Moderne Zeiten

Wie hat das Internet die Selbsthilfearbeit verändert?

Eine im Prinzip einfache Frage, aber mit einer facettenreichen Antwort – ganz wie die Selbsthilfearbeit selbst.

Als meine Tochter Lisa 1995, d.h. vor 17 Jahren, an Epilepsie erkrankte, musste ich mich noch mühsam durchfragen, um über verschiedene (Um-)Wege an die richtigen Adressen für hilfreiche Auskünfte zu kommen. Viel Zeit und viele Telefonate später hatte ich dann endlich die richtigen Ansprechpartner und die wichtigsten Informationen an der Hand.

Heute können sich betroffene Eltern ganz schnell über das Internet sowohl über das Krankheitsbild Epilepsie als auch über bestehende Selbsthilfegruppen und deren Kontaktpersonen informieren. Allerdings macht die Vielzahl an Daten und Seiten im Netz - allein bei Google finden sich ca. 6.170.000 Einträge zum Stichwort „Epilepsie“ - die Suche nicht unbedingt einfacher. Viele unnütze bzw. sinnlose Details kommen ungefiltert bei neu Erkrankten bzw. deren Eltern oder Angehörigen an, was zu noch größerer Hilflosigkeit und Verwirrung führen kann.

Das merke ich, wenn Betroffene dann doch telefonisch oder per E-Mail Hilfe suchen. Bei der persönlichen Beratung kann „maßgeschneidert“ auf den Einzelfall eingegangen werden. Das Internet hat für den individuellen Blickwinkel keinen Platz, dazu bedarf es des persönlichen Gesprächs.

Ein großes Ärgernis ist überdies die schlechte Pflege einiger Seiten im Netz: Diese sind oft nicht auf dem neuesten Stand und präsentieren eine Vielzahl an alten und fehlerhaften Daten, die für bare Münze genommen und kaum angezweifelt werden. „Aber das steht doch so im Internet“, ist eine der häufigsten Antworten bei der Berichtigung solcher Fehlinformationen im Laufe einer persönlichen Beratung.

Statt aufwändiger Telefon- oder Briefaktionen können Einladungen zu Veranstaltungen oder Fachinformationen heute kostengünstiger und schneller an die virtuellen Briefkästen verschickt werden. Die Gefahr, dass einerseits wichtige Informationen in der E-Mail-Flut untergehen - gedruckte bzw. per Post versandte Informationen bleiben nach wie vor besser im Gedächtnis haften - und andererseits nicht dort ankommen, wo sie hinsollen - längst nicht alle Betroffenen oder deren Eltern verfügen über einen Internetanschluss - darf deshalb von Selbsthilfegruppen und -organisationen nicht unterschätzt werden.

Für Epilepsiebetroffene und deren Familien bringt das Medium Internet aber auch Vorteile mit sich. Die Erkrankung ist immer noch mit einem Makel behaftet, auch in der heutigen Zeit wollen manche nicht erkannt werden, sich nicht „outen“ bzw. die Krankheit offen zugeben, benötigen aber trotzdem Information und Unterstützung. Die Anonymität des World Wide Webs kommt ihnen hier zu Gute.

Durch den Besuch spezieller Internetforen und die Kommunikation per E-Mail erfahren sie auch bei individuellen Problemstellungen Hilfe, ohne mit anderen „von Angesicht zu Angesicht“ Kontakt aufnehmen zu müssen (z. B. bei einem Gruppentreffen) - diese Anonymität kann aber wiederum zu ihrer gesellschaftlichen Isolation beitragen.

Eine weitere Kehrseite der Medaille ist die Unmöglichkeit zu beurteilen, wer einem in den verschiedenen Foren oder als E-Mail-Partner gegenübertritt. Ob die gegebenen Tipps und Anregungen wirklich verlässlich sind, lässt sich in diesem anonymen Raum nicht oder nur sehr schlecht beurteilen. Man muss dem Gegenüber sozusagen blind vertrauen und auf dessen Verschwiegenheit bauen.

Ein klarer Vorteil ist jedoch die Tatsache, dass Betroffene und die Selbsthilfe sich heutzutage auf elektronischem Weg überregional besser und schneller organisieren können. Als Beispiel gelten hier z. B. spezielle Epilepsiesyndrome mit einer kleinen Anzahl an Erkrankten, die eigene Seiten bzw. Foren auch für jene bieten, in deren Nähe es keine örtliche Selbsthilfegruppe gibt bzw. die ortsansässige Gruppe keine passenden Infos für diese ganz spezielle Form der Erkrankung bietet.

Betroffenen, die aufgrund verschiedener Faktoren (kein Auto bzw. öffentlichen Verkehrsmittel, Zeit, kein Babysitter etc.) nicht zu persönlichen Treffen kommen können, geben Internet und E-Mail die Gelegenheit, zu dem von ihnen gewünschten Zeitpunkt Kontakt zu anderen aufzunehmen und auch dort zu erleben: „Ich bin nicht alleine mit der Erkrankung!“

Auch das Erstellen von Broschüren und Flyern ist für Gruppen und Verbände mit Hilfe des Internets (z. B. durch die Zusammenarbeit mit Online-Druckereien) unkomplizierter und kostengünstiger geworden. Anträge an Krankenkassen, Wünsche an Politiker, Anliegen an Gesundheitsverbände finden auf kurzem und schnellen Weg ihren Empfänger.

Auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken sind bisher wenige Selbsthilfegruppen aktiv. Wenn man hier nicht den Anschluss an die jüngere Generation der Betroffenen verlieren will, muss sich das ändern - so wie sich die gesamte Kommunikation und die Selbsthilfearbeit im Laufe der Jahre verändert hat.

Fazit:


Das Internet hat die Selbsthilfearbeit in vielen Dingen vereinfacht, aber das neue Medium bindet mit der heute schon zwingend notwendigen Homepage (die auf dem aktuellsten Stand sein sollte) und der Flut an zu beantwortenden E-Mails und zu lesenden Informationen auch viel Zeit und Energie.

Alles ist schneller geworden, aber nicht einfacher oder zeitsparender.

Doris Wittig-Moßner,
LV Epilepsie Bayern e.V.