Versorgung epilepsiekranker Kinder

Klinik für Neuropädiatrie und Neurologische Rehabilitation, Epilepsiezentrum für Kinder und Jugendliche, Behandlungszentrum Vogtareuth.

Für Eltern gibt es kaum ein schockierenderes Erlebnis, als völlig unerwartet Zeuge eines ersten Grand mal-Anfalles ihres bis dahin völlig gesunden Kindes zu werden. Die Beobachtung eines solchen Geschehens mit heftigsten Zuckungen und Bewußtlosigkeit, eventuell auch einer bläulichen Verfärbung von Gesicht und Händen, manchmal auch Urin- und Stuhlabgang, weckt tiefste Ängste und Befürchtungen.

Eltern eines Kindes, das sich aufgrund einer Schädigung des Gehirns, sei es durch eine angeborene Fehlbildung, durch Sauerstoffmangel unter der Geburt, eines Unfalls oder einer Entzündung körperlich und eventuell auch geistig nicht altersentsprechend entwickelt, sind oft wenig beunruhigt, wenn sie immer wieder, d.h. täglich mehrere Male, Zustände an ihrem Kind beobachten, bei welchem die Augenlider kurz flackern oder die Augen kurzzeitig rhythmisch nach einer Seite ausweichen oder ihr Kind Zustände von "Verträumtheiten" zeigt. Diese so harmlos erscheinenden Symptome können Ausdruck einer zusätzlichen und äußerst ernsten epileptischen Erkrankung sein, deren Erkennen und Behandlung maßgeblich für die geistige Entwicklung des Kindes sein mag.

Hingegen haben Kinder und Jugendliche mit den so erschreckend heftig ausschauenden Grand mal-Anfällen (und keine weiteren Erkrankungen des zentralen Nervensystems) eine exzellente Prognose bezüglich ihrer weiteren mentalen Entwicklung.

Diese beiden Beispiele verdeutlichen das große Spektrum der klinischen Erscheinungen von epileptischen Anfällen und auch, wie schwierig eine richtige Einordnung sein kann.

Weitere Besonderheiten von epileptischen Anfällen und Epilepsien im Kindesalter sind: Säuglinge und Kleinkinder berichten ihre Auren nicht, wodurch die diagnostische Zuordnung ihrer Erkrankung oft erschwert wird. Anfälle haben für das unreife Gehirn eine wesentlich andere Bedeutung als für das Gehirn des Erwachsenen. Kinder haben häufig Epilepsiesyndrome, bei welchen die Anfälle durch viele gängige Antiepileptika verschlechtert werden - das Erkennen dieser Epilepsiesyndrome bereitet oft große Schwierigkeiten.

Fehlbildungen der grauen Hirnsubstanz, die nach den Erkenntnissen der letzten 10 Jahre so häufig die Ursache von schwer behandelbaren epileptischen Anfällen sind, lassen sich am unreifen Gehirn oft nur schwer oder nicht im Kernspintomogramm erkennen.

Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten haben sich in den letzten 10 bis 15 Jahren geradezu sprunghaft verbessert:

  • durch immer besser werdende Kernspintomographien,
  • durch neue Erkenntnisse im Bereich der Genetik,
  • durch die Einführung einer Reihe von neuen Medikamenten,
  • durch die Einführung epilepsiechirurgischer Maßnahmen - auch schon im Kleinkindesalter.


Die "Versorgung epilepsiekranker Kinder" (und ihrer Familien) ist in den letzten Jahrzehnten sicherlich verbessert worden.

Nimmt man jedoch den aktuellen Kenntnisstand, so ist die Lücke zwischen dem, was getan werden könnte (eigentlich getan werden müßte) und dem, was geschieht, wahrscheinlich gleich geblieben, auch bedingt durch so genannte "ökonomische Zwänge" im Gesundheitswesen.

Dabei läßt sich problemlos nachweisen, dass sich "Investitionen" in die bessere "Versorgung epilepsiekranker Kinder" mannigfaltig auszahlen bezüglich Entwicklung der Kinder, ihrer Lebensqualität und die ihrer Familien - aber auch ökonomisch.

Dr. Hans Holthausen, Chefarzt