Mein Weg mit Epilepsie

In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und uns zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen. Hier die Geschichte von Detlef Postler, der sich viermal deswegen operieren ließ und seine Erlebnisse in einem Buch verarbeitet hat – siehe Kasten am Ende des Artikels.

  

Persönliche Daten

 

Mein Name ist Detlef Postler. Ich bin 49 Jahre und als Staplerfahrer im Logistikzentrum von Europas größtem Mu-sikhaus tätig. Mein Tätigkeitsbereich ist die Zusammenstellung der Waren für die Kunden sowohl für den Versand als auch für die Direktabholung bei uns.

Quelle: © privat

Epilepsiediagnose

 

Bei mir wurde eine symptomatische fokale Epilepsie mit einfach-fokalen, komplex-fokalen und sekundär generalisierten Anfälle diagnostiziert. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch in Deutschland, der sich deswegen viermal einer Kopf-OP unterzogen hat…

 

Bei Beginn der Epilepsie hatte ich wenige Anfälle im Jahr, vor der ersten OP im Februar 1985 etwa 10 im Monat, vor der zweiten OP im Mai 1988 bis zu 70 im Monat. Danach war ich jahrelang anfallsfrei. 2004 traten erneut Anfälle auf mit steigender Tendenz. Vor der dritten OP im November 2007 kam ich auf 25 Anfälle im Monat, vor der vierten OP im Oktober 2008 auf bis zu vier im Monat. Meinen letzten Anfall hatte ich am 1. Oktober 2008.

 

Mein erster Anfall war im Alter von etwa zwölf Jahren auf dem Weg zur Schule, aber die Behandlung der Epilepsie begann erst im 15. Lebensjahr vor Eintritt in meine erste Berufsausbildung zum Dachdecker, aber ohne dass man von der Diagnose Epilepsie je gesprochen hatte. Ich musste nur Tabletten (Carbamazepin) nehmen, ohne zu wissen gegen welche Krankheit.

 

Erst 1985 bekam ich durch viele Untersuchungen die Diagnose „Tumor im Kopf“, aber auch da kein Wort über Epilepsie. Seit der ersten OP hatten sich die Anfälle etwas abgeschwächt in der Dauer. Während der Ausbildung häuften sie sich erneut und die Medikamentendosis wurde entsprechend erhöht. Kurz vor der zweiten OP hatte ich bis zu 70 Anfälle im Monat trotz der höchstmöglichen Dosierung von Carbamazepin.

 

Danach war ich anfallsfrei, nahm die Medikamente aber weiter. Nach einiger Zeit war ich der Meinung, dass ich diese nicht mehr brauchen würde und setzte die Tabletten eigenmächtig ohne Rücksprache mit dem Arzt ab. Die Anfälle stellten sich wieder ein und ich wurde erneut auf Antiepileptika eingestellt, aber ohne anfallsfrei zu werden. Es wurden annähernd 10 Medikamentenumstellungen durchgeführt, bis ich bei einer Kombination von drei Präparaten in relativ hochdosierten Tagesdosen angelangt war.

 

2007 folgte nach unzähligen Untersuchungen und Krankenhausaufenthalten die von mir angestrebte dritte OP mit der Option der vierten. Die Medikamente nahm ich weiter. Ein halbes Jahr war ich anfallsfrei, dann traten wieder Anfälle auf. 2008 unterzog ich mich einer vierten OP, die mir die endgültige Anfallsfreiheit schenkte. Seit 2009, genau ein Jahr nach der letzten OP, dosiere ich unter Aufsicht meines behandelnden Epileptologen, Dr. Kerling aus Rummelsberg, die Medikamente ab.

 

Mittlerweile bin ich bei nur einem Präparat in einer relativ geringen Dosis und werde dieses auch noch komplett absetzen, um mein restliches Leben ohne Antiepileptika zu bewältigen.

 

Wie war das in Ihrer Schulzeit? Wussten Ihre Mitschüler und/oder Lehrer von der Epilepsie oder hat Ihre Familie die Krankheit vor Ihrer Umwelt verheimlicht?

 

Ich hatte bis zum ersten Anfall in der Schule ein relativ normales Verhältnis zu den Schulkollegen und auch den Lehrern. Nach dem ersten Anfall begannen die Klassenkameraden, mich zu mobben. Auch andere Schüler außerhalb der Klasse wurden aufgehetzt, mich anzugehen. Niemand konnte die Anfälle einordnen, ich wusste selbst nichts davon, da ich während der Schulzeit in keiner ärztlichen Behandlung deswegen war.

Quelle: © pixabay.com

Hat die Epilepsie Sie in irgendeiner Form in Ihrer Kindheit eingeschränkt? Wurden Sie von Ihren Eltern mehr beaufsichtigt als andere Kinder?

 

Meine Familie konnte ebenfalls nichts mit diesen Anfällen anfangen, es wurde mir sogar unterstellt, dass ich diese nur spiele, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ich wurde deswegen auch nicht mehr beaufsichtigt als andere Kinder, sondern vielmehr aus der Familie ausgegrenzt, weil ich nicht ins Schema passte, und stand unter extremen Druck seitens meiner Mutter und Geschwister. Ich litt an einer für damalige Aufklärungsverhältnisse „seltsamen Krankheit“, die mich anders machte und man konnte diese (und mich) nicht einschätzen.

