Gewitter in der Uni

Sarah Bischof

Epilepsy Awareness

Erst am vergangenen Wochenende war es wieder soweit. Eine Familienfreundin posaunte noch vor der Frage nach dem aktuellen Befinden: „Und du bist tatsächlich auch endlich bald fertig? Wird ja auch wirklich Zeit.“ Auch wenn ich mir in dieser Hinsicht in den letzten neun Jahren mehr oder minder freiwillig einen Schildkrötenpanzer wachsen ließ, bohrt sich die Pfeilspitze solcher Aussagen doch irgendwo in die Stellen ungeschützten Fleisches. Ich bin mir bewusst, dass solche Aussagen nicht böse gemeint sind, aber sie zeugen doch von einer unheimlichen Ignoranz und vor allem Kurzsichtigkeit. Und dennoch spornen gerade diese Menschen mich an, niemals aufzugeben, und trotz aller Hindernisse weiter aufrecht und mutig meinen Weg zu gehen. Auch mir fällt es nicht immer leicht, mich nicht dafür zu schämen, dass ich mit meinen 29 Jahren immer noch studiere, ohne davor eine Ausbildung oder Vergleichbares absolviert zu haben. Und so habe ich mich tatsächlich noch nie zu einem Ehemaligenfest oder Klassentreffen gewagt. Zu sehr fürchte ich mich vor unangenehmen Fragen, Rechtfertigungen meinerseits und womöglich mitleidigen Blicken. Schlimmer noch, habe ich es doch bereits erlebt, dass Mitmenschen die Epilepsie als Ausrede für meinen längeren und kurvigeren Studienweg belächeln… „Jaja, ihr Dauerstudenten habt doch immer eine Ausrede. Ist doch nicht schlimm, manche sind halt nicht so strebsam“, heißt es dann zwinkernd. Das sitzt.

Leider ist es in einer Gesellschaft, die nach Makellosigkeit und Perfektion und vor allem Funktionierbarkeit giert, nicht unbedingt leicht, trotz Epilepsie nach großen Zielen zu streben. Und so waren im Laufe meines Studiums stupide Wiederholungen von Kursen, an deren Prüfungstag ich einen Anfall hatte, keine Seltenheit. Bat ich Professoren um eine Nachprüfung, hörte ich in der Regel Sätze wie: „Wenn Sie am Prüfungstag fehlten, und die Gründe hierfür sind mir egal, dann müssen Sie den ganzen Kurs noch einmal absolvieren. Wenn Sie den akademischen Anforderungen nicht gewachsen sind, suchen Sie sich doch etwas, was Ihrer Behinderung angemessen ist. Es gibt sehr schöne einfache Berufe.“ Da es in meinem Magisterstudium stets Anwesenheitspflicht gab, wuchs es auch zu einer Gewohnheit, Kurse, in denen ich mehr als zwei Mal fehlte, zu wiederholen. Nicht selten war ich drauf und dran, alles hinzuwerfen. Doch am Ende war aufgeben nie eine Option. Von daher hieß es: fluchen wie ein nordischer Seemann, aufstehen, abklopfen, weiter kämpfen!

Heute bin ich scheinfrei und schreibe an meiner Magisterarbeit. Am Ende lockt ein Magister artium in Literaturwissenschaft, Anglistik und Skandinavistik. Hinter mir liegt ein langer Weg, den ich jedoch mit Leben gefüllt habe. So kann ich auch ein Zusatzstudium mit erfolgreichem Abschluss in Kulturmanagement aufweisen, ein Praxissemester im Literaturhaus München und ein Auslandsjahr in Göteborg. Alles zu seiner Zeit, pflegt meine Neurologin zu sagen, die nach eigenen Aussagen vor Stolz platzen wird, wenn ihre erste Patientin, die an einer - aufgrund einer Hirnfehlbildung - medikamentenresistenten Grand mal-Epilepsie leidet, einen Hochschulabschluss erworben hat. Ich habe bei meinen Krankenhausaufenthalten viele Epileptiker getroffen, die ihre Träume begraben haben, obwohl sie sicherlich genau so gute Juristen, Manager, Lehrer, Journalisten, etc. wären wie andere. Zugegeben, beim Piloten wird es dann eng :-) Leider haben sie in ihrem direkten Umfeld nicht die Menschen, die sie hierzu ermutigen und auch nicht den Mut, trotz aller Einschränkungen und Sonderbedürfnisse ihre Träume einzufordern.

Wenn der erste Schmerz verblasst ist, macht mich jede solcher Aussagen von Familienfreunden, ehemaligen Schulgefährten oder Bekannten stärker und gibt mir einen Schub Extramotivation. Zumal ich weiß, dass die Menschen, die zählen, hinter mir stehen. Seit die Pflichtkurse vorüber sind, arbeite ich mit Professoren, die mich aufgrund meiner Fähigkeiten unterstützen und die Anwesenheitsformalien meiner Leistung unterordnen. Auch wenn ich mich aufgrund unangebrachten Stolzes lange darum drückte, zwinge ich darüber hinaus organisatorische Einrichtungen mit meinem Schwerbehindertenausweis dazu, mich zu meinem Recht kommen zu lassen.

Seit mittlerweile 2,5 Jahren bin ich zudem Werkstudentin bei LovelyBooks. Selten habe ich so eine berufliche Anerkennung und Unterstützung auf professioneller Ebene kennengelernt. Sicherlich habe ich weitaus mehr Fehltage als jeder Kollege, und vor allem die Unberechenbarkeit der Anfälle birgt ein stetes Risiko für kurzfristige Ausfälle, doch ich werde aufgrund meiner Qualität und meines geistigen Könnens stets gefördert und mir wird mit Verständnis begegnet. Wir wollen schließlich kein Mitleid und keine Sonderstellung, wir wollen lediglich, dass unsere chronische Erkrankung und Behinderung, an der wir keinerlei Schuld tragen, uns nicht zum Nachteil ausgelegt wird. So, wie ich Professoren und einen Werkstudentenarbeitgeber gefunden habe, bin ich auch voller Hoffnung, nach meinem Abschluss einen fairen Arbeitgeber zu finden, der mich nach meinen beruflichen Fähigkeiten beurteilt und nicht nach meiner Erkrankung. Dass dies jedoch nicht leicht wird, hat mich die Erfahrung gelehrt.

Sarah Elise Bischof, München
www.swedething.com