Schule und Inklusion

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Zwei interessante Gerichtsurteile


Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Hilfe zu angemessener Schulbildung) umfasst ggf. auch die Übernahme von Kosten für eine Fachkraft während des Schulunterrichts und in den Ferienzeiten sowie die Schülerbeförderung

Der Kläger leidet an einem frühkindlichen Autismus, einer Epilepsie mit myoklonisch-astatischen Anfällen und einer psychomotorischen Retardierung. Er bedarf deswegen und wegen fehlender expressiver Sprache und teilweise selbst- und fremdgefährdenden Verhaltens einer besonderen und intensiven Förderung, Betreuung und Begleitung.

Der beklagte Sozialleistungsträger übernahm im Rahmen der Eingliederungshilfe als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung die Kosten für eine Schul-begleitung durch eine qualifizierte Person während der Schulzeiten, lehnte aber die Übernahme weiterer Aufwendungen für eine zusätzliche pädagogische Fachkraft während des Unterrichts und in den Ferienzeiten ab. Der zusätzliche Antrag des Klägers auf Sicherstellung seiner Schülerbeförderung nebst Begleitperson wurde von der Beklagten nicht beschieden.

Die 1. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe hat durch Urteil vom 26.07.2012  (S 1 SO 580/12) der Klage insoweit im Wesentlichen stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und mehrerer Landessozialgerichts außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule nicht ausgeschlossen. Sie bestehe für zumindest unterstützende pädagogische Maßnahmen regelmäßig auch dann, solange und soweit die Schule eine entsprechende Hilfe nicht gewähre oder - wie im zu entscheidenden Fall - darauf verweise, sie nicht erbringen zu können, und deshalb der Eingliederungsbedarf des behinderten Menschen tatsächlich nicht durch die Schule gedeckt werde. Ob die Schule dazu verpflichtet sei, sei unerheblich. Der Übergang vom Kindergarten in die Schule sei gerade für ein autis-tisches Kind mit hohen Anforderungen verbunden. Der autistische Kläger benötige im Schulunterricht aufgrund seiner spezifischen Lernbesonderheiten wie auch der Anforderungen an das Kommunikations- und Interaktionstraining besondere pädagogische Hilfestellungen, um bereits erzielte Therapieerfolge nicht zu gefährden und weitere Fortschritte zu erzielen und damit seine Integration in den Schulalltag zu ermöglichen. Die an der Schule tätige Sonderschulpädagogin könne diese Hilfestellungen nach den glaubhaften Angaben der Schule schon aus Zeitgründen nicht erbringen, sondern nur beratend tätig sein.

Außerdem habe der Kläger Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für eine pädagogische Fachkraft auch während der Ferienzeiten, weil andernfalls die ernsthafte Gefahr bestehe, dass im Schulunterricht erlernte Fähigkeiten wieder verloren gingen und die Familie diesen Bedarf mit Blick auf zwei Geschwisterkinder nicht bewerkstelligen könne.

Weiter hat die Kammer die Beklagte verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Übernahme der Aufwendungen seiner Schülerbeförderung nebst Begleitperson unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Sie hat dabei u. a. darauf hingewiesen, dass die Hilfeleistungen zu einer angemessenen Schulbildung auch die Schülerbeförderung umfassen. Sofern keine andere Art der Schülerbeförderung in Betracht komme, habe der Hilfeträger den Bedarf des behinderten Menschen ggf. durch Übernahme der für die täglichen Fahrten zur und von der Schule anfallenden Kosten für eine individuelle Beförderung mit einem PKW oder einem Taxi zu decken.

Pressemitteilung des Landessozialgerichts Karlsruhe vom 26.07.2012


Kosten für die Bereitstellung eines Integrationshelfers aus Mitteln der Jugend- oder Sozialhilfe zu erbringen - Kommunen müssen sich an der Finanzierung der Inklusion beteiligen.

In einem Eilverfahren hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen einen Kreis als Träger der Sozialhilfe verpflichtet, einem verhaltensauffälligen Schüler ab Beginn des neuen Schuljahres einen Integrationshelfer zur Begleitung während des Schulunterrichts zur Verfügung zu stellen.

Der Antragsteller leidet unter einer Erkrankung, die zu Beeinträchtigungen in der kognitiven und emotionalen Entwicklung führt und erhebliche Verhaltensauffälligkeiten nach sich zieht. Eine altersadäquate Teilnahme des schulpflichtigen Kindes am Schulunterricht ist daher nur eingeschränkt möglich. Um am Unterricht sinnvoll teilnehmen zu können, benötigt der Antragsteller eine 1:1-Betreuung, die ihn während des Unterrichts und der Pausen begleitet, ihn dabei unterstützt, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen, seine Sachen ein- und auszupacken, seinen Arbeitsplatz zu organisieren, sein Verhalten zu kontrollieren, aufzupassen, Informationen von der Tafel abzuschreiben, in der Mensa zu essen und seine Pausen sinnvoll zu gestalten.

Der (aus verfahrensrechtlichen Gründen zuständige) Kreis als Sozialhilfeträger hatte – bestätigt vom Sozialgericht Düsseldorf – die Leistungspflicht abgelehnt. Der betroffene Schüler besuche eine Schule, die inklusiven Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen anbiete. Bei ihm sei bereits ein sonderpädagogischer Förderungsbedarf anerkannt und er erhalte für die Dauer von sieben Unterrichtsstunden pro Woche sonderpädagogische Förderung durch eine dafür bereitgestellte Lehrkraft. Die Aufgaben, die der Integrationshelfer zu verrichten habe, gehörten zu den Aufgaben der Schule. Für eine Leistungspflicht der Kommune sei daneben kein Raum.

Der 9. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen hat demgegenüber den Kreis verpflichtet, den Integrationshelfer als Maßnahme der Eingliederungshilfe zu finanzieren.

Von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers könnten auch Maßnahmen um-fasst werden, die eigentlich zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehörten. Lediglich Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzurechnen seien, wie die Erteilung des Unterrichts selbst, seien von dieser Leistungspflicht ausgenommen. Die Unterstützung eines behinderten Schülers durch einen Integrationshelfer gehöre jedoch nicht zum pädagogischen Kernbereich. Solange die Vorgabe der Lerninhalte in der Hand der Lehrerinnen und Lehrer bleibe, berühre die Unterstützung durch einen Integrationshelfer den pädagogischen Kernbereich selbst dann nicht, wenn er auch pädagogische Aufgaben übernehme, wie z. B. die Anleitung zur Konzentration auf den Unterricht.

Der Senat hat betont, dass er nicht die Gefahr verkenne, dass eigentlich dem Land die Gewährleistungsfunktion für einen funktionierenden Schulbetrieb obliege und aufgrund organisatorischer Mängel und einer unzureichenden Personalausstattung der Schulen die finanziellen Belastungen den Kreisen und Gemeinden als Träger der Sozial- und Jugendhilfe aufgebürdet werden. Diese in erster Linie politische Problematik könne jedoch im Rahmen eines Eilverfahrens nicht zu Lasten der behinderten Kinder und Jugendlichen gehen. (L 9 SO 429/13 B ER, rechtskräftig)

Pressemitteilung des Landessozialgerichts NRW vom 08.01.2014