Epilepsie in der Presse

Einleitung

Epilepsien gehören zu den häufigsten chronisch-neurologischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Betroffen sind etwa fünf von 1.000 Kindern und Jugendlichen (Prävalenz ~0,5 %); pro Jahr erkranken etwa 60 von 100.000 Kindern (Inzidenz 60/100.000).

Epilepsien bilden eine Gruppe sehr unterschiedlicher Krankheitsbilder mit einem Spektrum von selbstlimitierenden, gut behandelbaren Erkrankungen (etwa 70 % aller Patienten) bis hin zu therapieschwierigen Formen (ca. 30 % der Patienten). Sie werden nach ihrer Ursache eingeteilt in genetisch-bedingte Epilepsien (früher idiopathisch) und Epilepsien mit strukturell-metabolischer Ursache (früher symptomatisch). In der Gruppe der genetisch-bedingten Epilepsien ist die Epilepsie das wesentliche Merkmal einer genetisch oder vermutlich genetisch-bedingten Erkrankung. Bei strukturell-metabolischen Epilepsien sind epileptische Anfälle ein Symptom einer übergeordneten Erkrankung, die z. B. durch Fehlbildungen des Gehirns, Stoffwechselerkrankungen oder Hirnschädigungen im Rahmen von Blutungen oder schweren Verletzungen verursacht werden.

In der Diskussion genetischer Ursachen von Epilepsien werden oft seltene, meist früh beginnende und schwer verlaufende Epilepsieformen unterschieden von häufigen, später beginnenden und in der Mehrzahl gut behandelbaren Erkrankungen.

In der ersten Gruppe, zu der viele der im Säuglingsalter beginnenden Epilepsien und sogenannten epileptischen Enzephalopathien zählen, geht man in der Regel davon aus, dass eine einzelne genetische Veränderung die Erkrankung verursacht. In dieser Gruppe hat die Forschung in den letzten Jahren zahlreiche Gene und Gen-Veränderungen identifizieren können. Häufig treten diese genetischen Veränderungen beim Kind neu auf, sie sind bei den Eltern nicht nachweisbar (sogenannte de novo Mutationen). Diese Veränderungen entstehen zufällig durch Fehler bei der Zellteilung in der ganz frühen Entwicklung des Kindes, Gründe lassen sich dafür meistens nicht finden. Eine zweite Möglichkeit für die Entstehung genetischer Veränderungen, die zu schwer verlaufenden Epilepsien führen können, ist die sogenannte autosomal-rezessive Vererbung. Hierbei sind beide Kopien des Gens von einer Veränderung betroffen, dabei wird eine Veränderung von der Mutter und eine zweite vom Vater vererbt, alternativ wird eine Veränderung vererbt und eine zweite entsteht zufällig (schematische Darstellung in Abbildung 1). Da nur ein Gen betroffen ist, spricht man von monogenetisch bedingten Erkrankungen.

Abbildung 1: Schematische Darstellung genetischer Veränderungen und ihrer Vererbung bei monogenetischen Erkrankungen. In diesen Fällen sind beide Eltern gesund, das Kind bekommt eine Epilepsie.

In jeder menschlichen Zelle liegt die genetische Information aufgeteilt auf 23 Chromosomen (davon ein Geschlechtschromosom, X oder Y) vor. Jedes Chromosom und damit jede genetische Information ist zweimal vorhanden, jeweils in einer Kopie, die ursprünglich von der Mutter stammt, und einer Kopie vom Vater. Für manchen Gene ist die Schädigung einer Kopie ausreichend für eine Funktionseinschränkung und damit die Entstehung einer Erkrankung (man spricht von dominanter Vererbung), für andere Gene müssen Veränderungen beider Kopien vorliegen (rezessive Vererbung).

 

Für die Erkrankungsformen der zweiten Gruppe der häufigen und meist milder verlaufenden Epilepsieformen ist die Situation komplizierter: Auch hier werden genetische Veränderungen als Ursache vermutet, u. a. aufgrund des gehäuften Auftretens dieser Epilepsien in verschiedenen Generationen einer Familie. Allerdings ist nicht eine Veränderung alleine, sondern eine Vielzahl von Veränderungen mit jeweils nur geringer Auswirkung auf das Gesamtbild der Erkrankung verantwortlich. Man spricht daher von genetischen Risikofaktoren. Man kann sich dies vereinfacht vorstellen wie das Überlaufen eines Wassereimers: erst wenn ausreichend viele Risikofaktoren (entsprechend den Wassertropfen) zusammenkommen, kommt es zur Ausprägung der Erkrankung (dem Überlaufen des Eimers, siehe auch schematische Darstellung in Abbildung 2). Da hier viele verschiedene Gene an der Entstehung einer Erkrankung beteiligt sind, spricht man von polygenetischer oder komplexer Vererbung.

