läuft Gefahr, die Anderen mit dem, was er für wirklich bzw. wahr hält, zu terrorisieren. Spätestens, wenn man wie wir z. B. mit zerstrittenen Paaren arbeitet, kommt man an diesen Erkenntnissen nicht mehr vorbei, wenn für alle Beteiligten etwas Gewünschtes herauskommen soll.

Dipl.-Psych. Wolfgang Feil, München

Kontakt:

Dipl.-Psychologen G. Hänsch und W. Feil
Herzogstrasse 46
80803 München
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Bilder gemalt von Gabriele Hänsch (Acryl, Aquarell)