„Wie eine Teflonpfanne – alles perlt ab!“

Klinik vom See

Dieser Satz ist mir in dem Gespräch mit Nina Mallée mehrfach begegnet. Anders konnte sie ihr Leben auch manchmal nicht bewältigen. Aber genauso oft kommt der Satz: „Ich muss offen darüber reden, sich verkriechen bringt nichts“.

Nina Mallée, musikalisch, sportlich, direkt und temperamentvoll, hat „offen darüber reden“ zu ihrem Motto gemacht. Vom 16. bis zum 32. Lebensjahr hatte sie komplex-fokale Anfälle, nach einer Operation in Bethel ist sie nun seit Jahren anfallsfrei.

Der Weg zur Diagnose war, wie bei vielen anderen Patienten auch, von Schlaglöchern übersät wie Straßen nach dem Winter. Das ist für alle Menschen mit Epilepsie eine schwierige, kräftezehrende Zeit. Erschwerend kam für Nina Mallée hinzu, dass der Beginn der Erkrankung in einem Alter lag, in dem der„Umbau im Gehirn“ durch die Pubertät jungen Menschen schon einiges abverlangt. Wenn dann der eigene Körper nicht funktioniert, einen mit nasser Hose in der Turnhalle liegen lässt… eine schmerzliche, belastende Situation für jeden Teenager – nicht zuletzt durch die Reaktionen der umstehenden Mitschüler. Es folgten Klinikaufenthalte, Medikamente, Schwierigkeiten in Schule, Ausbildung und Privatleben.

Aber Nina Mallée hat immer versucht, ihr Leben zu leben - trotz des schlechten Gedächtnisses, der Anfälle und aller Stolpersteine, die das Leben ihr sonst noch in den Weg gelegt hat. Sie hat kein Geheimnis aus ihrer Epilepsie gemacht. Dass viele gut eingestellte Patienten ihre Krankheit verheimlichen, nicht darüber reden ist ein Punkt, der sie außerordentlich stört: „Wenn die Leute, die gut mit ihrer Epilepsie zurechtkommen, das nicht unter den Tisch kehren würden, sondern darüber reden würden, dann gäbe es nicht soviel Unwissenheit und Angst in Bezug auf das Thema Epilepsie. Und dann würde auch niemand mehr auf die Idee kommen, jeder der Epilepsie habe, sei auch geistig behindert. Das stimmt nämlich nicht!“ Und das schlechte Gedächtnis, so sagt sie selber, habe manchmal auch dazu beigetragen, dass sie schreckliche Erlebnisse schneller verdrängen, vergessen konnte

Neben den Gedächtnisproblemen war die bitterste Folge für sie die Tatsache, keinen Führerschein machen zu können, nicht so mobil zu sein wie andere junge Leute. Aber das ist nach der OP Vergangenheit. Ihr Gedächtnis funktioniert hervorragend, sie fährt Auto und Motorrad, musiziert, erteilt Musikunterricht, und lebt mit Mann und Kind auf dem Land in einem alten Bauernhof, den sie selber renovieren. Sie selber sagt: „ Mein Leben fing nach der Epilepsie erst richtig an“ und dass sie dieses Leben genießt, ist nicht zu übersehen.

Doch trotz aller Belastungen, die eine chronische Erkrankung wie Epilepsie mit sich bringt, die Epilepsie hatte auch positive Folgen für sie: „Ohne Epilepsie hätte ich wahrscheinlich meinen Mann niemals kennengelernt.“ Die beiden haben sich nämlich im Berufsförderungswerk kennen- und lieben gelernt. Und in einer Epilepsie-Selbsthilfegruppe hat sie eine Frau getroffen, die heute zu ihren besten Freundinnen zählt.

Auch ihr Sohn hat als Baby und Kleinkind noch Anfälle miterlebt, aber „er war da ganz souverän – als er alt genug war, hat er mir immer ein Kissen geholt und auf mich aufgepasst“ erzählt sie. Und vor allem: Er war für sie der Hauptgrund, nach vielen, frustrierenden Therapien noch einmal einen neuen Anlauf zu wagen und sich im Epilepsiezentrum Bethel in Bielefeld vorzustellen. Dort wurde eine ausführliche Diagnostik eingeleitet um herauszufinden, ob eine Operation sinnvoll und Erfolg versprechend sein könnte. Das gute Ergebnis: Nach zwei Jahren mühseliger Vorbereitung konnte in einer OP der epileptogene Fokus entfernt werden. Der Beginn eines neuen Lebens nach der Epilepsie. Die zahlreichen Aufenthalte in Bethel haben sie tief beeindruckt, denn dort ist es ganz normal, wenn jemand einen Anfall bekommt, egal wo, ob im Krankenhaus, auf der Strasse oder irgendwo anders. Über ihren Arzt von damals sagt sie: „Er hatte immer ein offenes Ohr für mich, war sehr verständnisvoll und ist auf meine Bedürfnisse eingegangen. Nur einmal, als ich schon Fahrstunden machen wollte, hat er klipp und klar gesagt, das geht noch nicht, sie müssen noch einige Monate warten. Da gibt es keinen Verhandlungsspielraum.“

Was hat ihr geholfen in dieser Zeit? Sie hat viel Sport getrieben und Musik gemacht, spielt Blockflöte, Gitarre, Orgel, Klavier, Akkordeon, auch ein Cello hat sie schon mal ausprobiert.

Aber vor allem hat sie von Jugend an Tagebuch geschrieben. „Was ich aufgeschrieben habe, das habe ich sicher deponiert. Dann kann ich ruhig schlafen.“ Als Teenager hat sie sogar mit ihrer besten Freundin eine Zeit lang die Tagebücher ausgetauscht, so dass jeder den Eintrag der Anderen kommentieren konnte. Eine Methode, durch die Nina Mallée, wie sie selber sagt, manchmal auch zu einer ganz anderen Sichtweise auf bestimmte Ereignisse kam, durch die ihr vieles leichter klar wurde. Und trotzdem, ein zweites, ganz persönliches Tagebuch hat sie natürlich auch noch geführt, denn wirklich alles muss auch die beste Freundin nicht wissen.

Schreiben, das kann ein Prozess sein, in dem Erschreckendes an Schrecken verliert, Unklares klarer wird, Verwirrtes sich entwirrt, Beunruhigendes sich beruhigt…. Schreiben kann Therapie sein.

Und zum Abschluss ihres „Epilepsie-Lebensabschnitts“ hat sie ihre Geschichte, ihre vielen Tagebücher zu einem Buch gemacht, von dem sie selber sagt: „Das habe ich geschrieben, weil ich die Epilepsie ad acta gelegt habe, kaum dass ich das Krankenhaus verlassen hatte. So etwas würde es für mich nie wieder geben, davon war ich felsenfest überzeugt. Aber vielleicht kann  der ein oder andere ja etwas lernen, aus meiner Geschichte“. Geblieben sind hin und wieder Kopfschmerzen, der Verzicht auf Alkohol und ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, wenn sie einen Rettungswagen hört.

Susanne Fey
Wuppertal

Nina Mallée
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel
224 Seiten
Verlagshaus Schlosser
ISBN-13: 978-3869371436
14,90 €