Männer und Epilepsie - eine besondere Situation ?

In den letzten Jahren wurde dem Thema "Frauen und Epilepsie" zunehmend Beachtung geschenkt. Insbesondere wurden spezifische Fragestellungen wie zum Beispiel: Epilepsie und Schwangerschaft, hormonelle Kontrazeption bei Frauen unter Antiepileptikatherapie etc. umfangreich untersucht. Die Diskussion um geschlechtsspezifische Besonderheiten der Epilepsieerkrankung bei Männern rückt jedoch erst in jüngster Zeit mehr in den Vordergrund.

Beschäftigt man sich intensiver mit diesem Thema, so finden sich zum Teil deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Nicht alle Anfalls- bzw. Epilepsieformen treten bei Frauen und Männern gleich häufig auf. So findet sich das West-Syndrom, die Rolando-Epilepsie und auch die Aufwach-Grand mal-Epilepsie etwas öfter bei Männern (bzw. Jungen) als bei Frauen (bzw. Mädchen). Die sogenannten "Gelegenheitsanfälle" treten bei Männern in der zweiten Lebenshälfte sogar doppelt so häufig wie bei Frauen auf. Aber nicht nur in Bezug auf die Häufigkeit zeigen sich Unterschiede. Weitere wichtige Punkte sind die psychosozialen Auswirkungen einer Epilepsieerkrankung für den Mann. Obgleich heutzutage viele Frauen berufstätig sind, tragen in vielen Familien mit Kindern die Männer die alleinige Verantwortung, für den Lebensunterhalt aufzukommen. Eine Epilepsieerkrankung mit negativen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit oder eine Aufhebung der Kraftfahrtauglichkeit können bezüglich der sozialen Situation sehr einschneidende Folgen haben.

Ein weiterer Aspekt der Epilepsie betrifft die Sexualfunktionen des Mannes. Männer mit Epilepsie leiden zu einem überdurchschnittlichen Anteil an sexuellen Funktionsstörungen wie reduzierter Libido, Erektions- und Ejakulationsstörungen. Jeder zweite bis dritte Mann mit Epilepsie klagt über eine verminderte Libido bzw. Impotenz. Diese Situation ist zwar seit Jahren bekannt, aber erst in letzter Zeit wurden bezüglich der möglichen Ursachen intensivere Forschungen eingeleitet. Sexuelle Funktionsstörungen, insbesondere Erektionsstörungen (erektile Dysfunktion oder auch "ED" genannt) sind meist multifaktoriell bedingt, das heißt es gibt zahlreiche mögliche Ursachen, die zum Teil auch kombiniert auftreten. Neben organischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Nervenschädigungen, wie sie sich im Rahmen einer Zuckerkrankheit entwickeln können (diabetische Neuropathie), oder auch Gefäßerkrankungen (Arteriosklerose mit Durchblutungsstörungen), können auch psychische Erkrankungen, wie z. B. Depressionen, zu sexuellen Funktionsstörungen führen. Da die Sexualfunktion jedoch auch in hohem Maß von einem ausgewogenen Verhältnis der Sexualhormone abhängt, ist es nicht verwunderlich, dass Störungen in dem komplizierten Regulationssystem der männlichen Sexualhormone meist mit sexuellen Funktionsstörungen einhergehen.

Das Zusammenspiel der Hormone wird im Zwischenhirn (Hypothalamus) und in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) geregelt. Der Hypothalamus setzt Signale frei, die in der Hirnanhangdrüse die Ausschüttung bestimmter Hormone anregen. Diese Hormone wirken nun direkt auf die Zellen im Hoden. Im Hoden selbst wird durch diese "Signalhormone" die Freisetzung des wichtigsten männlichen Sexualhormons, des Testosterons, angeregt. Im Rahmen einer Epilepsieerkrankung können Hirnareale, die in funktionellem Zusammenhang mit dem Hypothalamus und der Hypophyse stehen, durchaus beeinträchtigt werden. Dadurch kann es zu Störungen des beschriebenen Regulationssystems kommen, welche unter anderem zu einer verminderten Testosteron-Synthese und zu Störungen der Spermienbildung (Spermatogenese) führen können.

Testosteron wird im Blut zu einem großen Teil an ein bestimmtes Eiweiß gebunden, das sogenannte Sexualhormon bindende Globulin, auch SHBG abgekürzt. Nur der freie, das heißt nicht an SHBG gebundene, Anteil des Testosterons, steht dem Organismus "zur Verfügung" und kann somit seine Wirkung voll entfalten. Unter bestimmten Bedingungen kann es nun zu einer vermehrten Produktion dieses Bindungsglobulins SHBG kommen. Einige, vor allem ältere Antiepileptika wie zum Beispiel Carbamazepin, gehören zur Gruppe der enzyminduzierenden Medikamente, d. h. sie besitzen eine induzierende (= die Produktion steigernde) Wirkung auf das Cytochrom P450-Enzymsystem in der Leber und steigern auf diese Weise die Bildung des Sexualhormon-bindenden Globulins SHBG. Dadurch wird vermehrt Testosteron an SHBG gebunden und der Anteil des, für die Sexualität des Mannes wichtigen, freien Testosterons geht zurück. In der Folge können Libido und Erektionsvermögen abnehmen.

Wie verschiedene Studien gezeigt haben, bestehen in Hinblick auf den Einfluss der Antiepileptika auf das Cytochrom P450-Enzymsystem und damit letztendlich hinsichtlich des Einflusses auf die Sexualfunktion des Mannes, deutliche Unterschiede. Ältere enzyminduzierende Antiepileptika, wie zum Beispiel Carbamazepin, können zu den genannten Veränderungen führen. Anders verhält es sich bei Oxcarbazepin, einem Antiepileptikum aus der Gruppe der neuen Antiepileptika, die das Enzymsystem der Leber kaum bzw. gar nicht beeinflussen. Unter einer Therapie mit Oxcarbazepin bleibt die SHBG Synthese weitgehend unbeeinflusst und freies Testosteron steht ausreichend zur Verfügung. Die unter der Behandlung mit enzyminduzierenden Antiepileptika genannten Störungen im Gleichgewicht der männlichen Sexualhormone sind daher unter Oxcarbazepin nicht zu erwarten.

Aufgrund dieser, durch Studien erworbenen Erkenntnisse, sollte bei der Auswahl des Antiepileptikums zur Behandlung männlicher Epilepsie-Patienten nicht nur die Reduktion der Anfallshäufigkeit berücksichtigt werden, sondern auch darauf geachtet werden, dass durch die Medikation das Gleichgewicht der Sexualhormone und damit die Sexualfunktionen des Mannes nicht beeinträchtigt werden. So kann durch eine entsprechend umsichtige Auswahl des Antiepileptikums bei Männern z.B. Oxcarbazepin, ein negativer Einfluss auf die Sexualfunktionen weitgehend vermieden werden und die Lebensqualität erhalten bleiben.

Fachpressegespräch: "Männer und Epilepsie"´,
München 29. Oktober 2003