„Ach wie gut, dass niemand weiß…“

Hell eingerichtete Räume und eine freundliche Atmosphäre herrschen auf der neuen Station für Psychosomatische Epileptologie für junge Erwachsene vor

Neue Station für Psychosomatische Epileptologie für junge Erwachsene in der Epilepsieklinik Tabor eröffnet

Im Mai 2015 wurde in der Epilepsieklinik Tabor in Bernau eine neue Station für „Psychosomatische Epileptologie für junge Erwachsene“ eröffnet. Die Station hat sechs Plätze für junge Menschen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Die ersten Patientinnen und Patienten haben ihren Aufenthalt bereits beendet. Welche Erfahrungen eine junge Frau dabei gemacht hat, soll hier geschildert werden.

Die Klinik Tabor gehört zur Hoffnungstaler Stiftung Lobetal im Verbund der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und ist eingebunden in das Netzwerk des Epilepsiezentrums Berlin-Brandenburg.

Die Psychosomatische Epileptologie hat in Tabor eine über 10-jährige Tradition: 2003 bezog die Klinik ein neues Gebäude in Bernau, dies war der Anlass, das bestehende psychotherapeutisch-psychiatrische Angebot zu bündeln und eine eigene Station für Menschen mit Anfällen und psychischen Begleiterkrankungen einzurichten. Auf dieser Station werden die Patienten kombiniert psychotherapeutisch und epileptologisch behandelt, sie erhalten Einzel- und Gruppenpsychotherapie, Physio-, Ergo- und Musiktherapie. Tabor ist eine der wenigen Einrichtungen in Deutschland, die über solch eine spezialisierte Station für psychosomatische Epileptologie verfügt. Mit der Erweiterung durch die neue Station kann jetzt ein Angebot gemacht werden, das ganz speziell auf die Bedürfnisse junger Erwachsener zugeschnitten ist.

Die gerade 18 Jahre alte Katharina P. (Name geändert) ist eine der ersten Patientinnen, die auf der neuen Station behandelt wurde. Sie wurde aus einem norddeutschen Epilepsiezentrum zu uns geschickt. Hatte Katharina tatsächlich eine Epilepsie, oder hatte sie dissoziative Anfälle?

Psychotherapeutin Dr. Hedwig Freitag versucht, in Einzelgesprächen mehr über die Hintergründe der Patienten zu erfahren

Ein besonderer Schwerpunkt der Station für psychosomatische Epileptologie liegt in der Behandlung von Patienten mit nicht-epileptischen, sogenannten dissoziativen Anfällen. Diese sind häufig sehr schwer von epileptischen Anfällen zu unterscheiden. Bei manchen Patienten bestehen sie auch gleichzeitig mit einer Epilepsie. Dann ist es besonders schwierig zu erkennen, welche Anfälle epileptisch sind und welche eine andere Ursache haben. Bei dissoziativen Anfällen spielt die psychotherapeutische Behandlung eine besonders große Rolle. Diese Anfälle sind für die Patienten im Alltag genauso stark beeinträchtigend wie epileptische Anfälle. Wenn dissoziative Anfälle korrekt diagnostiziert werden können, kann dies schon der erste Schritt zum Therapieerfolg sein.

Zur Aufnahme wurde Katharina von ihrer Mutter begleitet – es war das erste Mal, dass sie eine längere Zeit von der Familie getrennt sein würde. Der ungewöhnlich enge Familienzusammenhalt war der behandelnden Neurologin bereits aufgefallen. Sie hatte den Verdacht, dass dies mit ein Grund für die Schwierigkeiten bei der Diagnostik und Behandlung von Katharinas Epilepsie sein könnte.

Die erste Woche verbrachte die Mutter in der Nähe der Klinik. Dies machte es der jungen Patientin zunächst etwas schwer, sich auf der Station einzugewöhnen. Jede freie Minute verbrachte sie mit ihrer Mutter. In den psychotherapeutischen Einzelgesprächen berichtete Katharina über ihre Kindheit, die trotz schwerer Erkrankungen in der Familie harmonisch gewesen sei. Nach dem Beginn der Anfälle, als sie ungefähr 15 Jahre alt war, hätten ihre Konzentrationsfähigkeit und ihre Belastbarkeit nachgelassen. Sie habe die Schule wechseln und schließlich die Schulausbildung nach der 9. Klasse abbrechen müssen. Sie habe dann eine Ausbildung zur Sozialassistentin gemacht. Durch diese Ausbildung habe sie die Möglichkeit bekommen, eine Ausbildung als Erzieherin – ihr absoluter Traumberuf! – zu beginnen. Als die Anfälle im Frühjahr 2015 deutlich schlimmer und häufiger wurden, habe die Schule ihr geraten, die Ausbildung zu unterbrechen und sich erst einmal um ihre Gesundheit zu kümmern.

Stationsarzt Stefan Hettmann im Gespräch mit einer Patientin

Obwohl die Anfallssituation seit einigen Monaten besonders schlimm geworden war, schien Katharina auf unserer Station keine Anfälle zu haben. Zur näheren Abklärung sollte die antiepileptische Medikation reduziert und ein Langzeit-Video-EEG gemacht werden. Das bedeutet, dass bei dem Patienten ein sehr lange dauerndes EEG abgeleitet wird und gleichzeitig eine Videokamera eingeschaltet ist, die mögliche Anfälle aufzeichnen soll.