Abbildung 2: Schematische Darstellung genetischer Veränderungen und ihrer Vererbung bei polygenetischen Erkrankungen. In der Familie können mehrere Personen unterschiedlichen Geschlechts von einer Epilepsie betroffen sein, grundsätzlich ist aber auch nur ein betroffenes Familienmitglied möglich.

Es gibt weitere, spezielle Vererbungsformen, die bei Epilepsien ebenfalls eine Rolle spielen können.

Das Wissen um diese Vererbungsformen ist wichtig z. B. für die Frage des Wiederholungsrisikos bei weiterem Kinderwunsch, dies wird in einer genetischen Beratung betroffener Eltern ausführlich ge- und erklärt.

Beispiel idiopathisch generalisierte Epilepsien:
Idiopathisch generalisierte Epilepsien (IGE, nach neuer Klassifikation genetisch generalisierte Epilepsien, GGE) stellen eine Gruppe von altersabhängig auftretenden, meist gut therapierbaren, Epilepsieformen dar.

Monogen vererbte Formen sind innerhalb der Gruppe der IGE selten und Veränderungen in verschiedenen Genen konnten nur in einzelnen Familien gefunden werden. Eine Ausnahme bildet die sogenannte Glukose-Transporter Störung (GLUT1-Defizienz), die sowohl mit schweren Krankheitsbildern, gekennzeichnet durch eine Epilepsie, eine verzögerte Entwicklung, ein vermindertes Kopfwachstum und eine Störung der normalen Bewegungsmuster, als auch mit speziellen Formen der IGE wie z. B. einer besonders früh beginnenden Absence-Epilepsie oder einer myoklonisch-astatischen Epilepsie verbunden sein können. Durch genetische Veränderungen in dem zugehörigen Gen ist die Funktion des Zucker-Transports vom Blut ins Gehirn eingeschränkt. Für Patienten mit einer Störung des Glukose-Transporters stellt die ketogene Diät eine spezifische Therapiemöglichkeit dar, da hierbei Ketonkörper statt Zucker die Energieversorgung des Gehirns übernehmen. Mögliche Hinweise auf das Vorliegen einer solchen Störung sind zusätzliche Bewegungsstörungen, etwa eine Gangunsicherheit oder unwillkürliche Bewegungen nach Belastung und eine Verschlechterung der Epilepsie nach Fasten und bei Nüchternheit. Die Diagnose kann durch Untersuchung des Zuckerwerts im Nervenwasser (Liquor) und/oder eine genetische Untersuchung gestellt werden.

Die meisten Formen der idiopathisch generalisierten Epilepsien werden durch das Zusammentreffen verschiedener Risikofaktoren (wie in Abbildung 2 dargestellt) verursacht. Die einzelnen Faktoren sind in der Mehrzahl noch nicht bekannt und eine genetische Untersuchung ist daher nicht sinnvoll.

Beispiel fokale Epilepsien:
Für einige selten auftretende fokale Epilepsieformen wie die familiäre Frontallappenepilepsie mit nächtlichen Anfällen und die familiär auftretende Temporallappenepilepsie mit Auren, die durch akustische Phänomene gekennzeichnet sind, sind genetische Ursachen bekannt und einer genetischen Untersuchung zugänglich. Auf die Therapie dieser meist gut behandelbaren Epilepsieformen hat das Wissen über die genetischen Ursachen allerdings keinen Einfluss, sinnvoll ist die genetische Diagnostik zur Vermeidung weiterer Untersuchungen und um eine genetische Beratung der Familie zu ermöglichen.

Bei den häufiger auftretenden fokalen Epilepsien des Kindes- und Jugendalters wie der Rolando Epilepsie sind in den letzten Jahren einzelne genetische Veränderungen gefunden worden, die aber insgesamt nur einen sehr kleinen Teil der Epilepsien erklären. Eine genetische Untersuchung macht daher nur in Ausnahmefällen und bei schweren Verläufen Sinn.

Beispiel epileptischer Enzephalopathien:
Epileptische Enzephalopathien umfassen ein breites Spektrum schwer verlaufender Krankheitsbilder mit meist frühem Beginn, oft bereits in den ersten Lebenswochen oder -monaten. Neben der Epilepsie liegen unterschiedlich ausgeprägte Entwicklungsprobleme vor. Zu einem Teil lassen sich epileptische Enzephalopathien klar definierten Krankheitsformen wie dem Dravet-Syndrom zuordnen, deren genetische Ursachen bekannt sind. Auch für andere Formen wie dem West-Syndrom wurden mittlerweile eine Reihe genetischer Veränderungen gefunden, die für das Auftreten der Erkrankung verantwortlich scheinen.

