DOWNsideUP – ein Fotografieprojekt

Passauer Fotohandstand für den guten Zweck

Am 11.11.2012, ging es in Passau richtig zur Sache:
Das Fototeam um Andrea Krallingers und Xavier Escaleres gemeinsames Projekt für mehr Aufmerksamkeit für Epilepsie stellte an diesem Vormittag die Welt auf den Kopf. Gemeinsam stehen sie alle für die Idee, mehr Verständnis für Epilepsie in die Gesellschaft zu tragen. Das beruht nicht nur auf Andrea Krallingers Leben mit Epilepsie, sondern auch auf Xavier Escaleres Geschichte.

Er verlor vor vier Jahren bei einem Badeunfall seine Lebensgefährtin - während eines epileptischen Anfalls ertrank die damals 25-jährige Mylène. Sie musste ihre Epilepsie verstecken, da niemand in ihrem Umfeld Verständnis dafür aufbrachte. "So etwas darf nicht passieren", so Xavier Escalere. "Gemeinsam können wir durch unsere "ganz schön kranken" Fotos die Bürger von Passau erreichen und zeigen, dass Epilepsie etwas Normales sein kann."

Etwas Normales? „Das stimmt - Epilepsie ist etwa so häufig wie Diabetes. Über die Zuckerkrankheit wird in der Öffentlichkeit offen gesprochen. Epilepsie scheint immer noch ein Tabu in der Gesellschaft zu sein.“ Das will die Projektkooperation zwischen dem Franzosen und "Ganz schön krank e.V." ändern. Ein Handstand, eine Stadt, eine Idee!

Quelle: Holger MC – www.holgermc.com
Quelle: Andrea Krallinger – www.ganz-schoen-krank.org
Quelle: Andrea Krallinger – www.ganz-schoen-krank.org

Der Fotograf HolgerMC fing eine Szene in der Nähe des Passauer Doms mit seiner Kamera ein:

Xavier Escalere, der junge Franzose mit dem sympathischen Lächeln, ist der Projektinitiator von DOWNsideUP, einem Fotografieprojekt für mehr Aufmerksamkeit für Epilepsie in der Gesellschaft, das mittlerweile weltweit Kreise zieht. Was hinter DOWNsideUP steckt, verrät er im Interview:

Xavier, was ist „DOWNsideUP“ – um was geht es Dir in Deinem Projekt?

DOWNsideUP ist ein Fotoprojekt, das die Wirkung von Fotografien benutzt, um Neugierde beim Betrachter zu wecken, sodass er den Grund wissen will, warum ich solche Bilder mache: Ich möchte mehr Aufmerksamkeit und Beachtung für Epilepsie in der Gesellschaft schaffen und stehe gleichzeitig - in Zeiten dieser „verkehrten Welt“ - für mehr Toleranz im Umgang miteinander.

Warum und wann hast Du damit angefangen?

Im Jahr 2000 habe ich die ersten Handstandfotos gemacht, einfach so – just for fun. Es war aber 2008, als das Konzept dieser Fotos zu einem tatsächlichen Fotoprojekt wurde, das „DOWNsideUP-Projekt: Ein Weg zu mehr Achtsamkeit für Epilepsie und Toleranz in der Gesellschaft.“

Zum „Warum?“: Darüber habe ich mir erst kürzlich wieder Gedanken gemacht und für mich herausgefunden, dass die Idee des Helfens ein Grund für mich ist. Das Projekt war für mich „ein Ausweg aus dem Leiden“, der Ausdruck meiner Verzweiflung nach einer sehr tragischen und plötzlichen Erfahrung in meinem Leben…

Was ist Dein Ziel, wenn Du Fotos für Dein Projekt machst?

Das vorrangige Ziel ist, richtig viel Lärm um das Thema „Achtsamkeit für Epilepsie“ zu machen, um die Menschen - vor allem die Betroffenen - aus ihren „Verstecken“ zu locken. Natürlich geht es noch um viel mehr: Ich versuche ein nachhaltiges, moralisches und ethisches Projekt zu entwickeln und anzubieten. Es soll ein gemeinschaftliches Projekt sein, schließlich steht das Projekt ja für das Miteinander in der Gesellschaft. Deshalb ist es auch nicht wirklich „mein“ Projekt – ohne die Mithilfe anderer wären viele Fotos gar nicht möglich gewesen. Ich möchte zeigen, dass das „Wir“ zählt. Das Miteinander ist der Schlüssel für alles im Leben. Nicht etwa Geld, wie uns die „Gesellschaft“ immer wieder weismachen will.

