Schulweg und Anfälle

Es kostete viel Zeit, bis für Wilken die Kosten für die Arbeitszeit einer individuellen Begleitperson auf dem Schulweg vom örtlichen Sozialamt, Abtlg. Eingliederungshilfe übernommen wurden. Die Telefonate und Schreiben machten mir wieder einmal deutlich, wie mühsam und zeitaufwändig es für Eltern mit einem epilepsiekranken Kind ist, für eine angemessene Betreuung im Alltag zu sorgen.

Viele Eltern machen sich Sorgen, ob ihr Kind durch Anfälle auf dem Schulweg gefährdet sein könnte. Für die Bewältigung des Schulweges sind zunächst einmal die Kinder bzw. deren Eltern zuständig, eine Beförderungspflicht der Schulträger gibt es nicht. Schulwege können ganz unterschiedlich zurückgelegt werden, zu Fuß, mit dem Rad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Schülerspezialverkehr zu Regel-, Integrations- oder Förderschulen.

Schülertransport:
Für den Schülertransport gibt es finanzielle Hilfen, die gewöhnlich in den Schülerfahrkostenverordnungen der Landesschulgesetze geregelt sind. Diese (im ff. beziehe ich mich auf die Schülerfahrkostenverordnung NRW) sieht die wirtschaftlichste Beförderung, also den Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, vor. Davon wird nur in besonderen Fällen abgewichen, z. B. wenn eine geistige oder körperliche Behinderung vorliegt und der Schüler kein öffentliches Verkehrsmittel benutzen kann, dann kann der Schülerspezialverkehr in Anspruch genommen werden. Wenn das nicht möglich oder zumutbar ist, können die Fahrkosten für den PKW der Eltern mit 0,13 €/km und die Fahrkosten der notwendigen Begleitperson oder in Ausnahmefällen ein Taxitransport erstattet werden.

Die Transportzeiten in den Schülerspezialverkehrsbussen/Taxen sind zum Teil erheblich. Obwohl nach der o. g. Verordnung (§ 13, Abs.3) für Kinder im Grundschulalter der Schulweg eine Stunde pro Fahrt nicht überschreiten sollte, dauern die Fahrten teilweise länger. Für Kinder mit aktiver Epilepsie entsteht damit tagsüber eine relativ große Zeitspanne, in denen sie nicht gut beobachtet sind.

Gefährden Anfälle das Kind auf dem Schulweg?
Zunächst einmal sollte medizinisch eindeutig geklärt sein, durch welche Anfälle das Kind potentiell gefährdet sein könnte:

  • Treten die Anfälle am Tage auf und wie häufig?
  • Ist das Bewusstsein erhalten oder gestört?
  • Stürzt das Kind oder verliert es die Haltung?
  • Kommt es im Rahmen von Bewusstseinsstörungen zu Handlungen wie Nesteln, Greifen, Umherlaufen?
  • Ist das Kind nach dem Anfall sofort wieder bewusstseinsklar oder ist es desorientiert oder benötigt gar Nachschlaf?
  • Benötigt das Kind Medikamente, um den Anfall oder eine Anfallsserie zu unterbrechen?

Das konkrete, individuelle Gefährdungsrisiko durch Anfälle und der notwendige Hilfebedarf auf dem Schulweg sollte in einem Attest des behandelnden Neuropädiaters bescheinigt werden. Um diese Frage zu beurteilen, gibt es keine Standards, nach denen sich die Behörden richten können, die Hilfen sind ja immer auf den Einzelfall bezogen. Ein Hinweis auf einen höheren Hilfebedarf bietet der Schwerbehindertenausweis, z. B. wenn das Kind aufgrund der häufigen Anfälle am Tage die Merkzeichen „B“ (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) und „G“ (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) oder evtl. noch „H“ (Hilflos) hat. Der Schwerbehindertenausweis regelt aber nicht die Anspruchsvoraussetzungen für eine eventuell notwendige Begleitperson auf dem Schulweg.

Hilfen auf dem Schulweg:
Kann ein Kind aufgrund seiner Epilepsie den Weg nicht selber bewältigen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, abhängig von seinen Anfällen, seinem Alter, seiner Entwicklung und der lokalen Transportmöglichkeiten:

  • Gesicherter Fußweg ohne/mit Begleitperson
  • Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohne/mit Begleitperson
  • Fahrt mit dem PKW der Eltern
  • Fahrt mit dem Schülerspezialverkehr ohne/mit Begleitperson
  • Einzel-/Kleingruppentransport mit dem Taxi ohne/mit Begleitperson in Ausnahmefällen

Die Begleitpersonen in den Schülerspezialverkehren wurden in den letzten Jahren aus wirtschaftlichen Erwägungen reduziert, zum Teil fahren Schülertransporte auch ohne Begleitperson. Begleitpersonen haben allgemeine Aufgaben, dürfen aber keine Medikamente verabreichen oder die Verantwortung für besondere Situationen, z. B. die Beobachtung von Anfällen oder Hilfen bei Anfällen, übernehmen.

