Antiepileptische Therapie bei Kindern und Jugendlichen – 3. Teil

Fieberkrämpfe


Fieberkrämpfe sind die häufigsten Gelegenheitsanfälle mit einer Inzidenz von 2,5-5 % bis zum 5. Lebensjahr. Die Prognose ist exzellent. 30-40 % erleiden ein oder mehrere Rezidive (erneute Anfälle), dennoch ist die psychomentale Entwicklung der Kinder nicht gefährdet. Das Epilepsierisiko nach komplizierten Fieberkrämpfen beträgt 3-4 %, bei einfachen Fieberkrämpfen 1,5 %. Es wird unterschieden zwischen komplizierten (20 %) und unkomplizierten (80 %) Fieberkrämpfen. In der Regel endet der unkomplizierte Fieberkrampf spontan nach 1,5 bis 2 Minuten. Wenn nicht, gelten die gleichen Regeln zur Unterbrechung wie beim afebrilen (= ohne Fieber) epileptischen Anfall. Grundsätzlich stellen Fieberkrämpfe keine Indikation zum Beginn einer medikamentösen Dauerbehandlung dar. Wenn sich später doch eine Epilepsie entwickelt, dann sind die Fieberkrämpfe oft schon der Beginn eines Epilepsie-Syndroms. Die sachgerechte Anwendung von rektalem Diazepam und bukkalem Midazolam hat den Fieberkrämpfen den Schrecken genommen, insbesondere die dadurch erfolgreiche Verhinderung eines fiebergebundener Status epilepticus.

Die gründliche Aufklärung der Eltern über Wesen und Auslösemechanismen der Fieberkrämpfe ist besonders wichtig. Zu allererst ist der rasche Fieberanstieg zu nennen: Er ist gerade bei jüngeren Kindern häufig und kann dazu führen, dass trotz wachsamer Eltern die fiebersenkenden Maßnahmen zu spät kommen. Die Aufklärung über diese Zusammenhänge ist sehr wichtig, da sich Eltern sonst schnell Vorwürfe machen. Tolerieren Kindern die erhöhte Körpertemperatur und fühlen sich nicht beeinträchtigt, kann auf eine Temperatursenkung verzichtet werden. Die erneute Anfallsauslösung auf erhöhtem Temperaturniveau ist selten, wie tierexperimentelle Daten nachweisen. Langzeituntersuchungen belegen, dass die kognitive Entwicklung, auch nach rezidivierenden Fieberkrämpfen, nicht gefährdet ist. Kinder nach Fieberkrämpfen besuchen sogar häufiger ein Gymnasium. Von größter Bedeutung ist die Aufklärung der Eltern über die gute Prognose der Gesamtentwicklung nach Fieberkrämpfen, um ihnen jegliche Angst zu nehmen.

© TK

Intrauterine Anfälle

Intrauterine Anfälle (Anfälle eines Kindes im Mutterleib) stellen die früheste Form epileptischer Anfälle dar. Sie sind bislang selten, werden wahrscheinlich oft übersehen bzw. nicht als epileptischer Anfall wahrgenommen. Häufig wird die Diagnose intrauteriner Anfall erst im Nachhinein durch eine gute gezielte Anamnese gestellt: Lang anhaltende, rhythmische, monotone, von der Mutter spürbare Kindsbewegungen, die sich deutlich von den anderen Kindsbewegungen unterscheiden, sind verdächtig auf epileptische Anfälle. Alle zerebralen Fehlbildungen können intrauterin zu Anfällen führen, häufiger finden sie sich bei der Vitamin B6-abhängigen Epilepsie. Bei Folgeschwangerschaften sollte gerade auf diese frühe Form von Anfällen geachtet werden, da sie sich durch die Gabe von Vitamin B6 über die Mutter unterbrechen lassen.

Neugeborenenanfälle

Für die Prognose nach Neugeborenenanfällen ist die Ätiologie (Ursache) der Anfälle entscheidend. Die Behandlung der Ursache ist extrem wichtig: Hypoglykämie (Unterzuckerung), Hypokalzämie (erniedrigtes Kalzium) und Hypomagnesiämie (erniedrigtes Magnesium) sowie Infektionen des ZNS und metabolische Entgleisungen bei zugrunde liegenden Stoffwechselstörungen.

