SUDEP – ein zu Unrecht ignoriertes Risiko

Relatives SUDEP-Risiko bei unterschiedlichen Gruppen von Epilepsie-Patienten. Mit zunehmender Pharmakoresistenz steigt das Risiko deutlich an; das Erzielen von Anfallsfreiheit (durch Medikamente oder durch eine Operation) ist entscheidend für einen wirksamen Schutz.

Epileptische Anfälle enden normalerweise von selbst nach einem Zeitraum von Sekunden bis wenigen Minuten. Auch wenn nach diesen Anfällen noch Beeinträchtigungen wie Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Gedächtnisstörungen länger anhalten können, ist dieser übliche Verlauf beruhigend, und es ist eine wichtige Regel, dass im epileptischen Anfall keine Intervention erforderlich ist.

Manchmal verlaufen Anfälle jedoch nicht gutartig – entweder, weil sie nicht von selbst aufhören und eine massive ärztliche Intervention erforderlich machen („Status epilepticus“) oder weil Anfälle sich auf das vegetative Nervensystem auswirken. Hierbei kann es zu Veränderungen des Atemantriebs und der Herzschlagfrequenz, in schweren Fällen mit der Folge eines Versterbens im Anfall kommen. Da solche Todesfälle ohne andere Vorboten entstehen, spricht man von einem plötzlichen, unerwarteten Tod bei Epilepsie-Patienten (englisch: Sudden Unexpected Death in Epilepsy Patients, SUDEP).

SUDEP ist bei Epilepsie-Patienten im jungen Erwachsenenalter die häufigste Todesursache mit einer Auftretenswahrscheinlichkeit von 4/10.000 Patienten; durch diese Todesfälle ist die mittlere Lebenserwartung von Epilepsie-Patienten mit fokalen Epilepsien um mehrere Jahre verkürzt. Eine Reihe von Risikofaktoren für das Auftreten eines SUDEP sind bekannt: eine lange Epilepsiedauer, eine schwer ausgeprägte Epilepsie, die den Einsatz von Kombinationsbehandlungen und Medikamentenwechsel erforderlich macht, das Auftreten von großen, generalisiert tonisch-klonischen Anfällen und insbesondere auch das Vorliegen von Anfällen, die aus dem Schlaf heraus auftreten. SUDEP-Todesfälle treten zudem bei Männern und bei einigen genetischen Störungen der Funktion von Membrankanälen, die auch im Reizleitungssystem des Herzens vorkommen, vermehrt auf.

Was kann man tun, um SUDEP-Fälle zu vermeiden?
Wir wissen heute, dass SUDEP als unmittelbare Folge von Anfällen auftritt. Der wichtigste und bewiesenermaßen wirksame Weg zur Vermeidung eines SUDEP ist daher das Einsetzen aller verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten, um eine vollständige Anfallsfreiheit zu erzielen. Dies bedeutet, eine Pharmakotherapie so weit zu führen, dass keine Anfälle mehr auftreten, und hierbei auch und gerade nächtliche Anfälle ernst zu nehmen. Wenn die ersten beiden Behandlungen mit Antiepileptika keine Anfallsfreiheit erzielt haben, müssen auch epilepsiechirurgische Optionen abgeklärt und wahrgenommen werden, um die Epilepsie wirksam zu behandeln. Wissenschaftler der Columbia University New York haben errechnet, dass die Durchführung eines epilepsiechirurgischen Eingriffes die Lebenserwartung von Patienten mit pharmakoresistenten Temporallappenepilepsien im Mittel um fünf Jahre verlängert!

Darüber hinaus belegt eine Reihe von Studien die Bedeutung der regelmäßigen Medikamenteneinnahme als Schutzfaktor vor einem SUDEP – so wurden etwa bei Patienten, die im SUDEP verstarben, in Haarproben erhöhte Schwankungen der Antiepileptikakonzentrationen nachgewiesen.

 

Weitere Studien deuten darauf hin, dass eine gute, insbesondere auch nächtliche Überwachung von Epilepsie-Patienten das SUDEP-Risiko mindert: In einer neueren europäischen multizentrischen Untersuchung zeigte sich, dass im Video-Monitoring ein Versorgen der Patienten innerhalb von drei Minuten nach Anfallsbeginn das Auftreten eines SUDEP verhindern kann und Todesfälle bei Patienten mit starken Beeinträchtigungen von Atmung und Herzschlag ausschließlich auftraten, wenn in dieser ersten kritischen Phase keine Schwester dem Patienten zu Hilfe kam und bei Bedarf eine Lagerung und Versorgung mit Sauerstoffzufuhr, ggf. auch Reanimation, sicherstellte.

<b>„Anti-suffocation pillow“</B>
Quelle: http://www.doabilitykids.com.au/sleep-safe-anti-suffocation-pillows.html

Es gibt ferner Hinweise darauf, dass Patienten mit einem SUDEP im Anfall häufig eine Bauchlage eingenommen haben und hierbei möglicherweise in ihrem Kissen erstickt sind. Als Gegenmaßnahme wird der Einsatz kleiner Kissen geeigneter Konsistenz gefordert, um so das Verlegen der Atemwege während eines Anfalls zu verhindern. In England sind spezielle „Anti-suffocation pillows“ (s. Abb. rechts) erhältlich, die bei besserem Komfort ebenfalls eine ausreichende Sauerstoffzufuhr gewährleisten sollen. Bislang gibt es keine wissenschaftlichen Daten, die den Nutzen der unterschiedlichen Kissenformen belegt.