Eine Begleitperson beantragen:
Wenn nach den o. g. Kriterien eine Begleitperson notwendig ist, empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

  1. Rechtzeitige Kontaktaufnahme, d. h. möglichst mehrere Monate vor Beginn des neuen Schuljahres mit der Schule und dem Schulträger, der für die Fahrkosten des Transportes  zuständig ist, und den Hilfebedarf anzeigen. Natürlich kann durch eine Verschlechterung der Epilepsie sich auch mitten im Schuljahr der Hilfebedarf eines Kindes verändern.
  2. Formloser schriftlicher Antrag auf Kostenübernahme für eine individuelle Begleitperson mit ärztlichem Attest beim örtlichen Sozialamt, Abteilung Eingliederungshilfe stellen. Die Eingliederungshilfe ist nach § 54 Abs.1 Satz 1 SGB XII. zuständig für “Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung“.

    Nach § 22 der Eingliederungshilfeverordnung des § 60 SGB XII sind für Eingliederungshilfemaßnahmen auch die Fahrkosten und weiteren Kosten einer Begleitperson, soweit sie nach den Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich sind, zu übernehmen. Die Begleitperson kann als Arbeitszeiterweiterung einer erforderlichen Schulassistenz, wie im Beispiel von Wilken, beantragt werden oder ausschließlich als Schulwegbegleitung. Die Eingliederungshilfe als nachrangiger Kostenträger bzw. Reha-Träger kann die Kostenübernahme durch die Krankenkasse prüfen lassen bzw. darauf bestehen, dass zunächst ein ablehnender Bescheid der Krankenkasse vorliegt. Dies geschieht unter dem Aspekt, dass die Beobachtung bei Anfällen und ggf. Medikamentengabe unter das Leistungsrecht der Krankenkasse (Häusliche Krankenpflege) fallen könnte.

  3. Schriftlichen Bescheid einfordern, hierfür gelten folgende Fristen: Nach § 14 SGB IX ab Antragseingang hat der Reha-Träger zwei Wochen Zeit zu prüfen, ob er zuständig ist. Hält er sich für nicht zuständig, kann er den Antrag an einen anderen Träger - in unserem Fall die Krankenkasse -– weiterleiten. Innerhalb von drei Wochen muss über den Antrag entschieden werden, wenn der Reha-Träger - hier die Eingliederungshilfe - zuständig ist. Wird der Antrag weitergeleitet, wie in unserem Fall, muss der zweite Träger, also die Krankenkasse, ebenfalls unverzüglich entscheiden. Falls ein medizinisches Gutachten erforderlich ist - in unserem Beispiel die Stellungnahme des Schularztes - verlängert sich die o. g. Frist, das Gutachten ist innerhalb von zwei Wochen zu erstellen. Nur ein schriftlicher Bescheid ermöglicht es den Eltern Widerspruch und ggf. weitere Rechtsmittel einzulegen.

  4. Gewöhnlich müssen sich die Eltern selbst eine Begleitperson suchen. Sie sollten sich dazu an Einrichtungen der offenen Behindertenarbeit, z. B. familienentlastende Dienste, wenden. Die Begleitperson sollte nach ärztlicher Verordnung, mit Einwilligung der Eltern und einer Einweisung, in der Lage sein, ggf. ein Bedarfsmedikament zu verabreichen. Die Qualifikation der Begleitperson ist abhängig vom Hilfebedarf des Kindes. Sie reicht von Helfern ohne Ausbildung bis zu qualifizierten Begleitpersonen, z. B. Sozialhelfer/innen, Heilerziehungshelfer/innen. Bei der Suche nach einer Begleitperson sollte man pragmatisch vorgehen und die Ansprüche nicht zu „hoch hängen“. Wichtig ist eine vertrauenswürdige Person, die die Anfälle des Kindes kennt und mit gesundem Menschenverstand handeln kann, so wie es Eltern auch tun.


Pflegefachkräfte für schwerstkranke Kinder:

Eine Ausnahme bilden schwerstkranke Kinder, die umfangreich, d. h. über viele Stunden am Tag, mit häuslicher Krankenpflege versorgt werden müssen. Dies ist notwendig, wenn z. B. regelmäßig Sauerstoffgabe oder das Absaugen von Bronchialsekret erforderlich ist. Diese behandlungspflegerischen Maßnahmen können nicht von medizinischen Laien übernommen werden. Für diese Kinder müssen mit entsprechender ärztlicher Verordnung an die Krankenkasse ambulante Pflegefachkräfte zur Betreuung in der Schule und auf dem Schulweg gesucht werden.

Unser kompliziertes, einzelfallabhängiges Leistungsrecht z. B. in der Eingliederungshilfe oder bei den Krankenkassen macht dieses Vorgehen leider notwendig. Eltern sollten also frühzeitig Hilfe über ihren Arzt, ein Sozialpädiatrisches Zentrum oder ein behandelndes Krankenhaus einfordern und beharrlich für die Rechte ihres Kindes eintreten, auch wenn das leichter gesagt ist als getan.

Der Bedarf an Schulassistenz und Schulwegbegleitung wird durch den Anspruch auf Inklusion und die Zunahme von integrativer Beschulung sicher noch wachsen.


Anne HauserSozialberatung Kinderepileptologie, Kidron, Krankenhaus Mara
Epilepsie-Zentrum Bethel