Oskar Killinger Stiftung

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gemeinsam gegen den plötzlichen Epilepsietod (SUDEP)

 

In der Nacht vom 31. August auf den 1. September 2019 starb unser Sohn  Oskar mit nur 14 Jahren am plötzlichen Epilepsietod (SUDEP, Sudden Unexpected Death in Epilepsy). 2020 haben wir, seine Eltern, die Oskar Killinger Stiftung gegründet mit dem Ziel, anderen Familien dabei zu helfen, sinnlose und vermeidbare Todesfälle wie den von Oskar zu verhindern.

 

Oskar wollte das letzte August-Wochenende 2019 bei seinen Großeltern verbringen. Sein 93-jähriger Großvater führte mit ihm noch am Samstagabend ein Gespräch über die aktuelle politische Lage. Er fand seinen geliebten Enkel am Sonntagmorgen, als er ihn zum Rudertraining wecken wollte, tot im Bett.

 

2016 hatte Oskar im Sommerurlaub in der Türkei bei einem Segeltörn morgens gegen 05:00 Uhr erstmals einen schweren tonisch-klonischen Anfall erlitten. Im Anschluss an den Anfall wurde er ganz blau im Gesicht und schien nicht mehr zu atmen. Wir hatten Todesangst um ihn, schüttelten ihn, schrien ihn an und schütteten kaltes Wasser über ihn. In einem nahegelegenen Krankenhaus wurde nach umfangreichen Untersuchungen (MRT, EEG) eine Epilepsie diagnostiziert.

 

Auf Empfehlung von Ärzten wandten wir uns nach unserer Rückkehr an die Neuropädiatrie eines Hamburger Kinderkrankenhauses. Die Epilepsiediagnose der türkischen Ärztin wurde bestätigt. Oskars Arzt verschrieb das Medikament Oxcarbazepin, das in Dosis und Wirkstoff während der gesamten Behandlungsdauer unverändert blieb.

 

Im Erstgespräch im Herbst 2016 fragten wir den Neuropädiater, ob unser Kind an einem epileptischen Anfall sterben könne. Der Arzt wies auf die Gefahr tödlicher Unfälle während eines Anfalls hin, z. B. beim Schwimmen oder Fahrradfahren sowie auf die sehr seltenen Fälle des Status epilepticus. Auf unsere Rückfrage „Es sah aber so aus, als ob er stirbt“ sagte er: „Anfälle sehen schrecklich aus, es sieht aus, als ob man stirbt. Die Grundfunktionen Atmung und Kreislauf laufen aber weiter.“ Wir sollten uns keine Sorgen machen.

 

Über SUDEP und entsprechende Vorsorgemaßnahmen wurden wir nicht informiert, obwohl SUDEP zwischen 5 und 30 % aller vorzeitigen Todesfälle von Epilepsie-Patienten verursacht (vgl. Pensel/Surges, Plötzlicher, unerwarteter Tod bei Epilepsie: Mechanismen und Prävention, in: Klin Neurophysiol 2018; 49: 133–142 m.w.N.). Bei einem SUDEP laufen Atmung und Kreislauf nach einem Anfall gerade nicht weiter.

 

Oskars Leben wurde durch die Erkrankung kaum beeinträchtigt, wie wir dachten. Er nahm die ihm verordneten Medikamente regelmäßig ein, kam mit der Schule gut klar, traf sich mit seinen Freunden und ging weiter seinen Hobbys nach, darunter das Rudern. Er nahm an Klassenreisen teil, übernachtete bei Freunden, war gesellig und ein Spitzenskiläufer. Er war nicht vollständig anfallsfrei. Alles, was uns auffiel oder Sorgen bereitete, meldeten wir dem Arzt telefonisch oder per Mail weiter. Wenige Male erlebten wir bei Oskar einen generalisierten tonisch-klonischen Anfall nachts. Wir wussten nicht, dass diese Art von Anfällen ein deutlich erhöhtes Sterberisiko beinhaltet. Wir wussten auch nicht, dass man diesem gefährlichen Anfallsgeschehen diagnostisch weiter hätte nachgehen müssen. Da Oskar auf Empfehlung des Arztes auch weiterhin meistens alleine schlief, wissen wir letztlich nicht, wie stark ausgeprägt sein Anfallsgeschehen überhaupt war bzw. wie es sich im Laufe der Jahre entwickelte. Wir wurden zweimal jährlich zur Überprüfung ins Krankenhaus einbestellt. Hier wurde ein EEG durchgeführt und dann das Ergebnis kurz mit uns erörtert.

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Bei der halbjährlichen Untersuchung Anfang 2019 teilte der Arzt uns nach dem EEG mit, es gäbe Anzeichen dafür, dass sich Oskars Epilepsie zurückentwickeln würde. Möglicherweise könne Oskar Mitte des Jahres die Medikamente absetzen. Oskar freute sich unbändig, und wir auch. Wir dachten, das Schlimmste wäre überstanden. Wenige Tage später hatte Oskar einen schweren nächtlichen Anfall. Ein Absetzen der Medikamente war nicht mehr möglich.

