Epilepsie über 60

…medizinische Aspekte

Im Rahmen der zunehmenden Veränderung der Bevölkerungspyramide werden Altersepilepsien zunehmend häufiger. Nach Schätzung des deutschen statistischen Bundesamtes war im Jahr 1910 5 % der deutschen Bevölkerung älter als 65 Jahre und werden in 2030 ca. 1/3 der Bevölkerung sein. Daraus ergibt sich, dass Altersepilepsien ein relevantes, sozialmedizinisches Problem darstellen. Über die Definition von Altersepilepsien wird gesprochen, wenn die Anfälle im Alter von 65 Jahren oder später auftreten. Bei Epilepsien, die sich erstmalig schon in früheren Lebensjahren manifestieren und dann noch im höheren Alter vorliegen, wird von „alternden Epilepsien“ gesprochen.

Anfälle

Bei Altersepilepsien liegen überwiegend fokale symptomatische Epilepsien vor. Auren sind bei Altersepilepsien seltener als bei Epilepsien im jüngeren Lebensalter. Häufiges Fehlen von Auren oder von motorischen Auffälligkeiten/Entäußerungen sind Gründe dafür, dass Anfälle bei Alterepilepsien u. U. schwerer erkannt werden. Dagegen sind Funktionsstörungen nach einem epileptischen Anfall länger. Paresen (= Lähmungserscheinungen) oder kognitive Störungen, die nach einem Anfall auftreten, werden nicht selten als Schlaganfall oder Demenz verkannt. Fehldiagnosen bei Allgemeinärzten waren in 37,5 % Verwirrtheit, 59,3 Blackout, 17,2 % Gedächtnisstörungen, 16,8 % Synkopen (= Kreislaufkollaps/Ohnmachtsanfall), 10,3 % Schwindel und 6,9 % Demenz u.a.m. Einfach fokale oder komplex-fokale Anfälle mit oder ohne sekundärer Generalisation lagen nach einer Untersuchung von Ramsey et al. (2004) in 73 % vor, generalisierte Anfällen waren dementsprechend seltener.

Ätiologie (= Ursachen und Faktoren)

Die Ätiologie von Altersepilepsien weist insofern Besonderheiten auf als mit 17 - 69 % Störungen der Hirndurchblutung die häufigste Ursache darstellen, dann folgen Tumoren mit 2 - 36 %, metabolisch toxische (= dem Stoffwechsel zugrunde liegende) Ursachen 2 - 18 %, traumatische Genese (= durch äußere Verletzung entstanden) 2 - 21 % und infektiöse Ursachen mit 2 - 7 %. Während früher Demenzen noch relativ selten Ursache von Epilepsien waren, nehmen diese um 2 - 14 % zu (Untersuchung Peinemann und Stefan, 1998).

Komorbidität (= Begleiterkrankungen)

Abgesehen von häufigen Kombinationen von Schlaganfall und Epilepsie ist das Risiko einer Entwicklung von Epilepsie bei Alzheimer Erkrankung um das 10-fache erhöht. Die meisten Anfälle bei Patienten mit Alzheimer sind generalisiert. Altersbedingte zusätzliche Erkrankungen mit Abnahme der Nieren- und Leberfunktion, Herzkranzgefäßerkrankungen, erhöhtem Blutdruck sind häufig, zusätzlich können psychische Störungen und Schlafstörungen vorliegen. Osteoporosen sind vor allem bei ältern Frauen mit 15 - 40 % häufig und führen nicht selten zu Knochenbrüchen.

Therapie

Bei Altersepilepsien kann aufgrund der Gefahr von Knochenbrüchen bei Sturz im Anfall eine frühe Indikation zur medikamentösen Behandlung bestehen. Gleiches gilt für Anfälle, die zwei Wochen nach einem Schlaganfall erstmals auftreten, da hier das Risiko für die Entwicklung einer späteren chronischen Epilepsie deutlich erhöht ist. Sonst gelten die üblichen Behandlungsindikationen einer antikonvulsiven Therapie für fokale oder generalisierte Epilepsien.

Der Erfolg einer medikamentösen Behandlung ist im Vergleich zu Patientinnen und Patienten mit Epilepsien im frühen Lebensalter günstig. Im Gegensatz zu Epilepsien im mittleren Lebensalter können und müssen sogar häufig niedrigere Dosen von Antikonvulsiva eingesetzt werden, da die Nieren- und Leberfunktion eine reduzierte Ausscheidung bewirken. Enzyminduzierende Epilepsie-Medikamente sind möglichst zu vermeiden, da sie die häufig vorliegende Osteoporose begünstigen können. Gleiches gilt für Substanzen, die auf die Herzreizleitung einwirken, falls möglich kann die Compliance (= Therapietreue) durch eine Einmalgabe pro Tag bei geeigneten Antikonvulsiva hilfreich sein.

Insgesamt ist die Prognose bei adäquater Behandlung und fehlender Komorbidität günstig zu beurteilen.

Prof. Dr. Hermann Stefan, Erlangen


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