 

Haben sich andere Kinder über Sie lustig gemacht?

 

Nicht nur andere Kinder, auch Erwachsene machten sich über mich lustig. Sie spielten in meinem Beisein Anfälle nach, wechselten die Straßenseite, wenn ich ihnen entgegenkam, und sprachen die Worte und Sätze nach, die ich unkontrolliert während eines Anfalls von mir gab.

 

Hatten Sie schon vor Ihrer Erkrankung von Epilepsie gehört? Haben Sie bereits Erfahrungen damit verbunden?

 

Nein, weder noch. 1985, sechs Monate nach der ersten Kopfoperation beim Eintritt ins Berufsbildungswerk Rummelsberg, hörte ich von Auszubildenden zum ersten Mal das Wort Epilepsie, womit ich aber nichts anfangen konnte. Erst mit der Zeit realisierte ich, was diese Krankheit bedeutete.

 

Welche Berufsausbildung haben Sie absolviert? Konnten Sie Ihren Berufswunsch verwirklichen oder haben Sie Abstriche gemacht?

 

Als Jugendlicher habe ich drei Berufsausbildungen wegen meiner Epilepsie abbrechen müssen.

 

Die erste Ausbildung zum Dachdecker war, ohne die Epilepsie überhaupt zu realisieren, zu gefährlich für mich und ich habe diese nach einem Jahr beendet. Die Zweite zum Kaufmann im Einzelhandel in einem Farbengeschäft musste ich aufgrund einer Anfallshäufung abbrechen. Die Dritte war eine Ausbildung zum Technischen Zeichner im Berufsbildungswerk Rummelsberg. Auch diese brach ich wegen einer weiteren Anfallshäufung (bis zu 70 im Monat) ab. 2004 begann ich dann eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel im Lebensmittelbereich und habe diese dann bereits nach zwei Jahren mit dem Kaufmannsbrief absolviert.

 

Wer oder was hat Sie bei der Berufsfindung am besten unterstützt?

 

Die Berufsberatung des Arbeitsamtes unterstützte mich zwar, half mir aber leider nicht weiter. Ich fand meine Ausbildungsstellen jeweils durch Eigeninitiative.

Quelle: © pixabay.com

Welches war für Sie persönlich die größte Einschränkung durch die Erkrankung?

 

Meine größte Einschränkung war, dass ich mich aufgrund der Anfallsart und deren Auswirkungen nicht frei bewegen konnte. Für mich war es lebensgefährlich, alleine auf die Straße zu gehen, weil ich während eines Anfalls unkontrolliert umhergelaufen bin. Deswegen war ich immer am Rand einer Gruppe, da ich bei Beginn eines Anfalls den Drang hatte, zu flüchten, so dass ihn niemand mitbekommt. Das setzte mich aber sofort wieder der Gefahr aus, z. B. in ein Auto zu laufen, weil ich allein war.

 

Da ich in einem Dorf aufgewachsen bin und es keine Busverbindung am Wochenende gab, hatte ich auch keine Möglichkeit, abends mal auszugehen. Im Ort ging man mir aus dem Weg – ich hatte weder Freunde noch eine Familie, die mir weiterhalf. Dort wurde ich ebenfalls mehr oder weniger an den Rand gedrückt und von der Familiengemeinschaft ausgeschlossen.

 

Was war Ihr negativstes Erlebnis in Bezug auf Epilepsie?

 

Negativ war für mich, dass mein Gedächtnis im Laufe der Jahre durch den ständigen Medikamentenwechsel und die Dosiserhöhungen immer mehr gelitten hatte und ich bei jeder Umstellung eine Wesensveränderung durchstehen musste. Dadurch wurde ich für meine Umwelt und für mich selbst nicht mehr einschätzbar – was mich noch einsamer machte. Mein negativstes Erlebnis war, als ich nach der vierten OP aufgewacht bin, überhaupt kein Kurzzeitgedächtnis mehr hatte und nicht mehr in der Lage war, sowohl andere Menschen als auch mich selbst zu beurteilen. Ich konnte vieles nicht mehr, was ich zuvor ohne Probleme tun konnte. Mehrere Dinge gleichzeitig machen, um nur ein Beispiel zu nennen.

 

Verbinden Sie mit der Krankheit auch etwas Positives?

 

Ich habe gelernt, Menschen einzuschätzen und zu erkennen, wer es ehrlich meint und wer nicht. Durch diese Krankheit habe ich gespürt, wie viel Kraft ich aufbringen kann, wenn ich etwas erreichen wollte/will. Ich habe Durchhaltevermögen und Geduld gelernt. Die Erkrankung hat mich zu einem unheimlich starken Menschen gemacht, der über seine Kräfte hinausgewachsen ist, um das zu bekommen, was er sich immer gewünscht hat: Gesundheit!

 

Doris Wittig-Moßner, Nürnberg

 

Über seine Erfahrungen mit Epilepsie und seine vier Kopf-OPs hat Detlef Postler ein Buch mit dem Titel „Schwarz-weiß“ geschrieben. Die Buchbesprechung dazu finden Sie hier

 

Auch TV Oberfranken hat bereits über ihn berichtet:

www.tvo.de

→ Stichwortsuche: Detlef Postler