Wiederholt wurde auch diskutiert, ob Antiepileptika, die sich auf spannungsgesteuerte Ionenkanäle auswirken (wie Carbamazepin und Lamotrigin) zu einem höheren SUDEP-Risiko beitragen können. Während einzelne Studien hier einen Zusammenhang sehen, zeigen neuere, multivariante Analysen bislang keine statistische Evidenz für eine ungünstige Rolle dieser Natriumkanalblocker.

Praktische Konsequenzen
Das Anstreben einer guten Zusammenarbeit von Patienten und Ärzten bei der Suche nach einer gut vertragenen, ver-lässlich eingenommenen Medikation ist ein wesentlicher Baustein zum Erzielen der bestmöglichen Wirksamkeit antiepileptischer Therapien. Der Einsatz moderner, besser verträglicher Antiepileptika wie auch die Verwendung von Substanzen, die aufgrund ihrer Pharmakokinetik und Galenik nur 1-2-mal täglich einzunehmen sind, können hierbei einen wichtigen Beitrag liefern.

Stellt sich bei einer fokalen Epilepsie ein Versagen der ersten beiden Medikamente und somit eine Pharmakoresistenz mit Fortbestehen von Anfällen trotz optimierter Behandlungsdosis heraus, so ist das SUDEP-Risiko besonders hoch. Die Vorstellung an einem Epilepsiezentrum zur Abklärung der operativen Behandlungschancen ist daher von hoher Bedeutung und sollte ohne Verzögerung erfolgen. Eine Reihe von Studien belegt die Chancen einer Minderung bis hin zur Normalisierung des SUDEP-Risikos nach erfolgreicher Durchführung einer epilepsiechirurgischen Intervention.

Was sollten der Patient und seine Angehörigen über das SUDEP-Risiko wissen?
Bei weitem nicht alle Neurologen informieren über das SUDEP-Risiko, da sie befürchten, Patienten hierdurch zusätzlich zu belasten, ohne dass sich aus dieser Information unmittelbar anwendbare Handlungsoptionen ergeben.

Es besteht jedoch mittlerweile international Konsens, dass im Rahmen der Aufklärung über Epilepsie-assoziierte Risiken auch das Risiko des Versterbens im Anfall besprochen werden sollte – zumal viele Patienten und Angehörige von Patienten diese Sorge ohnehin haben, jedoch nicht immer zu thematisieren wagen. Der erste Patientenkontakt nach Diagnosestellung einer Epilepsie kann, muss aber nicht der geeignetste Zeitpunkt hierfür sein.

Aus dem Bewusstsein über das bestehende SUDEP-Risiko erwachsen zudem auch praktische Konsequenzen: Hierzu zählen das konsequente Verfolgen des Behandlungsziels Anfallsfreiheit durch Arzt und Patient, eine an das Vorliegen einer Epilepsie angepasste Lebensführung (insbesondere die Meidung starken Alkoholgenusses wie auch das Beachten der regelmäßigen Medikamenteneinnahme), schließlich das frühe Einbeziehen auch epilepsiechirurgischer Behandlungsoptionen, wenn sich eine unzureichende Wirkung medikamentös antiepileptischer Behandlungen abzeichnet.

Derzeit im Gespräch sind ferner neue Standards der Überwachung von Epilepsie-Patienten, insbesondere auch für die Nacht. Neben dem Einsatz der vor einem Ersticken schützenden kleineren Kopfkissen werden derzeit von verschiedenen Forschergruppen Verfahren der Anfallserkennung und -warnung entwickelt, die zum Teil auf der Entdeckung anfallsassoziierter Bewegungen, zum Teil aber auch direkt auf die Erkennung möglicherweise gefährlicher Störungen von Atmung und Herzschlag abzielen. Im Vergleich zu derzeitig kommerziell verfügbaren Geräten zur Erkennung motorischer Anfallselemente, die leider nicht ausreichend spezifisch und sensitiv sind für diesen speziellen Zweck, bieten solche in Entwicklung befindlichen Anfallserkennungssysteme wesentliche Verbesserungschancen.

Wenn solche Überwachungssysteme für eine breitere Patientenversorgung verfügbar werden, könnte dies für betroffene Patienten mit hohem SUDEP-Risiko einen wesentlichen Schritt hin zu einer verbesserten Sicherheit bedeuten, mit der Chance, auch bei Vorliegen einer weder medikamentös noch operativ kontrollierbaren Epilepsie das Risiko tödlicher Anfallsfolgen zu vermindern.

Weitere Informationen zum SUDEP:

www.uniklinik-freiburg.de/epilepsie/fuer-patienten-und-eltern/ueber-epilepsie/wissenswertes-ueber-epilepsie/sudep-was-ist-das.html

www.uniklinik-freiburg.de/presse/pressemitteilungen/detailansicht/133-verbesserte-ueberwachung-kann-epilepsiepatienten-das-leben-retten.html

 

 

Prof. Dr. med. Andreas Schulze-Bonhage,
Epilepsiezentrum, Universitätsklinikum Freiburg

 

 

Kontakt:

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