Vor dem Absetzen der Medikamente hatte Katharina etwas Angst. Im EEG verbrachte sie 24 Stunden, ohne dass sie einen Anfall durch das hierfür verabredete Klingeln meldete. Die Zeit im EEG empfand sie als sehr unangenehm und war überhaupt nicht erfreut, als ein zweites Langzeit-Video-EEG angesetzt wurde. Auch diesmal dauerte das EEG 24 Stunden – und diesmal gab sie anschließend preis, dass sie in dieser Zeit kleinere Anfälle gehabt habe, diese aber nicht, wie vereinbart, durch Klingeln gemeldet hatte. Somit konnte nicht ausgewertet werden, ob sich die Anfälle auch im EEG zeigten – ein wichtiger Schritt bei der Differentialdiagnose zwischen Epilepsie und dissoziativen Anfällen.

Natürlich wurde die Frage, warum sie sich nicht gemeldet hatte, auch in den Einzelgesprächen und in den Visiten mit ihr besprochen. Es stellte sich heraus, dass sie sich ungeheuer schämte für ihre Anfälle und diese niemanden sehen lassen wollte! So sehr sie sich auch wünschte, keine Anfälle mehr zu haben: Der Preis, andere Menschen die Anfälle sehen zu lassen, schien ihr zu hoch.

In den Gruppentherapien legte Katharina ein munteres, fröhliches Verhalten an den Tag. In den Einzelgesprächen war sie sehr bemüht, das Bild einer unbeschwerten jungen Frau aufrecht zu erhalten und ließ nur zögerlich eine große Traurigkeit durchblicken. Außerhalb der Therapiezeiten hielt sie sich sehr viel in ihrem Zimmer, meistens sogar schlafend im Bett, auf. Bald kam die Vermutung auf, dass sie in solchen Momenten gerade einen Anfall gehabt hatte, den sie verstecken wollte und nach dem sie häufig sehr müde war und schlafen musste. Sie bestritt es nicht. Schließlich ließ sie sich widerstrebend auf ein weiteres Langzeit-Video-EEG ein und versprach, bei einem Anfall, der sich meistens durch ein Vorgefühl ankündigte, die Klingel zu betätigen. Sie hielt Wort und schaffte es bei einem von zwei Anfällen, sich rechtzeitig bemerkbar zu machen. Der Anfall konnte eindeutig als epileptischer Anfall diagnostiziert werden. Somit war klar, dass Katharina tatsächlich epileptische Anfälle hatte.

Es hatte sie ungeheure Überwindung gekostet, dies zu tun. Im weiteren Verlauf konnte in den Einzelgesprächen vorsichtig thematisiert werden, warum sie sich so sehr für ihre Anfälle schämte. Als mögliche Gründe wurden benannt, dass sie ihrer Familie, die ja schon durch Erkrankungen so belastet ist, nicht noch weitere Belastungen zumuten wollte und konnte; dass sie aus Angst, ihren Traumberuf nicht ausüben zu können, die Anfälle leugnen wollte; und dass sie schon seit dem Wechsel von der Grundschule auf eine weiterführende Schule verheimlicht hatte, dass sie eigentlich völlig überfordert war, was aber niemand merken sollte. Katharina bestritt keinen der angesprochenen Punkte, aber sie bestätigte auch keinen.

Eine wichtige Frage, nämlich die nach dem Vorliegen einer Epilepsie oder von dissoziativen Anfällen, war nun beantwortet. Außerdem wurde noch eine Untersuchung der Hirnflüssigkeit durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Epilepsie nicht durch eine Entzündung des Gehirns verursacht wurde – eine solche Epilepsie müsste nämlich noch anders behandelt werden. Auch das traf bei Katharina nicht zu. In Absprache mit der behandelnden Neurologin wurde mit der Veränderung der antiepileptischen Medikation begonnen, die bisher ja nicht richtig gegen die Anfälle gewirkt hatte. Katharina vertrug die Umstellung gut.

Die Weiterbehandlung der Epilepsie konnte dann in der Nähe ihres Heimatortes stattfinden. Katharina freute sich unbändig, wieder nach Hause zu können. Im Abschlussgespräch betonte sie, dass sie erst durch den langen Aufenthalt so weit von zu Hause entfernt gemerkt habe, wie wichtig ihr ihre Familie sei. Auch wenn sie auf der Station „über ihren Schatten springen“ musste, was sie viel Überwindung gekostet hatte, konnte sie dem Aufenthalt rückblickend sogar positive Seiten abgewinnen. Und wenn es wieder mal sehr schlimm mit der Epilepsie wäre, könnte sie sich auch vorstellen, noch mal nach Tabor zu kommen. Auch wenn es so weit von zu Hause entfernt ist!

Wenn Sie denken, dass eine Behandlung auf unserer Station für Sie in Frage kommt, können Sie sich an den Oberarzt Herrn Miersch wenden, unter der Telefon-Nummer: 03338 752 434;
E-Mail: h.miersch@epi-tabor.de


Hedwig Freitag, Stefan Hettmann
und Hans-Beatus Straub,
Epilepsieklinik Tabor


Kontakt:

Epilepsieklinik Tabor
Prof. Dr. med. Hans-Beatus Straub
Chefarzt
Ladeburger Straße 15
16321 Bernau bei Berlin
Zentrale: 03338 752 0
www.epi-tabor.de

 

Bilder – Quelle: Epilepsieklinik Tabor