Inklusion – ein Leserbrief

Dabei sein ist nicht alles – Inklusion! Illusion?

UN Konvention, Inklusion - ich freute mich, als 2009 auch Deutschland die UN-Konvention unterschrieb und damit anerkannte.

Chancengleichheit, Nichtdiskriminierung, gleichberechtigte Teilhabe an der Gemeinschaft, Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit für Menschen mit Behinderung - das klang gut. Mir als betroffener Mutter vermittelte dies, dass sich im Interesse der Menschen mit Handicap gesellschaftlich wirklich etwas bewegen wird.

Wie sieht die Bilanz nach fünf Jahren aus?

Von vielen Gesprächen weiß ich, dass sich nicht nur mir die Nackenhaare inzwischen senkrecht stellen, wenn es um Inklusion geht! In Sachen Inklusion ist inzwischen  jeder Experte, insbesondere, wenn er nicht selbst betroffen ist.

Nicht jedes Kind mit Behinderung eignet sich für den gemeinsamen Unterricht, nicht jeder Erwachsener für den ersten Arbeitsmarkt. Nicht jeder kann alleine wohnen. Und dies erst recht nicht zu den derzeitigen Bedingungen: Inklusion ist ein Sparmodell. So lange es so ist, bin ich im höchsten Maße besorgt über die Zukunft der jungen Menschen mit Behinderung.

Ein kleines Mädchen wird liegend in die 1. Klasse der Förderschule gebracht. Es ist mehrfach behindert und wird auch beatmet. Die Eltern möchten gerichtlich durchsetzen, dass ihre Tochter in eine Regelschule gehen kann, evtl. auch mit Krankenschwester und Schulbegleitung. Wem wird man hier gerecht?

Bei einer Klassenstärke von 30 Schulkindern hat der Pädagoge rechnerisch 1,5 Min. für den einzelnen Schüler pro Stunde (SZ 28./29.5.14). Wie viel bleibt denn da für das Kind mit Behinderung? Meinen wir das mit Inklusion?

Eine Lehrerin (Mittelschule) berichtete, dass drei Kinder mit Down-Syndrom in ihrer Klasse sind. Sie bedauerte, dass sie nicht für den Bedarf dieser Kinder ausgebildet ist. Die zunächst in vollem Stundenumfang versprochene Sonderpädagogin kommt nur wenige Stunden in die Klasse.

Die Frage einer Lehrerin ist berechtigt: Alle Schüler müssen einen Notenspiegel nachweisen, um auf das Gymnasium zu wechseln. Wie reagieren die Schüler darauf, dass die Schülerin mit Down-Syndrom nichts nachweisen muss?

Immer wieder berichten Eltern, dass der Schüler mit Behinderung lediglich am Sportunterricht, Religion und an textilem Gestalten teilnimmt. Meinen wir das mit Inklusion?

Eine Freundin aus NRW erzählte, dass der Antrag auf Besuch einer Förderschule grundsätzlich abgelehnt wird. Alle Förderschulen sollen in Zukunft geschlossen werden. Warum nimmt man den Schülern mit Behinderung die Wahlfreiheit Förder- oder Regelschule?

Ich bin dankbar, dass die Schulzeit meines Sohnes hinter uns liegt. Die Förderschule war ein Glück für ihn und für uns Eltern - Förderung seinem Niveau angepasst. Mein Sohn an einem Ort als Objekt sozialen Lernens? NEIN!

Ein Schüler mit leichter geistiger Behinderung, inkludiert in der Mittelschule, hat die Schule nach Abschluss verlassen. Der 1. Arbeitsmarkt bietet ihm - außer zahlreichen unentgeltlich geleisteten Praktika - keine Zukunft. Was macht das mit dem jungen Menschen, wenn er auf einmal erkennen muss, dass er doch nicht, wie ihm bisher vorgegaukelt wurde, die Voraussetzungen hierfür erfüllen kann? In eine WfBM möchte er nicht - er ist ja nicht behindert. Er ist den ganzen Tag zuhause, bezieht Harz IV, geht keiner Beschäftigung nach. Die Familie beschreibt ein hohes Eskalationspotential. Meinen wir das mit Inklusion?

Natürlich gibt es auch die andere Seite. Inklusion kann auch gelingen. Aber sicherlich nie als aufoktroyierte Maßnahme, sondern auf den individuellen Bedarf des Kindes ausgerichtet.

Vollstationäre Wohneinrichtungen sollen aufgelöst werden, die Personaldecke wird immer dünner. Die Kostenträger müssen sparen. Der Betreute soll zukünftig alleine leben mitten in der Gesellschaft, egal wie hoch sein Hilfebedarf ist. Er vereinsamt, er verwahrlost, auch kommunikativ. Niemand kommt mehr für seinen tatsächlichen Hilfebedarf auf, satt und sauber wird er sein. Schwarzmalerei meinerseits?

Im Zeitalter der Inklusion finden wir in München, wie viele andere Eltern, keine adäquate medizinische Versorgung für unseren erwachsenen Sohn. Für die Bayerische Patientenbeauftragte sind alle Menschen in der Klinik und in der ambulanten medizinischen Versorgung gleich. Schön - nur was bleibt mit den besonderen Bedürfnissen dieser Personengruppe im Krankenhaus? Auch das Ärzteblatt formulierte bereits mehrfach die dramatische medizinische Unterversorgung der Menschen mit Behinderung.

Solange man Gelder spart, kommt der Politik Inklusion gelegen. Wenn Inklusion Geld kostet, dann wohl eher nicht!

Wer Inklusion wirklich will und es ehrlich meint, der muss Geld in die Hand nehmen! Die Politik soll uns nicht mehr vormachen, alles sei zum Wohle des Menschen mit Behinderung. Derzeit sieht es für mich so aus, als ginge es vor allem um das Wohl der Staatskasse.

Wem nutzt dieses falsch verstandene gesellschaftliche Prestigedenken? Wem nutzt diese Gleichmacherei, ohne Individualität zuzulassen?

Dem Menschen mit Behinderung? NEIN! Der Gesellschaft? NEIN!

Margret Meyer-Brauns, München