Was war diese „tragische Erfahrung“, von der Du gesprochen hast? Kannst Du uns darüber etwas erzählen?

Natürlich kann ich – wie viele Zeilen möchtet ihr für das Interview füllen? Wenn ihr genug Platz habt, dann kann ich dem Leser vielleicht einige unverfälschte Eindrücke vermitteln.

Die tragische Erfahrung in meinem Leben beruht auf dem Tod meiner Freundin Mylène. Sie war ein Geschenk, sie war gesegnet: Eine reine Seele, die wahrhaftiges Mitgefühl für andere hatte. Sie hat ayurvedische Medizin studiert – Ayurveda ist die traditionell indische Medizin und bedeutet „die Wissenschaft vom Leben“. Ihr Leben und ihr Lebensweg haben mich wahrhaftig inspiriert. Für sie gab es kein „Hier und Jetzt“ oder so etwas wie „Besitz“. Sie war ein Mensch der Spontanität und Erfahrung.

Wir waren sechs Jahre lang ein Paar. Sechs Jahre, in denen wir wirklich wussten, wie viel Glück wir hatten. Das Glück, zusammen zu sein und uns in so jungen Jahren unseres Lebens kennenlernen zu dürfen.

Denkst Du, dass sich, seitdem Du dieses Projekt gegründet hast, tatsächlich etwas geändert hat?

Alles hat einen Effekt – das ist das Prinzip von actio-reactio. Manche nennen es Karma, andere sagen dazu „Schmetterlingseffekt“. Das Prinzip ist aber immer das Gleiche: Ein Ergebnis bewirken, eine Wirkung ergeben.

Auch wenn meine erste Antwort auf diese Frage „Nein, wahrscheinlich nicht.“ gewesen wäre: Wenn ich mich für einen Moment lang damit beschäftige, komme ich trotzdem zu dieser Schlussfolgerung: Es hat wahrscheinlich etwas geändert auf ganz viele Arten und Weisen, auch wenn ich mir dessen nicht bewusst sein mag. Meistens ist es doch so: Veränderungen kommen und entstehen dann, wenn du sie am allerwenigsten erwartest.

Du scheinst ja um die ganze Welt zu fliegen – wie kommt es dazu?

Ich bin sehr glücklich darüber. Ich arbeite als Flugbegleiter für Frankreichs nationale Fluglinie, die AirFrance. Zur Finanzierung: Welche Finanzierung? Ich halte es simpel: Ich versuche einfach das Geld, das ich verdiene, in jeden Aspekt meines Projekts zu stecken. Natürlich profitiere ich aber auch von der Großzügigkeit anderer Menschen, die sich Zeit für das Projekt nehmen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten dafür anbieten und jede Menge Energie reinstecken.

Auf Deinen Fotos ist unschwer zu erkennen, dass Du sehr trainiert bist – wie kommt man als Flugbegleiter dazu, so trainiert zu sein, wie Du es bist?

Hm? Naja, manche würden es “genetische Veranlagung” nennen, ich nenne es “glückliche genetische Veranlagung”. Ich bin von Natur aus ziemlich flexibel und war schon immer recht sehnig. Niemals war ich im Sportbereich als Tänzer oder Athlet tätig. Sport, den ich mag, findet draußen statt. In den Bergen oder beim Radfahren.

Zu Beginn des DOWNsideUP-Projekts konnte ich kaum fünf Sekunden lang auf meinen Händen stehen. Aber Schritt für Schritt und ganz allmählich begannen meine Handstände besser zu werden. Ich habe neue Posen ausprobiert und mich im Kopfstand geübt. Und jetzt übe ich fast jeden Tag – weil es mir Spaß macht!

Was ist das Beste für Dich an Deinem Projekt?

Es ist einerseits eine Herausforderung an meinen Körper, andererseits sicherlich auch ein Heilprozess für meinen Geist.

Wie geht es weiter mit Deinem Projekt?

Es wäre natürlich großartig, wenn das Projekt “DOWNsideUP” auch ohne den Aspekt meiner Person weiterläuft und weiterhin für mehr Achtsamkeit in Bezug auf Epilepsie in unserer Gesellschaft steht. Der nächste Schritt wäre also eine Möglichkeit zu finden, das Projekt ohne meine Person voranzutreiben.

