25 Jahre Epilepsiechirurgie in Bethel
Es begann in einem Kaffeehaus in Jerusalem
Als in Bethel 1991 die erste Epilepsiechirurgie Deutschlands die Arbeit aufnahm, gab es nicht nur Applaus. Ganz im Gegenteil, das Programm wurde heftig kritisiert. Es gab Stimmen, die fanden es fragwürdig – wenn nicht sogar ethisch verwerflich – in der Schaltzentrale des Menschen, dem Sitz der Seele, „herumzuschnippeln“. Zwar hatte das Krankenhaus Gilead in Bethel schon längst eine Neurochirurgie, die auch Hirn-OPs durchführte, aber da wurden Tumore entfernt, krankes Gewebe, und nicht scheinbar gesunde Areale.
Die Kritiker der Epilepsiechirurgie erinnerten sich auch noch mit Grausen an die Zeiten der Psychochirurgie in den 60er Jahren. In dieser Zeit wurde beispielsweise versucht, die Schizophrenie wegzuoperieren. „Die Anti-Stimmung in Deutschland kam für mich unerwartet“, sagte Prof. Dr. Hans Lüders jetzt beim Jubiläumssymposium in Bethel, als er in einer Rede auf die Anfänge der Epilepsiechirurgie in Bethel zurückblickte. Der Amerikaner mit deutschen Vorfahren hat sich die Geschichte der Gehirnoperationen genauer angeschaut und ist dabei auf die Lobotomie gestoßen. Bei der Methode werden Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen im Gehirn durchtrennt. Sie wurde in den USA tausendfach bei psychisch auffälligen Menschen durchgeführt.
Prominentestes Opfer dieses monströsen Eingriffs war Rosemarie Kennedy. Die Schwester des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy war nach der Lobotomie geistig behindert. „Das ist also der Hintergrund, weshalb es so einen großen Widerstand gegen die Epilepsiechirurgie hierzulande gab. Es musste dringend geklärt werden, dass die Epilepsiechirurgie nichts damit zu tun hat. Wie bei der Tumorresektion wird nur krankes Gewebe entfernt“, betont Prof. Lüders, der in den 1980er Jahren Leiter der neurologischen Klinik Cleveland im amerikanischen Ohio war.
Prof. Lüders ist einer der maßgeblichen Förderer der Epilepsiechirurgie in Bethel. Alle Fachkräfte fast aller Berufsgruppen des Epilepsie-Zentrums Bethel wurden zu ihm zur Fortbildung geschickt. Der Kontakt zur Cleveland Clinic war schon ein paar Jahre zuvor geknüpft worden. „Es begann in einem Kaffeehaus in Jerusalem“, verrät Prof. Lüders. Bei einem wissenschaftlichen Kongress in Israel lernte er 1988 den damaligen Leiter des Epilepsie-Zentrums Bethel, Prof. Dr. Peter Wolf, kennen. Die beiden verabredeten sich und Prof. Wolf erzählte ihm von dem ehrgeizigen Vorhaben in Bethel. Bei einer Tasse arabischem Kaffee und süßem Gebäck wurden die Fäden zwischen den über 6000 Kilometer voneinander entfernten Epilepsiezentren gesponnen.
Aufgebaut hat die Epilepsiechirurgie der damalige Chefarzt der Neurochirurgie, Prof. Dr. Falk Oppel, der extra dafür 1986 von der Freien Universität Berlin nach Bethel gewechselt war. Rückblickend bezeichnet er diese Zeit als den Höhepunkt seiner gesamten beruflichen Laufbahn.
In der Epilepsiechirurgie wird das Areal aus dem Gehirn entfernt, das für die Anfälle verantwortlich ist. Eine lange und aufwendige prächirurgische Diagnostik mit Video-EEG und Magnetresonanztomographie ist notwendig, um die Zone exakt zu lokalisieren. Manchmal liegt das Areal ganz dicht an einem wichtigen Zentrum, zum Beispiel dem Sprachzentrum, sodass die Chirurgen während des Eingriffs auf die Hilfe des Patienten angewiesen sind. Wenn die Schädeldecke geöffnet ist, wird er aus der Narkose geholt. Denn das Gehirn ist schmerzunempfindlich. Mit Elektroden im Gehirn werden Reize gesetzt. Irgendwann bekommt der Patient Probleme beim Sprechen. Dann muss dieses Gebiet verschont werden.
Der Vorstand der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel knüpfte in den 1980er Jahren die Errichtung einer Epilepsiechirurgie an Bedingungen. Nach der Operation, so die Entscheidung, sollte es eine spezielle Rehabilitationsmaßnahme für sie geben. „Sozialmedizinische Aspekte haben historisch gesehen schon immer eine wichtige Rolle im Epilepsie-Zentrum Bethel gespielt. Das Besondere an der Epilepsie-Reha ist, dass die Betroffenen aus einem Zustand der chronischen Behinderung in einen Normalzustand überführt werden“, so Prof. Dr. Christian Bien, Chefarzt des Epilepsie-Zentrums Bethel. In Bethel entstand daraufhin die erste Klinik für medizinische und medizinisch-berufliche Rehabilitation für Menschen mit Epilepsie in Deutschland. Es gebe eine Studie, die belege, dass die Arbeitslosigkeit bei operierten Epilepsie-Patienten durch eine anschließende Reha signifikant abnehme, so Bien.
Eine Operation kommt nur für Menschen in Frage, die nicht durch Medikamente anfallsfrei werden. Ausgeschlossen werden die, bei denen zu befürchten ist, dass sie durch den Eingriff eine Behinderung bekommen. „Es ist Zeit, dass wir die Indikation und die Kontraindikation für die Epilepsiechirurgie in Bethel neu überdenken“, stößt Dr. Thilo Kalbhenn, leitender Epilepsiechirurg im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld (EvKB), an. Er und sein Team hatten einen Patienten erfolgreich operiert, der jedoch als Folge eine Teillähmung eines Beins behielt. „Die Beinparese beeinflusst ihn nach eigenen Angaben jedoch nicht so sehr wie die Epilepsie“, so Dr. Kalbhenn. Die Epilepsiechirurgie gehe also in Richtung individualisierte Güterabwägung. Das sei eine Kehrtwende in Bethel.
Bruni Außendorf,
Zentrale Öffentlichkeitsarbeit Bethel
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