Postmortale Untersuchung bei SUDEP

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Dass Epilepsien gerade bei jungen Leuten zu plötzlichen Todesfällen führen können, ist eine Erkenntnis, die von der modernen Medizin erst nach und nach zur Kenntnis genommen wurde, sich mittlerweile aber durchgesetzt hat. Die anfängliche Zurückhaltung der klinischen Medizin, plötzliche und unerwartete Todesfälle bei Epilepsie (Sudden Unexpected Death in Epilepsy – SUDEP) als relevantes Problem wahrzunehmen, mag auch darin begründet sein, dass diese häufig nicht beobachtet werden und klinisch tätigen Ärzten kaum jemals begegnen, sondern in erster Linie der Rechtsmedizin. Während die Anzahl der bei der medizinischen Literaturdatenbank PubMed zu dem Suchbegriff SUDEP gelisteten Publikationen im Jahr 2000 lediglich bei 18 lag, waren es 231 im Jahr 2021.

 

Risikofaktoren für einen SUDEP sind männliches Geschlecht, eine lange Anfallsanamnese mit häufigen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen, die auch mit einer Polymedikation nur schwer zu kontrollieren sind bzw. gar nicht medikamentös behandelt sind sowie chronischer Alkoholkonsum.

 

Menschen mit Epilepsie haben im Vergleich mit Personen ohne Epilepsie ein 24-fach höheres Risiko, einen plötzlichen, unerwarteten Tod zu erleiden. Die jährliche Häufigkeit eines SUDEP im engeren Sinn variiert aufgrund unterschiedlicher Ansätze in den verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen zwischen 0,09 und 9 Fällen je 1.000 Patienten. Der SUDEP tritt zumeist unbeobachtet und im Schlaf nach einem Anfall wohl aufgrund anfallsassoziierter Störungen der Regulation von Herz-Kreislauf- und/oder Atemfunktion auf, was die Diagnosestellung sehr schwierig macht.

 

Wenn in einem rechtsmedizinischen Institut der ungeklärte Tod eines jungen Menschen zu untersuchen ist, ist es sehr hilfreich, detaillierte anamnestische Angaben über Art und Behandlung eines evtl. bestehenden Krampfleidens zur Verfügung gestellt zu bekommen. Leider ist die Informationslage in der Realität meist spärlich. Der SUDEP ist eine Ausschlussdiagnose, wobei es durchaus hinweisende Befunde wie schweres Hirnödem, Ektasie der Hohlorgane oder einen Zungenbiss geben kann. Herzerkrankungen sollen mit SUDEP assoziiert sein. Letztlich beruht die Diagnosestellung auf einer synoptischen Würdigung von Krankheitsgeschichte, Todesumständen, Obduktionsbefunden und der Abwesenheit einer alternativen Todesursache.

 

Die britische Neurologin Lina Nashef und ihr Team haben basierend auf diesen Kriterien eine Klassifikation der Todesfälle mit den Kategorien „definitiv“, „wahrscheinlich“ und „möglich“ vorgeschlagen, was der Unsicherheit bei der Diagnosestellung Rechnung trägt und dabei helfen kann, die wahre Dimension von SUDEP-Fällen richtig einzuschätzen, weil auf diese Weise auch Verdachtsfälle einbezogen werden können. In diesem Zusammenhang wäre es wünschenswert, ein nationales Register zur Erfassung und Charakterisierung von SUDEP-Fällen einzurichten, in das Daten aus rechtsmedizinischen und pathologischen Instituten eingestellt werden können. Ein derartiges Register könnte auch dabei helfen, morphologische und epidemiologische Studien zum SUDEP zu koordinieren.

 

Die Obduktion kann zwar einen SUDEP nicht beweisen, ist aber dennoch unerlässlich für die Diagnosestellung, weil dafür alternative Todesursachen, wie zum Beispiel eine unerkannte Herzerkrankung oder eine Intoxikation, ausgeschlossen werden müssen. Auch das Gehirn sollte in die postmortale Untersuchung miteinbezogen werden. Zuständig hierfür ist die Neuropathologie. Es gibt mikroskopische Befunde des Zentralnervensystems, die zwar einen tödlichen Krampfanfall nicht beweisen, die aber zu einer Epilepsie passen (z. B. die sogenannte Hippocampus-Sklerose). Dagegen gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass Hirntumore häufiger bei SUDEP gefunden werden.