 

Im Sommer 2019 kam es zu weiteren Anfällen, die wir dem Arzt meldeten. Mitte August 2019 – nur 2 Wochen vor seinem Tod – hatte Oskar einen Arzttermin. Dort stellte der Arzt fest, dass es vermehrte epileptische Aktivitäten in Oskars Gehirn gab. Er teilte uns und Oskar mit, dass die Medikamente längerfristig doch nicht abgesetzt werden könnten. Eine Veränderung der Medikation oder eine Überwachung des Anfallsgeschehens zog der Arzt nicht in Betracht.

 

In der Nacht vom 31. August auf den 1. September 2019 starb Oskar.

 

Erst nach seinem Tod erfuhren wir von SUDEP. Erst nach seinem Tod lernten wir, dass Oskar – insbesondere aufgrund der nächtlichen Anfälle – ein erhöhtes SUDEP-Risiko hatte. Wir lernten auch die kaum verkraftbare Tatsache, dass wir seinen Tod durch Überwachungsmaßnahmen und rechtzeitige Erste-Hilfe-Maßnahmen höchstwahrscheinlich hätten verhindern können. Er wäre sicher nicht allein im Zimmer bei seinen hilflosen Großeltern gestorben.

 

Wir konnten nicht glauben, was wir lernten. Wir konnten nicht glauben, dass unser Arzt uns nicht darauf hingewiesen hatte, dass SUDEP mit die häufigste Epilepsie-assoziierte Todesursache ist. Wir stellten unsere Erinnerung in Frage. In einem Telefonat mit dem Arzt un-mittelbar nach der Todesnachricht fragten wir ihn, ob er uns tatsächlich nicht über SUDEP aufgeklärt hatte. Der Arzt bestätigte dies. Er sagte: „Solche Kinder wie Oskar sterben nicht an SUDEP. Ich würde das immer wieder so machen.“

 

Wir mussten nach seinem Tod lernen, dass wir kein Einzelfall sind. Ebenso wie uns geht es zahlreichen anderen Eltern und Angehörigen, in Deutschland, in Europa, und weltweit. Jüngeren wissenschaftlichen Erhebungen (2016) zufolge klären in Deutschland, Österreich und der Schweiz über 90 % der Neurologen, Neuropädiater und Kinderärzte nur einen ganz geringen Prozentsatz ihrer epilepsiekranken Patienten – nämlich die sogenannten Hochrisikogruppen – über die Gefahr eines plötzlichen Todes auf. Dies entspricht nicht den aktuellen fachärztlichen Empfehlungen.

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Wir haben seit Oskars Tod mit Ärzten und Neurologen gesprochen. Viele Ärzte scheuen sich, das SUDEP-Risiko anzusprechen. Einerseits möchten sie die Personen mit einem vermeintlich geringen Risiko nicht in Panik versetzen, andererseits scheuen sie den Aufwand, der mit der Mehrberatung über das SUDEP-Risiko und den Nachfragen verbunden ist. Fakt ist aber, dass jeder Mensch mit Epilepsie – selbst mit einer sogenannten benignen (= gutartigen) Epilepsie – an SUDEP versterben kann und das Risiko bereits bei wenigen (nächtlichen) generalisierten tonisch-klonischen Anfällen im Jahr erheblich steigt. Wissen rettet hier Leben. Nur umfassend aufgeklärte Patienten können eine adäquate Risikovorsorge treffen und für sich entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten möchten.

 

Dieses Anliegen entspricht einem allgemeinen Trend. Immer mehr SUDEP-Betroffene melden sich zu Wort. Immer mehr Neurologen sprechen sich für eine umfassende Aufklärung aller Epilepsie-Patienten aus. Dieses Umdenken möchten wir unterstützen und vorantreiben. Auch im epiKurier wurde bereits über SUDEP informiert (z. B. in Ausgabe 4/2018). Solche Beiträge sind ungemein wichtig.

 

Die Oskar Killinger Stiftung hat das Ziel, die Aufklärung über SUDEP nachhaltig zu verbessern – in der Öffentlichkeit, in den Medien, in den Schulen. So wollen wir einen Beitrag zur Reduzierung der SUDEP-Fallzahlen leisten. Derzeit bauen wir unter www.sudep.de ine Informationsplattform rund um das Thema SUDEP und Epilepsie auf. Die Seite wird in Kürze online gehen. Wir werden hierbei wissenschaftlich beraten von Prof. Dr. Rainer Surges und seinem Ärzteteam von der Klinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn. Auf www.sudep.de sollen Informationen gebündelt werden – für Menschen mit Epilepsie und Ärzte gleichermaßen.

 

Bitte melden Sie sich bei uns, wenn Sie dabei helfen möchten, plötzliche Epilepsietode zu verhindern – sei es als Arzt, als Forscher, als Lehrer, Angehöriger oder als von einer Epilepsieerkrankung betroffener Mensch. Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns.

 

SUDEP ist in vielen Fällen vermeidbar. Informieren Sie sich. Sprechen Sie über SUDEP. Löchern Sie Ihre Ärzte. Lassen Sie sich vom Arzt ein technisches Hilfsmittel für die nächtliche Überwachung verschreiben. Und fragen Sie uns, wenn Sie bei Ihrem Arzt nicht weiterkommen. Schützen Sie Ihre Liebsten.

 

In Gedenken an unseren Sohn Oskar und die vielen anderen plötzlich verstorbenen Menschen mit Epilepsie.

Dr. Iris-Maria Killinger und

Dr. Johann Killinger

 

Kontakt:

www.sudep.de

stop.sudep@oskarkillinger.org