Wo kann man sich über Dein Projekt informieren, um mitzumachen oder einen Beitrag zu leisten?

Ich würde sagen, dass DOWNsideUP noch in den Kinderschuhen steckt. Das Projekt steht hier für alle Ideen – natürlich mit dem Aspekt der Achtsamkeit für Epilepsie. Die erste Phase, nämlich Fotografien aus der ganzen Welt anzusammeln, ist fast zu Ende. Im Moment halte ich Ausschau nach Menschen, die sich von DOWNsideUP inspirieren lassen und das Projekt ausbauen, erweitern und vorantreiben – mit neuen Ideen hervortreten, mit den besten Intentionen arbeiten und etwas Konkretes und Nützliches schaffen wollen.

Zu Deinen fotografischen Fähigkeiten: Wie kam es dazu, dass Du so ein guter Fotograf wurdest?

Eigentlich, und um ehrlich zu sein, betrachte ich mich nicht als „guten Fotografen“. Der erste Grund ist, weil ich nicht sehr viel weiß über die Fotografie an sich. Die meisten Fotos wurden in voreingestellten Automatik-Modi geschossen. Was mir am Wissen über die Fotografie fehlt, kann ich aber hoffentlich mit meinen Bearbeitungsfertigkeiten am Computer ausgleichen. Das darf man aber nicht falsch verstehen: Kein Bild ist verfälscht. Ich versuche nicht, mit Bildmontage Dinge darzustellen, die in der Realität nicht existieren. Deshalb ist keines der Bilder „gefaked“. Allerdings lässt die Qualität meiner Bilder zu wünschen übrig und es wäre oftmals besser, einen professionellen Fotografen für die Bilder zu haben.

In wie vielen Ländern warst Du schon?

1, 2, 3, 4…10…Ups! Ich habe nicht genügend Finger!

Du spielst offensichtlich gern mit Worten – das Wort “downsideup” stammt vom englischen Wort “upsidedown” und bedeutet “verkehrt herum”. Du hast das englische Wort dafür in sich verdreht und benutzt es „verkehrt herum“ für Dein Projekt. Wie passt das zu Deinem Anliegen, deiner Intention?


Natürlich ist Symbolismus ein Teil des ganzen Projektes. Ist es nicht ein wenig ironisch, „verkehrt herum“ zu stehen, in einer Welt, die verkehrt herum ist? Im Französischen gibt es ein Sprichwort: Wenn man sich in einer sehr verrückten Situation befindet, fragen die Franzosen „Gehen wir nicht auf unseren Köpfen?“ Angesichts der Tatsache, dass wir in einer Welt leben, die an einem großen Mangel von Toleranz leidet, der immer größere Kreise zieht, ist diese Frage wohl angemessen. Also unterstütze ich die Idee für mehr Toleranz und „stehe“ dafür - warum also nicht im Handstand?

Ein weiteres Symbol für mich ist auch die Epilepsie an sich. Während eines Anfalls Verhalten sich die elektrischen Ströme „verkehrt“ im Gehirn, auch hier kommt also der „verdrehte“ Moment des Projekts ins Spiel.

Der Handstand soll aber auch dafür stehen, Dinge aus einer anderen Sichtweise zu betrachten, um mehr Verständnis füreinander zu gewinnen. Es ist ein Versuch Einstellungen, Vorurteile und alteingesessene Meinungen über Epilepsie zu verdrehen, auf den Kopf zu stellen.

Es ist aber auch ein Mutmacher: Es ist die Idee, nicht aufzugeben. Egal was in deinem Leben passiert: wenn du unten bist, dann bleib nicht unten. Versuche, alles dafür zu geben, wieder aufzustehen und lasse nichts unversucht, um oben zu bleiben.

Zum Schluss ein kleiner Nachtrag zum Logo des Projekts. Das Logo stellt zwei stilisierte Pfeile dar, einer zeigt nach oben, der andere Pfeil zeigt nach unten. Im Logo spiegelt sich durch die kreisförmige Anordnung der Pfeile das Leben wieder. Das Leben als Kreis und die Suche nach der Balance im „Oben“ und „Unten“ des Zyklus.

Quelle: www.ganz-schoen-krank.org


Weitere Informationen zum Projekt DOWNsideUP:

www.ganz-schoen-krank.org- Internetseite von Andrea Krallinger
www.downsideup.fr - Internetseite von Xavier Escalere