Mittel der ersten Wahl zur Unterbrechung von Neugeborenenanfällen und eines persistierenden Status epilepticus beim Neugeborenen ist Pyridoxin (aktive Form von Vitamin B6). Bei Nachweis einer Pyridoxin-abhängigen Epilepsie durch Urinuntersuchung oder/und genetische Tests (Mutation im ALDH7A1-Gen = Antiquitingen) – ist eine lebenslängliche Therapie mit Pyridoxin notwendig. Auslassversuche führen regelmäßig zu Rezidivanfällen, meist innerhalb von 5 Tagen. Bei fehlendem Ansprechen auf Pyridoxin sollte ein Therapieversuch mit Pyridoxalphosphat erfolgen.

Trotz tierexperimenteller Befunde eines gesteigerten Zellunterganges durch Phenobarbital im unreifen Gehirn ist es weiterhin Mittel der 1. Wahl zur Behandlung von Neugeborenenanfällen, wenn obige Therapieversuche negativ verlaufen: Bis zu 70 % der Anfälle des Neugeborenen lassen sich bei entsprechender Dosierung mit Phenobarbital erfolgreich behandeln. Levetiracetam ist zugelassen zur Behandlung von Anfällen nach dem ersten Lebensmonat; es wird gut vertragen, Vergleichsuntersuchungen zu anderen Antiepileptika sind bislang nicht durchgeführt.

Weiterhin hat auch Phenytoin (intravenös) seinen Stellenwert in der Behandlung von Neugeborenenanfällen. Bei der Umstellung auf eine orale Weiterbehandlung wird nur selten, trotz hoher Dosen, ein therapeutischer Serumspiegel erzielt. Besondere Beachtung verdient die nicht lineare Pharmakokinetik des Phenytoins. Zur Akutunterbrechung des langanhaltenden epileptischen Anfalls im Neugeborenenalter kann auch Midazolam erfolgreich eingesetzt werden. In therapieschwierigen Situationen beim Neugeborenen kommen auch Sultiam, Valproat, Lamotrigin oder Topiramat zur Anwendung. Die Studienlage ist erwartungsgemäß dünn. In der Langzeitbetreuung von Kindern mit Neugeborenenanfällen ist eine regelmäßige Überprüfung der Indikation zur Fortführung der antikonvulsiven Medikation wichtig: Ziel sollte es sein, die Therapie so kurz wie nötig und möglich durchzuführen; Kontrollen im Abstand von drei Monaten mit der kritischen Frage der Notwendigkeit der Behandlungsfortsetzung sind sinnvoll. Gelegentlich nachzuweisende epilepsietypische Potentiale im EEG sind kein Grund zur Aufrechterhaltung der Therapie.

Die Zuordnung zum richtigen Epilepsiesyndrom ist eine der besten Voraussetzungen für die richtige Behandlung. Aufgrund der Vielfalt und der Dynamik der Epilepsie kann dies gerade im frühen Kindesalter mit der höchsten Inzidenz von Erstmanifestation nicht einfach sein, hat doch jede Hirnentwicklungsphase unterschiedliche Epilepsie-Syndrome mit unterschiedlicher Prognose.

West Syndrom – BNS (Blitz-Nick-Salaam)-Epilepsie, infantile Spasmen

Das West-Syndrom (BNS-Epilepsie, Blick-Nick-Salaam) gehört zu den therapieschwierigsten altersgebundenen Epilepsie-Syndromen des Kindesalters. Es haben sich unterschiedliche Therapiestrategien etabliert: Z. B. zeigt eine Placebo-kontrollierte Studie mit hochdosiertem Vitamin B6 und gleichzeitiger Sultiamgabe ein Behandlungserfolg in knapp 30 % der Fälle. Ein therapeutisches Ansprechen lässt sich innerhalb von 6-10 Tagen beurteilen. Diese Therapiephase kann zur Klärung der Ätiologie des Epilepsie-Syndroms genutzt werden. Trotz der Nebenwirkung einer Gesichtsfeldeinengung durch Vigabatrin bei 40 % der Kinder hat diese Substanz bei sonst sehr guter Verträglichkeit ihren Stellenwert gerade in der Behandlung des West-Syndroms behalten. Ob es bei Kindern mit West- Syndrom ebenso häufig Gesichtsfelddefekte verursacht, ist noch nicht geklärt. Wir selbst setzen es vor Steroiden ein, denen es in seiner Wirksamkeit etwas unterlegen ist, aber eine deutlich geringere Rezidivrate aufweist. Bei Ansprechen einer Vigabatrin-Behandlung sollte die Behandlungsdauer immer wieder überdacht werden. Möglicherweise ist eine 3-6 monatige Behandlungsphase mit Vigabatrin ausreichend (eigene positive Einzelerfahrung). Liegt dem West-Syndrom eine tuberöse Hirnsklerose zugrunde, ist Vigabatrin bislang eindeutig Mittel der 1. Wahl. Ein weiteres Mittel der Wahl bei Kindern mit West-Syndrom ist ACTH (adrenocorticotropes Hormon) Eine Alternative ist die hochdosierte orale Steroidtherapie: Aktuell wird in einer multizentrischen Therapiestudie eine orale Steroidbehandlung gegen ACTH intra-muskulär überprüft.