Kennzeichnend für diese Gruppen von Epilepsien ist die große Vielfalt möglicher genetischer Veränderungen, die oft zu ähnlichen Krankheitsbildern führen. Dies beschreibt gleichzeitig das Problem der genetischen Diagnostik, die sich meist nicht auf ein Gen beschränken kann (wie die Untersuchung des Gens SCN1A bei Patienten mit Dravet-Syndrom), sondern eine Vielzahl von Genen nacheinander oder mittels neuerer Methoden (wie der Gen-Panel-Untersuchung) abklären muss. Entsprechend dieser sogenannten genetischen Heterogenität sind für einen großen Teil der Patienten mit früh beginnenden, schwer verlaufenden Epilepsieformen die verursachenden genetischen Veränderungen noch nicht bekannt.

Bedeutung für die Praxis
Die Kenntnis über genetische Ursachen von Epilepsien kann vor weiteren, unnötigen und häufig belastenden diagnostischen Maßnahmen schützen, eine genetische Beratung ermöglichen, zur Therapieoptimierung dienen und eine gewisse Einordnung der Prognose erlauben. In der Regel sollte bereits vor Einleitung genetischer Untersuchungen eine Vorstellung bei einem Humangenetiker erfolgen. Hier können in enger Abstimmung mit dem behandelnden Epileptologen die Notwendigkeit und Auswahl genetischer Untersuchungen geklärt werden und Patient und Eltern über deren Grundlagen sowie mögliche Ergebnisse aufgeklärt werden. Alternativ können genetische Untersuchungen auch aus der epileptologischen Sprechstunde heraus nach entsprechender Aufklärung und Einwilligung des Patienten oder der Eltern initiiert werden, eine genetische Beratung sollte dann spätestens bei Vorliegen auffälliger Befunde erfolgen.

Auch Patienten, für die eine genetische Testung nicht in Frage kommt, sollten einer genetischen Beratung zugeführt werden. Bei betroffenen Patienten und in den Familien existieren häufig Fehleinschätzungen hinsichtlich des Risikos einer Vererbung der Epilepsie. Daher sollen Patienten oder Patienteneltern spätestens bei bestehendem Kinderwunsch über das Wiederholungsrisiko aufgeklärt werden und damit Klarheit über das tatsächliche Risiko erhalten.

Epilepsiegenetik in der Forschung
In der Forschung konnten in den letzten Jahren zahlreiche Gene identifiziert werden, die für die Entstehung unterschiedlicher Epilepsieformen wichtig sind. Neue Methoden ermöglichen die Untersuchung mehrerer Gene oder gar der Gesamtheit aller Gene in kurzer Zeit (sogenannte Gen-Panel-Analysen und Exom- oder Genom-Sequenzierungen). Problematisch ist aktuell häufig noch die Einordnung der Ergebnisse, da nach dem bekannten Motto „wer suchet, der findet“ zwar viele Veränderungen identifiziert werden können, deren Bedeutung für die Epilepsie aber erst in aufwendigen weiteren Untersuchungsschritten geklärt werden muss. Eine sehr wichtige Entwicklung der letzten Jahre ist dafür die zunehmende Zusammenarbeit und Vernetzung von Forschern weltweit, die so Kräfte bündeln und die Erforschung genetischer Ursachen von Epilepsien vorantreiben können.

Zunehmend gelingt die Übertragung der neuen Methoden und der Kenntnisse über verantwortliche Gene in die klinische Arbeit und genetische Diagnostik. Schwierig ist aktuell noch die Nutzung des neu erworbenen Wissens für Entscheidungen zur Therapieoptimierung oder gar die Entwicklung neuer Therapien. Einzelne Beispiele wie oben beschrieben machen hier aber Mut für die nähere und fernere Zukunft.


Dr. med. Sarah von Spiczak 1,2

1 Arbeitsgruppe Pädiatrische Epilepsiegenetik, Klinik für Neuropädiatrie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel
2 Norddeutsches Epilepsiezentrum für Kinder- und Jugendliche, Schwentinental/OT Raisdorf

Kontakt:

Dr. med. Sarah von Spiczak
Norddeutsches Epilepsiezentrum für Kinder und Jugendliche
Henry-Dunant-Straße 6-8
24223 Schwentinental / OT Raisdorf
Tel.: 04307 909201
s.spiczak(at)drk-sutz.de
www.drk-sutz.de


Wichtig für das Vorankommen der Wissenschaft ist die Bereitschaft von Patienten und Familien zur Unterstützung der genetischen Forschung. Notwendig sind dazu nach entsprechender Aufklärung und schriftlichem Einverständnis lediglich eine Blutprobe und die Bereitstellung einiger Informationen zur Krankengeschichte. Bei Interesse freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme über die Homepage der Arbeitsgruppe Pädiatrische Epilepsiegenetik der Klinik für Neuropädiatrie in Kiel, www.epilepsiegenetik.de.

Zusätzlich oder alternativ ist es über eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) möglich, die Forschung zur Epilepsiegenetik in Deutschland finanziell zu unterstützen. Informationen hierzu erhalten Sie über die DGfE unter ize(at)dgfe.info.