15. Epilepsie-Seminar Schweinfurt

Dr. Roland Koch (li.) und Dr. Stephan Unkelbach (re.) eröffnen die 15. Ausgabe der erfolgreichen Schweinfurter Veranstaltungsreihe
PD Dr. Thomas Bast, Chefarzt der Kinderklinik Kehl-Kork erläutert die in seiner Klinik üblichen Behandlungsstandards
Prof. Dr. med. Gunter Gross-Selbeck engagiert sich seit Jahren in Nepal

Therapie-Optionen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland und in der 3. Welt

Etwa 90 Teilnehmer fanden sich am 9. März 2013 im Vortragsraum des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt ein, um sich die Fachvorträge zweier hochkarätiger Referenten anzuhören.

Chefarzt Dr. Herrmann, Oberarzt Dr. Koch sowie Neuropädiater Dr. Unkelbach hatten zusammen mit der Selbsthilfegruppe für Eltern anfallskranker Kinder Main-Rhön e.V. zu dieser Veranstaltung eingeladen.

Nach den Begrüßungsworten der Initiatoren berichteten Dr. Koch und Dr. Unkelbach über die Zusammensetzung ihrer Epilepsie-Patienten bezogen auf die Art der Behandlung: Die meisten der Patienten (ca. 70 %) werden durch Monotherapie (ein Medikament) anfallsfrei. Weitere 10 % der Patienten erreichen durch eine Kombinationstherapie von zwei Präparaten Anfallsfreiheit. 20 % der Patienten erleiden trotz Medikamenteneinnahme weiterhin Anfälle. Ihnen kann teilweise durch Epilepsiechirurgie oder durch ketogene Diät geholfen werden.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der erste Gastredner an diesem Vormittag - PD Dr. Thomas Bast, Chefarzt der Kinderklinik des Epilepsiezentrums Kehl-Kork. In einem brillanten Vortrag schildert er die Vorgehensweise in seiner Klinik. Mit Hilfe eines Koordinatensystems, welches je nach Epilepsieform sowohl die Chance auf Anfallsfreiheit unter Antiepileptika als auch ohne Medikamente berücksichtigt, kann eingeschätzt werden, ob eine medikamentöse Behandlung erfolgversprechend sein kann. Bei einer benignen idiopathischen fokalen Epilepsie sei die Behandlung beispielsweise fragwürdig, weil die Erkrankung in der Regel sowieso ausheile. Im nächsten Schritt wird eine Schulung von Eltern und Kind angestrebt, um bereits im Vorfeld die Compliance zu optimieren. Auch die Lebensführung und psychosoziale Versorgung werden hier thematisiert.

Erscheint eine Behandlung mit einem Antikonvulsivum sinnvoll, beginnt man mit der Monotherapie. Wird das Kind nicht anfallsfrei, wählt man einen anderen Wirkstoff und versucht, das erste Medikament gleichzeitig auszuschleichen. Kann auch mit diesem Wirkstoff kein befriedigendes Ergebnis erzielt werden, wird das erste Medikament mit dem zweiten kombiniert oder zum zweiten ein drittes aufdosiert. Dabei ist darauf zu achten, dass Medikamente mit unterschiedlicher Wirkungsweise gewählt werden. Kann mit der Kombination von zwei Wirkstoffen keine Anfallsfreiheit erzielt werden, ist auch die Aufdosierung eines dritten Wirkstoffes kaum erfolgversprechend. Man spricht dann von einer Pharmakoresistenz, die als Voraussetzung dafür gilt, einen epilepsiechirurgischen Eingriff in Erwägung zu ziehen. Auch mit der ketogenen Diät können dann noch Erfolge erzielt werden.

Neue Medikamente werden in Deutschland nur zugelassen, wenn ein Zusatznutzen nachgewiesen werden kann. Dr. Bast geht deshalb davon aus, dass in nächster Zeit keine neuen Wirkstoffe in Deutschland zugelassen werden. 1)

Auf die Frage, ob neue Medikamente besser wirken als die bewährten, kommt Dr. Bast zu folgenden Ergebnissen:



Nach einer kurzen Pause, in der sich die Seminarteilnehmer in der Cafeteria bei einer Tasse Kaffee austauschen oder an diversen Ständen der Pharmaunternehmen und Beratungsstellen informieren konnten, setzte Prof. Dr. Gunter Gross-Selbeck (ehemaliger Leiter des Kinderneurologischen Zentrums Düsseldorf) mit seinem beeindruckenden Vortrag die Veranstaltung fort.

