Transkutane Vagusnervstimulation

Eine nicht invasive Therapieoption bei pharmakoresistenter Epilepsie

Pharmakoresistenz

Epilepsien werden in der Regel medikamentös mit so genannten Antikonvulsiva behandelt. Bei etwa jedem dritten Epilepsiepatienten führt diese Therapie jedoch weder zur Anfallsfreiheit noch zu einer relevanten Reduktion der Anfallshäufigkeit. Von einer Pharmakoresistenz kann man dann sprechen, wenn geeignete Behandlungsversuche mit mindestens zwei vertragenen sowie angemessen ausgewählten und eingesetzten Antikonvulsiva keine anhaltende Anfallsfreiheit erzielen. Trotz der kontinuierlichen Entwicklung neuer Medikamente in den letzten 20 Jahren haben sich Effektivität und Verträglichkeit der Antikonvulsiva nicht wesentlich verbessert. Für die Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie stehen deswegen auch alternative Behandlungsmethoden zur Verfügung. Zu diesen gehören epilepsiechirurgische Eingriffe, bei denen Hirngewebe im Rahmen einer Operation teilweise entfernt wird, sowie die Verfahren der Neuromodulation. Bei der Neuromodulation wird Nervengewebe dauerhaft elektrisch stimuliert, um die Häufigkeit epileptischer Anfälle zu senken. Hier unterscheidet man die Tiefenhirnstimulation, bei der Elektroden in das Gehirn implantiert werden, von der invasiven Vagusnervstimulation.

Invasive Vagusnervstimulation (i-VNS)

Bei der i-VNS wird in einem neurochirurgischen Eingriff eine Elektrode in unmittelbarer Nähe des so genannten Vagusnerven implantiert. Der Vagusnerv ist der zehnte (X.) Hirnnerv und versorgt als wesentlicher Teil des vegetativen Nervensystems die meisten inneren Organe wie z. B. das Herz, die Atemwege und den Verdauungstrakt. Der Name des „umherschweifenden“ Nerven leitet sich von seinem großen Versorgungsgebiet im menschlichen Körper ab (lat. vagari: umherschweifen). Der Implantationsort bei der i-VNS befindet sich in der linken Halsregion direkt neben der Halsschlagader. Der dazugehörige elektrische Schrittmacher wird unter die Haut der Brustregion unterhalb des Schlüsselbeins platziert. Nach dem operativen Eingriff wird der Vagusnerv in regelmäßigen Abständen von etwa 5 Minuten für ca. 30 Sekunden elektrisch gereizt. Dieser Stimulationsrhythmus wird üblicherweise dauerhaft beibehalten, bis die Batterie des Schrittmachers erschöpft ist und das Medizinprodukt in einem erneuten neurochirurgischen Eingriff ersetzt wird. Bei über 450 Patienten in den USA sank die mittlere Anfallshäufigkeit im ersten Jahr nach Implantation um 35 %, im zweiten Jahr um 43 % und im dritten Jahr um 44 %.

Der Vagusnerv wird bei diesem Verfahren an einer Stelle elektrisch erregt, die Nervenfasern enthält, die sowohl Informationen von den inneren Organen zum Gehirn vermitteln (afferent), als auch umgekehrt Informationen aus dem Gehirn zu inneren Organen leiten (efferent). Insbesondere die Stimulation der efferenten Fasern ruft Nebenwirkungen wie z. B. Heiserkeit und Kurzatmigkeit hervor. Die i-VNS ist eine anerkannte und wirksame Behandlungsmethode bei pharmakoresistenter Epilepsie, die jedoch den beschriebenen operativen Eingriff erfordert und zudem nicht unerhebliche Nebenwirkungen aufweist.

Transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS®)

Bei der t-VNS® wird im Gegensatz zur i-VNS der Ast des Vagusnerven, der die Ohrmuschel sensibel versorgt, nicht invasiv elektrisch stimuliert. Dieses neuromodulative Verfahren setzt keinen chirurgischen Eingriff voraus. Die elektrischen Reize erreichen den so genannten aurikulären (lat. auris: Ohr) Ast des Vagusnerven (RANV) über eine Ohrelektrode, die von dem Patienten wie ein Ohrhörer selbstständig eingesetzt wird. Dabei sitzt die Elektrode auf der unversehrten Haut der Ohrmuschel und überträgt die elektrischen Impulse auf die feinen Nervenäste. Deswegen wird diese Methode als transkutane Vagusnervstimulation bezeichnet (lat. trans: durch, lat. cutis: Haut). Das tragbare und wiederaufladbare, elektrische Reizgerät hat die Größe eines Mobiltelefons und ist mit der Ohrelektrode über ein dünnes Kabel verbunden. Die t-VNS® beruht auf dem gleichen Wirkmechanismus wie die i-VNS®: Die elektrische Erregung afferenter Fasern des Vagusnerven am Ohr bzw. am Hals zieht eine Aktivierung einer bestimmten Nervenzellgruppe im Hirnstamm nach sich. Diesem so genannten Nucleus tractus solitarii und nachgeschalteten Zentren des Gehirns wird eine anfallsreduzierende Wirkung zugeschrieben.

Im Gegensatz zur i-VNS® kommt es bei der t-VNS® nicht zu einer unerwünschten, direkten Aktivierung von Nervenfasern, die Impulse aus dem Gehirn zu den inneren Organen leiten. Deswegen kommt es auch nicht zu Nebenwirkungen wie Heiserkeit oder Kurzatmigkeit. Allerdings können während der Stimulation an der Ohrmuschel Juckreiz, Missempfindungen oder lokale Schmerzen auftreten. Diese sensiblen Phänomene lassen sich durch Reduktion der Stimulationsintensität häufig reduzieren oder gar vermeiden. Ziel ist eine Stimulation mit einer Reizstärke, die der Patient als kribbelnde jedoch nicht schmerzhafte Empfindung wahrnimmt. Die Dauer der täglichen Stimulation sollte über den Tag verteilt insgesamt etwa vier Stunden betragen.

Der Patient hat die Möglichkeit, die Reizstärke nach intensiver Schulung durch den behandelnden Arzt immer wieder selbstständig seinem Empfinden anzupassen und erhält über das Display des Stimulationsgerätes kontinuierlich Informationen über Qualität und Dauer der Therapie. Die Anwendungsdaten werden vom Medizinprodukt kontinuierlich und automatisch gespeichert und können durch den behandelnden Arzt ausgelesen werden, um die Therapie gegebenenfalls anzupassen.

Die Sicherheit und die Verträglichkeit des Medizinproduktes wurden an über 200 Patienten und gesunden Versuchspersonen in klinischen Studien bestätigt. Das Medizinprodukt mit dem Namen NEMOS® trägt das CE-Zeichen und ist für den therapeutischen Einsatz bei pharmakoresistenter Epilepsie und Depression gedacht. Ab Mitte 2012 wird die t-VNS®-Therapie auch unabhängig von klinischen Studien zur Verfügung stehen (www.cerbomed.com). Die Kosten für die Behandlung werden allerdings von den Krankenkassen zurzeit nicht übernommen.

Professor Dr. med. Jens Ellrich1,2,3
Dr. rer. nat. Nadine Wolf1


  1. Medical Department, cerbomed GmbH, Medical Valley Center, Henkestraße 91, D-91052 Erlangen
  2. Department of Health Science and Technology, Aalborg University, Fredrik Bajers Vej 7D2, DK-9220 Aalborg, Dänemark
  3. Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg, Universitätsstraße 17, D-91054 Erlangen

 

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