Anders sein

ein Projekttag mit Epilepsie-Informationen für Schüler

 

Im März 2014 erreichte mich ein „Hilferuf“ vom familienunterstützenden Dienst der Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen. In einer 6. Klasse der evangelischen Gesamtschule häuften sich die Probleme mit einigen „ganz speziellen“ Schülern. Ein Junge mit Epilepsie, einer mit ADHS und noch ein paar andere Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten sorgten für ziemlichen Trubel in der Klasse. Da die Auseinandersetzungen immer öfter recht deutlich Mobbing-Charakter zeigten, hatten die beiden Klassenlehrerinnen die Kinderneurologie-Hilfe um Unterstützung gebeten, welche sich wiederum auf Rat der Beratungsstelle Bethel mit mir in Verbindung setzte. In einem Gespräch mit den Lehrerinnen, der Sozialpädagogin der Kinderneurologie-Hilfe und Frau Zapke-Keller vom Projekt „Verrückt – na und?“, die im Gegensatz zu mir schon Erfahrung mit Schülerprojekten hatte, entstand die Idee, das Thema „Ich, du, wir – was bedeutet es, anders zu sein?“ einmal im Unterricht aufzugreifen, am liebsten natürlich einen ganzen Tag lang. Fehlte nur noch die Genehmigung der Schulleitung - aber das stellte überhaupt kein Problem dar.

Nach etlichen E-Mails und Telefonaten war es am 27. Mai 2014 soweit: Ein leckeres, faires Frühstück bildete den Start in einen besonders aufregenden Tag. Neben den Schülern, ihren Lehrerinnen, dem Schulsozialarbeiter, Frau Zapke-Keller und mir kamen noch zwei junge Erwachsene, die selbst seit ihrer Kindheit Epilepsie haben und sich bereiterklärt hatten, den Kindern Rede und Antwort zu stehen. Schon beim Frühstück zeigte sich, dass die Kinder aufgeschlossen und wissbegierig an das Thema herangingen und die Gäste ohne Scheu in Gespräche verwickelten.

Die Klasse vor dem „großen Sortieren“.

Im ersten Block sollten die Kinder den Begriff „Anders sein“ sozusagen am eigenen Leib erfahren. Frau Zapke-Keller sorgte für ausreichend Bewegung, indem sie die Kinder immer wieder nach anderen Merkmalen sortiert im Raum anordnete: Die Blonden auf die linke, die Braunhaarigen auf die rechte Seite, die Schwarzhaarigen in die Mitte des Raumes und die Rothaarigen an die Tür. So gruppierten sich die Kinder in immer wieder anderen Zusammenstellungen im Raum, oft auch nach Merkmalen, die nicht von außen sichtbar waren (Wer mag Blumenkohl?). So erlebten sie, dass sie immer wieder mit anderen Kindern in einer Gruppe waren und jeder von ihnen „etwas anders“ ist. Dass man „Anders sein“ nicht immer sehen kann und dass keiner etwas dafür kann, dass er „anders“ ist, begriffen alle erstaunlich schnell. Auch dass manchmal eine Krankheit der Grund dafür sein kann, folgerten sie in der anschließenden Gesprächsrunde. Beide Lehrerinnen und auch der Sozialarbeiter waren begeistert von der regen Beteiligung der Klasse.

total konzentriert

Nach einer kurzen Pause stand das Thema Epilepsie auf dem Plan: Da ich bisher nur Erwachsene (Lehrer, Erzieher, Betreuer) über Epilepsie informiert hatte, war es für mich eine Premiere: Dreißig Kinder, etwa zwölf Jahre alt, zum Zuhören und Mitmachen bewegen? Keine leichte Aufgabe, dachte ich. Doch erstaunlicherweise konnte ich die Kinder fast zwei Stunden bei der Stange halten. Mit vielen Bildern, Videos und einem Quiz zum Abschluss erklärte ich, wie das Gehirn funktioniert, wie Anfälle aussehen können, welche Regeln Kinder mit Epilepsie beachten sollten, was die Medikamente mit den Betroffenen machen und warum sie manchmal einfach schräg drauf sein können. Die Wissbegierde und Konzentrationsfähigkeit der Kinder überraschte nicht nur mich, auch die Lehrerinnen waren von ihrer Klasse begeistert.

 

 

Alles richtig?!?

Nach dem Mittagessen, bei dem intensiv weiterdiskutiert wurde, teilten sich die Kinder in drei Gruppen auf und konnten an drei Stationen im kleinen Kreis noch einmal Fragen stellen. In einem Raum standen die beiden epilepsiebetroffenen Erwachsenen Rede und Antwort, in einem anderen ging es um Körperbehinderungen und im dritten Raum konnten die Kinder mir ihre Fragen stellen. Ich war sehr erstaunt, mit wie viel Interesse und Empathie die Kinder auch sehr persönliche Fragen stellten, z. B. nach meinem verstorbenen Sohn und warum ich die Selbsthilfearbeit nach seinem Tod weitergemacht habe. Nach einer guten Stunde hatten alle Kinder die Stationen durchlaufen und die Schlussrunde konnte beginnen.

Die Schüler zeigten sich sehr beeindruckt von der Offenheit, mit der die beiden betroffenen Erwachsenen über ihre Erfahrungen gesprochen hatten. Auch mein Vortrag wurde ausdrücklich gelobt (Smilie einfügen) und der Tag insgesamt als eindrucksvolle Erfahrung gewertet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Kinder jetzt mit offeneren Augen und Herzen ihre Mitmenschen betrachten, denn dass wir alle unsere kleineren und größeren Macken haben, das haben sie sicherlich verstanden.

Susanne Fey,
Wuppertal
1. Vorsitzende
epilepsie bundes-elternverband e.V.
kontakt(at)epilepsie-elternverband.de
Tel./Fax: 0202 2988465


Alle Bilder © Boneberger/Lümkemann