Seit Jahren setzt er sich für eine bessere medizinische Versorgung von Kindern in Nepal ein, einem Land, in dem 40 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, d. h. weniger als 18 Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Pro 750.000 Menschen gibt es ein Krankenhaus und jeder Arzt ist umgerechnet für 20.000 Patienten zuständig. 40 % des Landes liegen mehr als 3.000 m über dem Meeresspiegel und es besteht ein starkes Stadt-Land Gefälle. Dies bedingt, dass Krankenhäuser nur in den Großstädten zu finden sind und sich 90 % der Bewohner der Bergregionen von Schamanen behandeln lassen.

Außerdem gibt es etwa 4.000 „Health Posts“, in denen sich so genannte „Health Assistants“ um Entbindungen, Impfungen, Infekte und kleinere Verletzungen kümmern. In der Hauptstadt Katmandu existiert ein Rehabilitations-Zentrum mit Ambulanz und einer Körperbehindertenschule. In 14 Außenstellen kümmern sich so genannte Homevisitoren nach sechsmonatiger Ausbildung im Reha- Zentrum um behinderte Kinder und deren Eltern.

Epilepsiekranke Kinder werden in Nepal oft ihrem Schicksal überlassen, weil sich die Eltern die Behandlung nicht leisten können. Prof. Gross-Selbeck sammelt deshalb mit seiner Organisation in Deutschland Spenden, um einen Kinderarzt finanzieren zu können, der die 14 Distrikte regelmäßig besucht und mit den Homevisitoren Behandlungspläne erstellt, die bis zum nächsten Arztbesuch eingehalten werden sollen. Während seines jährlichen Aufenthaltes in Nepal begleitet Prof. Gross-Selbeck gemeinsam mit seiner Frau diese Healthcamps um ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben.

Einige Antiepileptika wie Carbamazepin, Valproat, Benzodiazepine, Phenobarbital und Phenytoin bekommen erkrankte Kinder kostenlos. Allerdings meistens in völlig sinnloser Dosierung und Kombination.

Während eines Healthcamps können bis zu 150 Kinder behandelt werden. Das ergibt bei 14 Distrikten etwa 2.000 Kinder, denen geholfen werden kann.

Nach diesem sehr interessanten Vortrag, der die Zuhörer gleichermaßen faszinierte wie nachdenklich stimmte, war noch Zeit für eine ausführliche Diskussion mit den beiden Referenten.

Mit herzlichen Worten bedankte sich das Vorbereitungsteam bei den Referenten, und im wiedererlangten Bewusstsein darüber, wie gut wir hier in Deutschland versorgt sind, verabschiedeten wir uns und freuen uns schon auf neue Erkenntnisse beim 16. Epilepsie-Seminar 2014!

Heike Sporer
SHG Eltern anfallskranker Kinder Main-Rhön


1) Anmerkung der Redaktion:


Am 7. März 2013 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) einstimmig, dass der neu entwickelte Wirkstoff Perampanel keinen Zusatznutzen bei der Behandlung von fokalen Epilepsien habe (www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1664/). Vor einem Jahr betraf eine solche Entscheidung bereits Retigabin, das seit dem 1. Juli 2012 nicht mehr in deutschen Apotheken erhältlich ist. Die Substanzen befanden sich nach erfolgreichen Studien vor der Zulassung zur Behandlung bei Epilepsien.

Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) sieht diese Entwicklung mit großer Sorge, denn auch wenn es bei beiden Wirkstoffen noch um kleine schon mit diesen Präparaten behandelte Patientengruppen ging (einige tausend Betroffene), so sei es für „Responder“ auf diese Medikamente eine große Frage, wie es für sie weitergeht. Auch für Menschen mit therapieresistenten Epilepsien gingen Hoffnungen verloren. Ebenso stellen beide Entscheidungen sehr negative Signale für die Weiterentwicklung von neuen Antiepileptika dar. Die DGfE hat bereits auf die negative Entscheidung des G-BA reagiert und plant weitere Aktivitäten, um den Beschluss zu hinterfragen und möglicherweise zu revidieren.