 

Eine Obduktion kann im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft beantragt und von einem Richter angeordnet werden. Dies ist bei plötzlichen Todesfällen junger Menschen meist Standard, da der Todesfall in solchen Fällen primär unklar ist, und weil die äußere Leichenschau allein nicht ausreicht, um ein Fremdverschulden auszuschließen. In diesem Fall wird ein rechtsmedizinisches Institut mit der Durchführung der Leichenöffnung beauftragt. Wenn die Ermittlungsbehörden keinen Anhalt für ein Fremdverschulden sehen und daher keine Obduktion in Auftrag geben, können die Angehörigen eine Obduktion in einem pathologischen oder rechtsmedizinischen Institut in Auftrag geben, die dann allerdings meist kostenpflichtig ist.

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Ein generelles Unbehagen bei dem Gedanken daran, dass ein naher Angehöriger einer Obduktion unterzogen wird, ist verbreitet. Die Vorstellungen darüber, was dabei passiert, sind bei nicht medizinisch vorgebildeten Menschen diffus und beinhalten irrationale Ängste, so zum Beispiel, dass der Leichnam gleichsam „auseinandergenommen“ wird, was nicht der Fall ist. Eine Obduktion ist im Grunde eine große postmortale Operation, bei der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle geöffnet werden. Die darin enthaltenen Organe werden entnommen, präpariert und inspiziert. Nach der Obduktion werden die Organe in der Regel vollständig zurückgegeben – es werden lediglich kleine Proben für mikroskopische Untersuchungen aufbewahrt.

 

Speziell bei dem Verdacht auf SUDEP ist es allerdings notwendig, dass das Gehirn für die neuropathologische Untersuchung vorbereitet wird, was bedeutet, dass es wenigstens zwei Wochen in gepuffertem Formaldehyd lagern muss, bevor die eigentliche Untersuchung beginnen kann. Wenn die Angehörigen eine Bestattung des Hirngewebes wünschen, kann dies ggf. nachträglich zum Leichnam gegeben werden.

 

Die Obduktion endet damit, dass der Leichnam verschlossen und gereinigt wird. Bei einer normalen Aufbahrung

wird man die Obduktionsfolgen nicht erkennen können, da die Nähte unter der Kleidung bzw. im Kopfkissen verborgen sind.

 

Zum Standard der Obduktion muss neben der feingeweblichen (histologischen) Untersuchung auch eine toxikologische Untersuchung gehören, für die zum Beispiel postmortal gewonnene Blut- und Urinproben verwendet werden. Zum einen ist es dadurch möglich, den Blutspiegel krampfvorbeugender Medikamente (Antikonvulsiva) zu bestimmen. Zum anderen muss eine Intoxikation durch Drogen oder Medikamente als konkurrierende Todesursache ausgeschlossen werden. Eine genetische Untersuchung im Hinblick auf ggf. familiär gehäuft auftretende Fehler im Erbgut, die eine Epilepsie hervorrufen können, kann sehr kostspielig sein und ist bisher Einzelfällen vorbehalten.

 

Der SUDEP stellt mit jedem einzelnen Fall eine große Herausforderung für Rechtsmedizin und Pathologie dar. Die enge Zusammenarbeit von Rechtsmedizinern, (Neuro-)Pathologen, ggf. Humangenetikern, klinischen Ärzten, Angehörigen, Toxikologen und Polizei erlaubt es, einen SUDEP mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit diagnostizieren oder ausschließen zu können, was für die Hinterbliebenen von hoher Bedeutung ist. Um das Schicksal SUDEP möglichst vielen Patienten und deren Angehörigen zu ersparen, ist es notwendig, diese Todesfälle so sorgfältig wie möglich

zu untersuchen.

Jan-Peter Sperhake und Jakob Matschke

 

Kontakt:

Prof. Dr. med. Jan-Peter Sperhake

Institut für Rechtsmedizin

Universitätsklinikum Hamburg-

Eppendorf

Butenfeld 34

22529 Hamburg

sperhake(at)uke.de

 

Priv.-Doz. Dr. med. Jakob Matschke

Institut für Neuropathologie

Universitätsklinikum Hamburg-

Eppendorf

Martinistr. 52

20246 Hamburg

matschke(at)uke.de

 

 

Ausgewählte Literatur

Langan Y. Sudden unexpected death in epilepsy (SUDEP): risk factors and case control studies. Seizure. 2000; 9(3):179-83.

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Nascimento FA, Tseng ZH, Palmiere C, et al. Pulmonary and cardiac pathology in

Nashef L, So EL, Ryvlin P, Tomson T. Unifying the definitions of sudden unexpected death in epilepsy. Epilepsia. 2012; 53(2):227-33.

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Tomson T, Nashef L, Ryvlin P: Sudden unexpected death in epilepsy: current knowledge

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Ficker DM et al.: Population-based study of the incidence of sudden unexplained death in epilepsy. Neurology 1998, 51: 1270-1274