Mein Weg mit Epilepsie

© pixabay.com

In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und uns zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen.

Hier die Geschichte von Thorsten Hahn, 50 Jahre, der als Verwaltungsangestellter tätig ist.

 

Diagnose

Art der Anfälle:

Zu Anfang hatte ich Grand mal-Anfälle, die mit Verkrampfungen und Bewusst-losigkeit von drei Minuten einhergingen. Ich merkte den Anfall aufgrund einer Aura immer. Nach einer OP (die nichts mit der Epilepsie zu hatte) änderte sich die Form. Während des Anfalls bekam ich mit, wenn jemand neben mir stand, einmal telefonierte ich im Anfall. Ein anderes Mal flog ein Teller mit einer Waffel zu Boden – und ich machte mir Sorgen um den Teller. Beim letzten Anfall nahm ich das Glas meiner Frau und trank ihr Getränk. Da es anders schmeckte, wunderte ich mich und mir war klar, was passiert war.

 

Häufigkeit der Anfälle:

Bis zu der OP kann ich sagen alle drei Jahre mal, jetzt ein- bis dreimal im Jahr.

 

Erster Anfall:

Im Alter von 6 Monaten

 

Behandlung:

Bis heute bin ich medikamentös gut eingestellt.

Wie war das in der Schulzeit? Wussten die Mitschüler und/oder Lehrer von der Epilepsie oder wurde die Krankheit verheimlicht?

Ich war zu Anfang für ein Jahr auf einer Vorschule und im Anschluss daran besuchte ich ganz normal von der Grundschule an den Unterricht, d. h. Grundschule und Hauptschule. Im Anschluss daran versuchte ich mich an einem Realschulabschluss, der mir aber verwehrt blieb. So habe ich heute einen erweiterten Hauptschulabschluss.

 

Da ich selber als Kind nicht wusste, was ich hatte, denke ich, dass meine Eltern meinen Mitschülern nichts gesagt haben. Ob die Lehrer informiert waren, weiß ich nicht. Aber generell hat meine Familie alles, was mit Krankheiten zu tun hat, verheimlicht – natürlich auch die Epilepsie.

 

Hat die Epilepsie Sie in irgendeiner Form in Ihrer Kindheit eingeschränkt?

Da ich damals Grand mal-Anfälle hatte, musste ich natürlich mit Einschränkungen leben. Glücklicherweise hatte ich zu dem Zeitpunkt eine Aura – sonst würde es, denke ich mir, mich nicht mehr geben. Bei einem Anfall im Schwimmbecken waren 3,20 m unter mir ...

 

Wurden Sie von Ihren Eltern mehr beaufsichtigt als andere Kinder?

Ja, und ich durfte manches auch nicht machen, weil es angeblich zu gefährlich war. Irgendwelche handwerklichen Arbeiten wurden mir z. B. nicht gezeigt.

 

Wie war das mit „lange Aufbleiben“ am Wochenende oder Übernachten bei Freunden?

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei Freunden jemals übernachtet hätte, langes Aufbleiben gab es zu bestimmten Anlässen, sonst aber nicht.

© pixabay.com

Waren Klassenfahrten und Ausflüge ein Problem oder konnten Sie immer überall mitfahren?

Ich kann mich an eine Klassenfahrt erinnern, da war zwar der Lehrer informiert, sonst aber niemand. Und dann wurde ich so krank, dass meine Eltern mich leider abholen mussten.

 

Welche Berufsausbildung haben Sie absolviert? Konnten Sie Ihren Berufswunsch verwirklichen oder haben Sie Abstriche gemacht?

Aufgrund meiner Epilepsie habe ich in einem Berufsbildungswerk die Ausbildung zur Bürokraft gemacht. Meinen eigentlichen Berufswunsch konnte ich aufgrund des Betriebsarztes der Post nicht realisieren. Mein Hauptschulabschluss hätte für den einfachen Dienst im Bereich der Postzustellung genügt, aber er verweigerte dies mit dem Hinweis darauf, dass Post austragen und „Straßenarbeit“ wegen meiner Epilepsie nicht möglich wäre. Da bereits mein Vater bei der Post gearbeitet hatte, war die Stelle für mich eigentlich schon sicher gewesen. Wenn ich den Realschulabschluss gehabt hätte, der für den mittleren Dienst und die Arbeit im Büro notwendig gewesen wäre, hätte ich wiederkommen können.