Bei Therapieresistenz gegenüber den aufgeführten Substanzen ist eine Therapie mit unterschiedlichen Substanzen erprobt: Führend ist Valproat in hoher Dosis unter regelmäßiger Kontrolle der Laborwerte für Thrombozyten, Gerinnungsparameter, Leberwerte und Lipase. Positive Einzelberichte liegen vor für Lamotrigin, Levetiracetam und Topiramat. Auch die ketogene Diät kann eine Therapiealternative bei therapieschwierigem Verlauf sein. Bei pharmakoresistentem West-Syndrom bei umschriebener kortikaler Dysplasie ist eine rasche epilepsiechirurgische Intervention bzw. deren Überprüfung sinnvoll! Eine Ergänzung der aktuellen Leitlinie zur Behandlung des West–Syndroms ist in Arbeit.

Nutzen und Risiko der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten müssen bei jedem Kind mit West- Syndrom sorgfältig gegeneinander abgewogen werden, da nicht selten schwere, oft nicht behandelbare neurologische Erkrankungen mit ungünstiger Prognose die Ursache sind.

Frühkindliche Grand mal-Epilepsie (Severe Myoclonic Epilepsy of Infancy – SMEI) – Dravet-Syndrom

Ein altersgebundenes Epilepsiesyndrom des Säuglingsalters, bei dem nahezu regelhaft länger andauernde, oft nicht einfach zu unterbrechende fiebergebundene Anfälle in der Vorgeschichte auftreten, ist die schwere myoklonische Epilepsie oder auch das Dravet-Syndrom. Fast regelhaft treten vereinzelte Myoklonien auf, die im Verlauf der Erkrankung im Vordergrund stehen können. Im weiteren Verlauf kommen afebrile Grand mal-Anfälle hinzu. Die Gesamtentwicklung der Kinder ist in der Regel nach Manifestation verlangsamt; 80 % weisen eine Mutation im SCN1A-Gen auf, das für einen spannungsabhängigen Natriumkanal kodiert. Die Gesamtprognose des Dravet-Syndroms ist sowohl für die Epilepsie als auch die kognitive Entwicklung ungünstig. Ob die Prognose sich durch eine strenge Kontrolle der epileptischen Anfälle bessern lässt, muss noch gezeigt werden. Die Therapie ist schwierig: Mittel der Wahl gegen die großen Anfälle sind Brom oder Valproat (VPA) in Monotherapie. Bei Versagen, was recht häufig ist, wird VPA mit Stiripentol und Clobazam als erprobte Kombinationsbehandlung eingesetzt. Topiramat kann ebenfalls erfolgreich sein. Die ketogene Diät stellt eine weitere Therapieoption dar, ebenso wie die Vagusnervstimulation, wenngleich Therapiestudien fehlen. Individuellen Therapieversuchen steht bei diesem schwierigen Epilepsie-Syndrom nichts im Wege.

Natriumkanalwirksame Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Oxcabazepin, Lamotrigin und Phenytoin führen sehr oft zu einer Verschlechterung der Anfallssituation und sind kontraindiziert! Dieser Aktivierungsmechanismus kann als Diagnosekriterium genutzt werden: „Daran denken!“

Kontakt:


Prof. Dr. Gerhard Kurlemann
Dr. Barbara Fiedler
Universitätsklinikum Münster,
Klinik für Kinder und Jugendmedizin
Allgemeine Kinderheilkunde, Bereich Neuropädiatrie
Albert-Schweitzer Campus I, Gebäude A1
Gerhard.Kurlemann(at)ukmuenster.de
Tel.: 0251 8347762
www.klinikum.uni-muenster.de