Frühe OP verhindert dauerhaft Anfälle

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Epilepsie-Patienten, die mit Medikamenten nicht anfallsfrei werden, kann u. U. eine Gehirnoperation helfen. Dies zeigt die Auswertung der Daten von knapp 10.000 Patienten, die im Herbst 2017 unter Federführung deutscher Neuropathologen, Neurologen und Neurochirurgen in der renommierten Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde. Voraussetzung ist, dass die Hirnregion, von der die Anfälle ausgehen, sicher identifiziert und komplett entfernt wird.

 

Im Schnitt erreichen 6 von 10 Patienten durch einen Eingriff Anfallsfreiheit. Durchschnittlich bekommen Patienten aber 16 Jahre lang Medikamente, bevor sie operiert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) und die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) fordern angesichts dieser Zahlen ein Umdenken bei der Behandlung von Epilepsien. „Man sollte Patienten, die eine hohe Heilungschance haben, so früh wie möglich identifizieren und operieren“, kommentiert Prof. Jörg Wellmer, Leiter der Ruhr-Epileptologie an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Knappschaftskrankenhaus Bochum und Vorsitzender der Kommission Bildgebung der DGfE. Drei Viertel aller Epilepsien beginnen bereits im Kindesalter. Für diese Kinder geht viel berufliche und soziale Perspektive verloren, wenn eine Operation erst als letzte Behandlungsoption nach dem Scheitern jeder Arzneimitteltherapie betrachtet wird.

 

In Deutschland leben mehr als 600.000 Patienten mit Epilepsien. Die Krankheit hat viele Gesichter. Sie äußert sich in Gefühlsstörungen oder Zuckungen eines Arms oder Beins ohne Einschränkung des Bewusstseins über Anfälle mit Bewusstseinstrübung und nicht steuerbaren Handlungen bis hin zu Verkrampfungen und Zuckungen des ganzen Körpers. Den meisten Anfällen ist gemein, dass sie die Lebensqualität einschränken. Eine schlecht kontrollierte Epilepsie kann auch mit einem erhöhten Verletzungs- und Sterblichkeitsrisiko einhergehen. Mit Medikamenten gelingt es, etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen von ihren Anfällen zu befreien; bei den anderen wirken die sogenannten Antiepileptika nicht ausreichend, sie sind pharmakoresistent. Für diese Patienten bietet die Epilepsiechirurgie eine einzigartige Chance, die Epilepsie zu heilen.

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Datenbank als Spiegel der Behandlungspraxis in Europa

 

Die neue Studie liefert wertvolle Einblicke zur Behandlungspraxis und zu den Ergebnissen der Operationen. Die Daten stammen aus der European Epilepsy Brain Bank (EEBB). Seit 2006 werden dort die Informationen von operierten Patienten aus 36 Epilepsiezentren in

12 Ländern zentral erfasst; die Krankengeschichten erstrecken sich über ein Vierteljahrhundert. „Die jetzt unter der Federführung des Erlanger Neuropathologen und Leiters der EEBB, Prof.  Ingmar Blümcke, veröffentlichte Übersicht ist das Ergebnis einer konsequenten, interdisziplinären und internationalen Forschungsarbeit. Sie wird uns helfen, die Diagnostik und Behandlung unserer Patienten weiter zu verbessern“, kommentiert Prof.  Guido Reifenberger, Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

 

Langes Warten bis zur Operation

 

Gelingt es, den Ursprung der Anfälle mittels EEG, Kernspintomographie (MRT) und anderen Verfahren auf eine spezifische Hirnregion zurückzuführen, bestehen häufig gute Chancen, die Krankheit durch die Entfernung des betroffenen Gewebes zu heilen. Nach Schätzungen kommen dafür mehrere Zehntausend Patienten in Deutschland in Frage. „Allerdings zögern viele Ärzte und Betroffene, weil sie einen hirnchirurgischen Eingriff nur als letzten Ausweg betrachten“, erklärt Prof.  Holger Lerche, Koautor der Studie, Vorstand am Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung und Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie der Universität Tübingen. „Dabei machen moderne Operations-techniken die Epilepsiechirurgie in spezialisierten Zentren zu einem sehr sicheren Verfahren.“ Die Konsequenz der oft sehr späten Überweisung von Patienten an epilepsiechirurgische Zentren lässt sich aus der Studie ablesen: Die Zeit zwischen erstem Anfall und erfolgter Operation beträgt im Schnitt 16 Jahre.

65 % der Kinder anfallsfrei

 

Die Auswertung der EU-finanzierten Datenbank zeigt auch, dass 75,9 % aller Patienten ihren ersten Anfall vor dem 18. Lebensjahr erlitten. 72,5 % wurden im Erwachsenenalter operiert, nur 27,5 % bereits als Kinder. Männer und Frauen waren annähernd gleich häufig betroffen, und im Großteil der Fälle (71,9 %) wurde der Schläfenlappen operiert. Nach dem Eingriff waren 65 % aller operierten Kinder und 58 % der Erwachsenen von ihren Anfällen befreit. „Das belegt, welchen wichtigen Beitrag die Operation zur Behandlung dieses EU-weit relevanten Krankheitsbilds leisten kann“, sagt Prof.  Peter Vajkoczy,

Direktor der Neurochirurgischen Klinik der Charité, Berlin.

 

Nachweis epilepsieauslösender Hirnveränderungen

 

„Bei Patienten, die klar definierte epileptogene Läsionen aufweisen, sollte deren zuverlässige Identifikation mittels MRT vor einer möglichen Operation im Fokus der Diagnostik stehen“, betont Prof. Wellmer. In der Studie fand sich in 92,3 % der während der Operation entnommenen Gewebeproben geschädigtes Gewebe. Am häufigsten war mit 36,4 % ein Verlust von Nervenzellen im Hippocampus (Hippocampussklerose). Weitere häufige Diagnosen waren niedriggradige Tumoren (23,6 %) und Fehlbildungen der Hirnrinde (19,8 %). „Mit einem frühen Nachweis der hier gefundenen Läsionen werden sich die Zeiträume vom Beginn einer pharmakoresistenten Epilepsie bis zur erfolgreichen Epilepsiechirurgie verkürzen lassen“, so Prof. Wellmer.

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Konsequenz: früh zum Spezialisten

 

Nach der Definition der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) von 2010 gilt ein Patient, der nach Behandlungsversuchen mit mindestens zwei Medikamenten in ausreichender Dosierung nicht anfallsfrei wird, bereits als pharmakoresistent. Danach sinken die Chancen erheblich, mit weiteren Medikamenten noch eine Anfallsfreiheit zu erreichen. „An dieser Stelle sollte eine Überweisung an ein Epilepsiezentrum erfolgen, um die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs zu prüfen“, schlussfolgert Prof. Lerche.

 

Quelle: Pressemitteilung der DGN,

www.dgn.org

 

Weitere Infos:

 

www.dgn.org

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