Wer oder was hat Sie bei der Berufsfindung am besten unterstützt?

Unterstützt? Na ja … Nachdem das mit der Post nicht geklappt hat, kam dann von unserem damaligen Kanzler Kohl die Aussage: „Für jeden ist ein Ausbildungsplatz vorhanden.“ Da habe ich mir gedacht, wenn Du das sagst, besorge mir einen und habe hingeschrieben. Da war ich 18 Jahre. Als Antwort bekam ich zu hören, dass die Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel eingeschaltet werden würde, wo ich zu diesem Zeitpunkt noch wohnte. Die IHK sollte mir einen Praktikumsplatz besorgen. Doch es tat sich null.

 

Also Runde zwei. Nochmal Herrn Kohl und Herrn Blüm angeschrieben. Und nun kam etwas ins Rollen: Über die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg wurde mein zuständiges Arbeitsamt in Kassel angeschrieben. Ich bekam Unterlagen für eine Berufsfindung im Berufsbildungswerk in Hannover zugeschickt.

 

Den Berufsberater, der das ausfüllen musste, bekam ich mit dem Kommentar „da schreiben Sie wohl gerne hin“ überhaupt nicht zu sehen.

 

Meine Berufsfindung begann ich dann im Dezember 1989 in Hannover, meine eigentliche Ausbildung im März 1991 in Rummelsberg. Dort durchlief ich die dreijährige Ausbildung zur Bürokraft.

 

Während meiner Ausbildung lernte ich meine heutige Frau kennen. Mit ihrer Hilfe bekam ich im März 1994 meinen Arbeitsplatz. Die eigentliche Bewerberin hatte drei Tage vorher abgesagt und die Stelle war noch nicht ausgeschrieben. Ich muss aber dazu sagen, ich war der einzige in meiner Ausbildungsklasse, der mit nicht bestandener Abschluss-prüfung (diese habe ich ein halbes Jahr später erfolgreich nachgeholt) eine Stelle hatte. Das war im nächsten Jahr noch Gesprächsstoff. x

 

Was ist für Sie persönlich die größte Einschränkung durch die Erkrankung?

Ich sage es mal so: Wegen des Flackerlichts war ich nie in einer Disko. Wer weiß, wie mir das gefallen hätte.

© pixabay.com

Verbinden Sie mit der Erkrankung auch etwas Positives?

Während der Ausbildung im Berufsbildungswerk lernte ich meine heutige Frau kennen. Ich war damals im zweiten Lehrjahr und sie fing neu an. So konnte ich ihr sehr gut helfen. Daraus entwickelte sich zuerst eine Freundschaft, inzwischen sind wir 20 Jahre verheiratet.

 

Was war Ihr negativstes Erlebnis in Bezug auf Epilepsie?

Als einzig Negatives kann ich sagen: Da ich ja nie in einer Disko und zudem sehr schüchtern war, hatte ich keine Freundin. Obwohl mir in meiner Schulzeit schon die eine oder andere gefallen hat und ich sehr gerne eine Freundschaft eingegangen wäre.

 

Was war Ihr positivstes Erlebnis in Bezug auf die Erkrankung?

Trotz meiner Epilepsie bin ich mit meiner Frau bis heute zusammen. Als ich 1993 wegen einer Leistenbruch-OP im Krankenhaus war, ging die Krankenschwester automatisch davon aus, dass sie sich mit meiner Erkrankung auskennt, weil wir ja zusammen sind. Da wusste ich nicht, ob es am nächsten Tag noch so ist, denn ich hatte ihr nichts davon erzählt. Aber sie kam wieder :-)

 

Thorsten Hahn

zusammengefasst von Doris Wittig-Moßner

 

Anmerkung:

Thorsten Hahn ist seit vielen Jahren Leiter einer Selbsthilfegruppe in Nürnberg, die im Jahr 2019 ihr 10-jähriges Bestehen feiern konnte.

 

Kontakt:

Epilepsieselbsthilfegruppe

Jung & Alt

Postfach 210313

90121 Nürnberg

Tel.: 0151 21769306

Telefonisch erreichbar von Montag bis Freitag 08:00-18:30 Uhr

info(at)epilepsie-jungundalt-nuernberg.de

www.epilepsie-jungundalt-nuernberg.de